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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1929)
DOI Artikel:
Nötzel, Karl: Tolstoi-Ausgaben und Bücher über Tolstoi
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0392

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m ihm beschlossenen nnschllldigen unö renelosen Freuden. So komnit sein Werk tiessten
Zeitbedürsnissen entgegen. Die Verdeutschung bereitet sreilich große Schtvierigkeiten
— eben tveil es sich um cinen Dichter, d. h. um einen wesentlich unübersetzbaren, nur
nachzudichtenden Schriftsteller handelt —, weil sich zudem die russische Sprachc in
ihrcm grammatischen Aufbau ebenso wie in ihrer inneren Bildhastigkeit doch recht
erheblich von der deutschen unterscheidet und schließlich auch das durch sie gedeutete
EmpfindungSleben eine uns Nichtrussen ungewohnte Abtönungssülle und innere Be-
weglichkeit aufweist (der Russe erlebt sich selber immer gleichzeitig als Lyriker, Epiker
und Dramatiker). Db Tolstoi, der nächst Puschkin (und Wladimir Solowjow) der
russische Klassiker genannt werden muß, weil sich bei ihm Sprache, Gedankenführung,
Gestaltuna und Aufbau öurch edle Einsachheit, vollkommene Klarheit nnd schlichte
Monumentalität auSzeichnen — was er sagt und gestaltet, kann nur so ausgedrückt
werden — gerade darum leichter zu übersetzen ist als z. B. der ausgesprochene Ro-
mantiker Dostojewski mit seinem überhetzten Zeitmaß und meist halb in der Form
stecken gebliebenen Gestaltungen — öürste schwer zu entscheiden sein. Dasür spricht
die entschiedene Überlegenheit unserer deutschen Tolstoi-AuSgaben über die deutschen
Dostojewski-Ausgaben. Wir besitzen cine ganze Reihe recht guter GesamtauSgaben
des Dichterwerks von Tolstoi. An ihnen erkennen wir, welche erheblichen Fortschritte
die deutschc Übersetzungskunst aus dem Russischen in der letzten Zeit gemacht hat. Bis
noch vor kaum zwei Jahrzehnten konnten sich die deutschen Übersetzungen aus dem
Russischen nicht messen mit denen aus dem Französischen, Englischen und Jtalienischen.
Heuke sangen sie an, ihnen auch noch vorbildlich zu werden. (Man vergleiche doch
cinmal die üblichen deutschen Balzac-AuSgaben mit den deutschen Tolstoi- nnd sogar
Oostojewski-AuSgaben.) Das Verdienst, eine ganz neue Übersetzungskultur auS dem
Russischen herausgesührt zu haben und ununterbrochen an ihrer Bcrvollkommnung
weiterzuarbeiten, kommt vor allem Arthnr Lnther und Erich Boehme zu. Was
hiermit beide Männer zur Annäherung an das geistige Rußland, zum Fruchtbarwer'-
den der dort sür uns alle ausgespeicherten Werte und damit auch zum Berständnis
öcs großen russischen Bolkes getan haben (Boehme verdanken wir übrigens auch
die vorbildlichc Redaktion der bei Ladyschnikoss in Berlin in der Ursprache erschienenen
russischen Klassiker) — das bedars einmal einer besonderen Würdignng. Diejenige Tol-
stoi-AuSgabe, der ich deshalb unter öen deutschen Gesamtausgaben den Vorzug gebe,
ist geradc die von Boehme redigierte Ausgabe des Malik - Verlags (ein Neudruck
der Ladyschnikoss-Ausgabe von ig^/s/ig^Z), die, gut ausgestattet, wohl auch als die
billigste AuSgabe zu gelten hat. Ganz abgesehen davon, daß hier Boehme und Luther
in Meisterübcrsetzungen der unbestrittenen beiden Hauptwerke Tolstois „Anna Ka-
renina" und „Krieg und Frieden" Vorbilder gegeben haben —- diese wohl groß-
artigsten Epen der Neuzeit müßten jetzt deutsche Dolksbücher werden —, handelt es
sich bei dieser AuSgabe um eine wirklich korrekte und vollständige Wiedergabe des
russischen Originals, uni eine Arbeit, die als solche allen künftigen dcutschen Gesamt-
ausgaben russischer Schriststeller zum Dorbild dienen müßte (ebenso wie Lutherü
meisterhast redigierte Auswahlbände der russischen Klassiker, im Derlag deS Biblivgra-
phischen Jnstituts, allcn Auöwahlbändcn russischer Schriftsteller). Alö Kenner der
russischcn Originale, als Übersetzer russischer Klassiker und aus der Grundlage zahl-
reichcr Stichproben bei den mir wohlbekannten knisslichsten Stellen der russischen
Originale dars ich daö wohl ruhig aussprechen. Es wurde hier, das geht aus jeder
Zeile hervor, Wert daraus gelegt, aller Schwierigkeiten irgendwie Herr zu werden
und den color russieus durchwcg zu erhalten. Darum wurden auch eine ganze
Reihe russischcr terniini teelinici cinfach belassen und nicht durch fragwürdige Ein-
deutschungen verwischt (z. B. Beamtenbezeichnungen, unübersetzbare Dingwörter u. ä.).
Wie weit hier die herausgeberische Gewissenhaftigkeit geht, ergibt sich dem Kenner der
Originalc auch schon daraus — und das war cine sehr delikate Probe —, daß selbst
 
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