deten", geschtveige denn für öie Nlasse recht haben, — für das „Bolk", dem
Goeche in so vielen Tonnen Papiers und zu so verlockenden Bedi'ngungen „ver-
mikkelt" rverden sollte. „Goethe ift ein Wunder!" pflegt man dann allerdings auch
immer wieder zu lesen; selbft in der goethe-loseften Goethe-Brofchüre. Und in der
Tat: hierin, in dieser gedankenlos auögesprochenen Wahrheit, fteckt des Pudels
Kern! Eben weil Goethe ein Wunder ift, verleiht nicht fchon die „Kenntnis"
semes Werks und seines Lebens die Ahnung von der Melfalt, Melgeftalt und Viel-
deutigkeit dieses Wunders, sondern erft die erleuchtete Schau in das Geheimnis des
Genius überhaupt, eine Schau freilich, die faft fchvn eher Frucht einer Gnade,
als der wrlligften und eifrigften Hingabe ift. „Jch hätte mir niemals gedacht,"
bekennen so oft, und wre ftolz, Leute, die erft sehr spät zu Goethes Werk zu greifen
sich entfchlossen, „daß dieser Mann so verftändlich zu fchreiben wußte! Bis auf
den zweiten Teil Fauft...?" Aber gerade diesen zweiten Teil des Fauft entsiegelt
einzrg derjenige, der entdeckt hat, daß hinter jeder Zeile GoetheS die ganze unreim-
bare Welt pulft.
Nein l Goethe ift nicht populär geworden i Noch immer nicht! Aber ift das besonders zu
beklagen? „Juft das große Genie", wird solcher Frage gegenüber gemeinhin, sehr
leichtfertig, eingeworfen, „ift auch dem Durchfchnitt zugänglich!" Nein! Daö
große Genie erlebt sich niemals anders denn als hlberkuppelung des Durchschnitts;
esoterifch aber bleibt diesc Kuppel immer!
Nun aber gar die „Farbenlehre"! Ein Werk, das Goethe Jahrzehnte gekoftet, ihn,
meilenfern dem obligaten Dichtertypus, an einem Problem befchäftigt hielt, das
„den Dichter im Grunde nichts angeht" und daö den Leser — wcnn er ja fchon auf
den Gefchmack, gar aber auf den Sinn dieser Lebensleiftung kommen will — dazu
zwingt, in gläubig-ehrfürchtiger Geduld Experiment auf Experiment nachzumachen!
Und weiß nicht fchvn jedes Schulkind heute, daß di'e „Naturwissenfchaft" unterdes
unwiderleglich bewiesen hat, daß es „Essig ift" mit GoetheS These, und dafür der
gute alte Newton recht hatte?
Kurz, der verlegerifche und herausgeberifche Jdealismus, gerade heute die „Farben-
lehre" neugesichtet wiedererfcheinen zu lassen, verdient alle Anerkennung. Den Ein-
geweihten, ohne Zweifel, wird ja etwas wie Nührung anfliegen, wenn er die ehr-
würdigen, sauberen, gewissenhaften 920 Paragraphen der „Beiträge zur Optik"
wieder lieft, und diese Rührung sich zu zärtlicher Wehmut verdichten, sobald er die
originalgetreu wiedergegebenen Zeichnungen und Farbentafeln Goethes erblickt,
die dem Buch eingeftreut sind. Allein, soglei'ch sei dies versichert, nicht für diese
Elite ift dies Buch gemacht worden. Es wendet sich vielmehr ausdrückli'ch an alle, die
immer noch deö Glaubens sind, daß ihnen nicht nur die Gedichte, Dramen und
Romane Goethes, sondern auch jene seiner Schriften etwas zu sagen haben, dic
fcheinbar ni'cht von der „Muse" geküßt wurden. Wievi'el AllerbedeutendfteS aber
gerade die „Farbenlehre" zu geben weiß, das zeigt der Herausgeber des neuen
Buchs in vortrefflicher Weise. DaS Buch gibt nur den „didaktifchen" Teil der
Farbenlehre ungekürzt wieder, und vom „hiftorifchen" nur die „Konfession deö Mr-
fassers"; den „polemifchen" ersetzt es mit Gefchick durch die zwci Aufsätze: „Illber
Newtons Hypothese der diversen Nefrangibilität" und „Über die Farbenerfcheinun-
gen bei der Refraktion". Jmmerhin kommt so ein ziemlich volles Bild von Goetheü
chromatifchen Anfchauungen zuftande. Auch innerhalb dicser klug gezogenen Grenzen
aber würde das Werk heute auf sehr beträchtliche Schwl'erigkeiten ftoßen und also
wohl seinen Zweck verfehlen, wenn Hans Wohlbold den Leser nicht in einer drek-
kapiteligen Einleitung sowohl in den Stoff selbft, als auch in die Problematik ihrer Be-
handlung durch Goethe einführtc. Ursprung, Grundgedanke, Methode und Ziel
sehung der Farbenlehre werden im Kapitel „Die Farbenlehre", Goethes leiden-
schaftliche Nähe und Liebe zu allem, was Natur ift, im Absah „Goethe und die
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Goeche in so vielen Tonnen Papiers und zu so verlockenden Bedi'ngungen „ver-
mikkelt" rverden sollte. „Goethe ift ein Wunder!" pflegt man dann allerdings auch
immer wieder zu lesen; selbft in der goethe-loseften Goethe-Brofchüre. Und in der
Tat: hierin, in dieser gedankenlos auögesprochenen Wahrheit, fteckt des Pudels
Kern! Eben weil Goethe ein Wunder ift, verleiht nicht fchon die „Kenntnis"
semes Werks und seines Lebens die Ahnung von der Melfalt, Melgeftalt und Viel-
deutigkeit dieses Wunders, sondern erft die erleuchtete Schau in das Geheimnis des
Genius überhaupt, eine Schau freilich, die faft fchvn eher Frucht einer Gnade,
als der wrlligften und eifrigften Hingabe ift. „Jch hätte mir niemals gedacht,"
bekennen so oft, und wre ftolz, Leute, die erft sehr spät zu Goethes Werk zu greifen
sich entfchlossen, „daß dieser Mann so verftändlich zu fchreiben wußte! Bis auf
den zweiten Teil Fauft...?" Aber gerade diesen zweiten Teil des Fauft entsiegelt
einzrg derjenige, der entdeckt hat, daß hinter jeder Zeile GoetheS die ganze unreim-
bare Welt pulft.
