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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1929)
DOI Artikel:
Popp, Joseph: Kunst und Technik
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0370

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schon in der VarianLe etwas Neues und Bedeutsames an Fortschritt liegen
kann; die griechische Kunst hat aus diesem allmählichen Sich-Entwickeln einer
bestimmten Aufgabe geradezu den Weg ;u ihrer einzigartigen Vollendung ge-
wonnen. Endlich ersteht die ttchnische Form mehr aus rechnerisch-zweckmäßigem
Kalkül, die künstlerische Form aus Jmponderabilien der Forrn nnd aus forma-
len Erwägungen überhaupt.

So gibt es im Grunde keine Lechnische Schönheit, nur Schönheit am techni-
schen Gebilde; sie ist gewiß von besonderer Art, aber eben deshalb hat sie auch
durchaus ihre Grenzen und ist für die Kunst nicht ohne weiteres maßgeblich,
sie bleibt wesentlich im Gebrauchsmäßigen. Es ist dnrchaus einseitig, wenn
die Künstler, aus allzu starker Einstellung auf das Formale schlechthin, um
dieser neuen formalen Anregungen willen sie überschätzen und eine Art I'art
pour I'art daraus machen. Auch das vollendete Lechnische Werk ist nicht mit
Notwendigkeit ein ästhetisches und noch wcniger ein künstlerisches Werk —
letzteres schon deshalb nicht, wcil Kunst immer eine dnrchaus bewußte Leistung
darstellt. Was wir am vollkommencn Gebilde schätzen, ist seine allseitigeZweck-
crfüllung, die verwirklichte Idee. Das hat immer etwas Befriedigendes, aber
es braucht nicht im Ästhetischen zu liegen. So ist cs auch zum mindesten ungenan,
wenn dcr Naturforscher das vollendete Exemplar einer Gattung, z. B. eine
Kröte, als „schön" bezeichnet. Sie ist es höchstens im Bergleich zu weniger voll-
kommenen Individuen, aber nicht an sich; ein Frosch ist zweifellos schöner. Nur
wo das Bollkommene an sich schon ein Schönes ist, bedeutet die Vollkommen-
heit auch eine Steigerung an Schönhcitsgehalt; so ist ein vollkommener Mensch
zugleich auch etwas Schönes schlechthin. Das aber wird man nur von wenigen
technischen Gcbilden sagen können.

Dennoch haben die technische Gestaltungswcise und das technisch Gestaltete cinen
unleugbaren Einfluß auf die heutige Kunstauffassung und Knnstübung, gerade
in den angewandten Künsten. Sie haben den Sinn für die klare, knappe, edle
Sachform ungemein gefördert, ja teilweise erst wieder geweckt, sie haben die
Schönheit des Einfachen gleichsam neu entdcckt, den ästhetifchen Wert einer
Grundform gegcnüber dem Schmuck uns wiederum bewußk gemacht nnd damit
den Schmuck selbst geläuterk. Sic haben den Sinn für das Funktionelle der
Einzelform wie für große Formorganismen entwickelt und damit die Kompo-
sition aus gewissen Schcmata befreit.

Doch braucht sich die künstlerische Form weder von diesen Auswirkungen, noch
von der Quantität der technischen Gestaltungen endgültig bestimmen zu lassen;
nicht einmal deshalb, weil unsere Zeit technisch vielfach beeinflußt ist. Mit
anderen Worten: die Kunst braucht im technischcn Stil nicht das Vorbild,
höchstens die Quelle ihres Stiles zu sehen. Ihre Form ist in vicl reichercm Maße
Ausdruck ihrer Zeit, von der das Technische nur cin Teil ist. Endlich ist jede
Zeit derart iu sich verstrickt, daß sie ihren Ausdruck erst allmählich findet und
mehr instinktiv geftaltet; deshalb kann man einen Stil nichk machen, er wi r d.
Sind wir zur Einsicht gekommen,daß die Technik sogar kulturgefährdend wirkt,
daß sie nur Keime des Kulturellen enthälk, selbst aber mehr dem Gebiet der
Zivilisation angehört, so dürfen wir ihr auch die letzte Enkscheidung über die
Kulturmachk der Kunst nicht einräumen. Und das sagen wir auch gegmüber
den künstlerischen Gestaltungen, die sich der Technik in Weitgehendem Maß

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