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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

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Heft 4 (Januarheft 1929)
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Trentini, Albert von: Goethes "Farbenlehre"
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0313

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während dem historischen, sehr verständig, „alles bloß Berichtende" abgenommcn
wurde. 16 Goethesche Tafeln „zur Farbenlehre", g zn den „Beiträgen zur Optik",
4 zu den „Farbenerscheinungen bei der Refraktivn" und 2 zu den „AphoriSmen"
unterstützen auch in den zwei neuen Insel-Bänden den Text.

Noch einmal: hosfen wir herzllchst, daß beide Veröffentlichungen sich recht viele
Leser erwerben; eS schadet auch dem Deutschen von 1928 nicht, wieder einma! —
oder endlich — zum Bewußtsein davon zu kommen, welcher Riese an Rundheil des
äußeren und inneren AugeS nnd an Ehrfurcht vor dem Gegenstande „sein" Goethc
gewesen i'st, und wie verblüsfend universal es dem Genie gelingen kann, sich selbst
von umschränktem deutschen Orte auS die Welt zu erobern.

Umschau

Sudermann

fsnbewußt und ungewollt segelt er von
^Anbeginn unter falscher Flagge. Er
hielt sich für den Schöpfer des neuen
Dramas, und war nur der Epigone des
Jntrigenstücks. Er schien im günstigsten
Augenblick zu kommen, in Wirklichkeit
kam er schon init „Ehre" zu spät. Was
er abschließt, ist die Entwicklung, die in
Deutschland von Jffland und Kotzebue
über Gutzkow und Laube zu Paul Lindau
und Richard Voß führt, in Frankreich
von Sandeau und Scribe über Augier
und Dumas zu Sardou.

Kein Mcnfch in Frankreich hat jemals
Dumas oder Sardou Dichter genannt.
Sie waren nur die ersten Theatermänner
ihrer Zeit. Goethe hat sicher weder Jff-
land noch Kotzebue je für einen Dichter
gehalten; aber als Jntendant hat er sie
fleißig aufgeführt. Es ist ein Unsinn,
von einem guten Theaterstück zu verlan-
gen, daß es außerdem auch noch dichte-
risch sei. Aber dieser Unsinn ist in
Deutschland unausrottbar. Die Deut-
schen sind in ästhetischen Dingen an-
spruchüvolle Heuchler. Auch in der Kunst
wollen sie immer ein Ding, und zugleich
sein Gegenteil. Natürlich gehen sie ins
Theater, um sich zu unterhalten. Aber
wehc dem Autor, der sie unterhält! Dann
werden sie nämlich sehr ungnädig und
erklären verstimmt, sie wollten doch nicht
unterhalten werden, sie wollten etwas
Höheres, Gesellschaftskritik, Dichtung,
Weltanfchauung, womöglich alles zusam-
men um drei Mark fünfzig. Diese ästhe-
tische Heuchelei ist der Hauptgrund, war-
um es ,'n Deutschland kein Theater gibt
wie in Frankreich.

Daß ein gescheiter Theatermann zugleich
ein Dichter ist, kommt in einem Jahrhun-

dert günstigenfalls ein halbes Dutzendmal
vor. Nur mit den Dichtern allein kann
keine Bühne der Welt einen Spielplan
durchführen, ohne Bankerott zu machen.
Solange das Theater ein Gefchäft ist,
braucht es Autoren wie Sudermann.
Drama und Theater können in einem
Autor beisammen sein; aber es wird die
Ausnahme sein, nicht die Regel.

Warum gehen wir ins Theater? Um gute
Ausführungen zu sehen, vor allem gute
Schauspieler. lWaS liegt dem Schauspieler
mehr, Typen oder Charaktere? Natürlich
Typen; denn aus Typen kann er, der
Schauspieler, Charaktere schaffen nach
seinem Bild und Gleichnis. Charakteren
hingegen, je feiner sie gezeichnet sind, je
sorgfältiger ausgearbeitet, je tiefer, je be-
deurender, desto eher wird er ihnen nicht
ganz gerecht werden können, weil sich dcr
seine mit den ihren nicht deckt. Er braucht
Rollen.

Sudermann gab ihm Rollen. Das machte
ihm dic Kritik zum Vorwurf. Diesel-
ben Leute, die Nietzsches Sätze über die
notwendige Falschheit des Thcaters (im
„Fall Wagner") auswendig konnten,
regten sich auf über die falschcn Töne
bei Sudermann, während sie die vielen
falschen Töne bei Hauptmann überhör-
ten. Das Theater braucht Esfektc. Su-
dermann wurde jeder Esfekt angekreidct.
Man zeterte über den symbolischen Kitsch
bei Sudermann. Den Kitsch bei Jbsen
fand man weihevoll. Die Salome Su-
dermanns ist GanS mit Hautgout wie die
von Oscar Wilde; aber mit der von
Wilde schlug man die seine tot. Wenn
Sudermann ehrlich mogelte, so mvgelte
die Kritik unehrlich. Sie maß mit
zweierlei Maß.

Sudermann beginnt mit einem Kvmpro-
miß: auf Anraten Blumenthals biegt er

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