Nein l Goethe ift nicht populär geworden i Noch immer nicht! Aber ift das besonders zu
beklagen? „Juft das große Genie", wird solcher Frage gegenüber gemeinhin, sehr
leichtfertig, eingeworfen, „ift auch dem Durchfchnitt zugänglich!" Nein! Daö
große Genie erlebt sich niemals anders denn als hlberkuppelung des Durchschnitts;
esoterifch aber bleibt diesc Kuppel immer!
Nun aber gar die „Farbenlehre"! Ein Werk, das Goethe Jahrzehnte gekoftet, ihn,
meilenfern dem obligaten Dichtertypus, an einem Problem befchäftigt hielt, das
„den Dichter im Grunde nichts angeht" und daö den Leser — wcnn er ja fchon auf
den Gefchmack, gar aber auf den Sinn dieser Lebensleiftung kommen will — dazu
zwingt, in gläubig-ehrfürchtiger Geduld Experiment auf Experiment nachzumachen!
Und weiß nicht fchvn jedes Schulkind heute, daß di'e „Naturwissenfchaft" unterdes
unwiderleglich bewiesen hat, daß es „Essig ift" mit GoetheS These, und dafür der
gute alte Newton recht hatte?
Kurz, der verlegerifche und herausgeberifche Jdealismus, gerade heute die „Farben-
lehre" neugesichtet wiedererfcheinen zu lassen, verdient alle Anerkennung. Den Ein-
geweihten, ohne Zweifel, wird ja etwas wie Nührung anfliegen, wenn er die ehr-
würdigen, sauberen, gewissenhaften 920 Paragraphen der „Beiträge zur Optik"
wieder lieft, und diese Rührung sich zu zärtlicher Wehmut verdichten, sobald er die
originalgetreu wiedergegebenen Zeichnungen und Farbentafeln Goethes erblickt,
die dem Buch eingeftreut sind. Allein, soglei'ch sei dies versichert, nicht für diese
Elite ift dies Buch gemacht worden. Es wendet sich vielmehr ausdrückli'ch an alle, die
immer noch deö Glaubens sind, daß ihnen nicht nur die Gedichte, Dramen und
Romane Goethes, sondern auch jene seiner Schriften etwas zu sagen haben, dic
fcheinbar ni'cht von der „Muse" geküßt wurden. Wievi'el AllerbedeutendfteS aber
gerade die „Farbenlehre" zu geben weiß, das zeigt der Herausgeber des neuen
Buchs in vortrefflicher Weise. DaS Buch gibt nur den „didaktifchen" Teil der
Farbenlehre ungekürzt wieder, und vom „hiftorifchen" nur die „Konfession deö Mr-
fassers"; den „polemifchen" ersetzt es mit Gefchick durch die zwci Aufsätze: „Illber
Newtons Hypothese der diversen Nefrangibilität" und „Über die Farbenerfcheinun-
gen bei der Refraktion". Jmmerhin kommt so ein ziemlich volles Bild von Goetheü
chromatifchen Anfchauungen zuftande. Auch innerhalb dicser klug gezogenen Grenzen
aber würde das Werk heute auf sehr beträchtliche Schwl'erigkeiten ftoßen und also
wohl seinen Zweck verfehlen, wenn Hans Wohlbold den Leser nicht in einer drek-
kapiteligen Einleitung sowohl in den Stoff selbft, als auch in die Problematik ihrer Be-
handlung durch Goethe einführtc. Ursprung, Grundgedanke, Methode und Ziel
sehung der Farbenlehre werden im Kapitel „Die Farbenlehre", Goethes leiden-
schaftliche Nähe und Liebe zu allem, was Natur ift, im Absah „Goethe und die
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