Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1929)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0390

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Er hob sie zu sich hinauf — rückte sick im Sattel zurechk und lenkte die Illla
bachauf.

„Wir reiken in ein fchönes Land," sagke er, „und die kleine ITanny bekommk
alle Tage alles, was sie will. Denn der Großvaker ist reich und reilt alles
mit sciner kleinen I2anny." Ilnd er sah sich fchon über der Landesgrenze im
jenseitigen Gebirge — und er sah sich suchen, bis er 2lrbeit fand. Freundliche
Menfchen nehmen sich dann um das Kind an, bis er abends zurückkommt und
es ihm bis zum Morgen gehört. Er sagte ihnen, die Eltern sind gestorben, er
ift mit der Enkelin allein auf der Welt.

Das ift auch so, denn sie sind vom Hof, der ihr Eigentum ift, verftoßen. Er
hak sie, und sie hat ihn. Die andern haben den Hof und den Sohn.

Er reitet über die steinige Halde, er reitek durch den nachtdunklen Forft. Er
reitet über die Matten, wo die ersten buntfarbigen Blüten dicht am Schnec
ftehen und beben. Die Kleine lacht noch immer an seinem Halse, erbettelt sich
Zuckerwerk und sagk: „Guck, Großvater!" zu allem Neuen.

„Guck, Großvater, die Oftereier!" rufk sie bei den Blumen, sie klatfcht um
seineu Hals herum in die dicken Händchen. 2lber dann wird sie müde. Sie
möchte zur Mukter. Der 2llte malt ihr sein Märchen aus von ihrem Leben zu
Zweicn. „Die Mutter kommt dann zu uns," sagte er. 2lber sie möchte jeHt
bei ihr sein.

Sie sind fchon oben auf dem Grat. Der Weg ist fchmal. Die lllla ist steif.
Das Kmd weint und wimmert an seinem Halsc. Jhm tällt nichts mehr
ein, es zu Lröften. Er wollte möglichft fchnell über der Grenze sein.
2lber da oben ift eine Hütte. Dort können sie die llkacht bleiben. Er hat
cinen Mantel und eine Decke und alles mik, was er besiHL, in einer Rolle
hinten auf denr Sattel.

Er hat das Kind eingehüllk. Es friert nichk. 2lber es hörk nicht auf zu weinen.
Der Wind kommt in breiten kalten Strömen an, wie er hier oben geht, gleich
einer Wasserflut gegen das Gestade. Tief unten dehnt sich die weite, ver-
blauendc Scheibe — ein Schrecken kommt auf ihn zu von dork unten herauf,
ein Erinnern legt die eiskalte Hand an sein Herz. Ntchts hak er mehr als das
Pferd und das kleine Kind und den eigenen alkernden Leib. — llnd was gehört
davon ihm, woran kann er sich halten, was bleibt bis zum Ende — ohne Ende
sein? Sind nicht das Kind und das Pferd und er selbst sich fremd wie ein vor-
überziehender Waller? Jhn fchauert bis ins Mark.

Er ift um einen großen Felsenturm gerikten, der wild und sinnlos ins Lufkmeer
ragt. Der Abgrund östnet sich. Dunkel, weich, tröstliche Nvchk, an Falten in
Mutters Kleid muß er denken, wenn er den Koyf hinein vergrub — Mutter
und Tod —.

Er legt seine Hand dem Kind über die 2lugen. Seine breite Hand verdeckt
das ganze Gesicht. Die kleine Manny tveiß nicht, was ist. Sie klammert sich feft
an ihn an, wie Hilfe suchend und Hilfe findend, und sagt: „Großvater". —
Er hört es aus ihrem kleinen Mund „Großvater", und im Echo von allen

Bergen, und alle Steine dröhnen polternd das Wort-denn die Ulla hat

den Bodeu unter den steifen Füßen verloren, in der lehten Anstrengung den
Stützpunkr wieder zu finden, löft sie viele Steine los, die polternd in den 2lb-
grund fchlagen.

325
 
Annotationen