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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 42,1.1928-1929

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Heft 5 (Februarheft 1929)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8885#0420

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Mi't tvenigen kräftigen Strichen ein Ob-
dachloser in der völligen Gelöstheit schwe-
ren SchlafeS; trotz alier änßerlichen Unbe-
quemlichkeit liegt etwas von znfriedener
Sorglosigkeit und Unbeschwertheit in ihm
nnd über ihm. Das Ganze wie eine lustige
Glosse zu einem zufälligen Eindruck. —
Jm Regen, aus der gleichen Folge;
noch spielerisch amusanter und geradezu
graziös. Wie das alte, zimperliche Jüng-
ferchen tippelt und lrippelt, aufgeweicht,
heulig und katarrhalisch — fast wie das
windverwehte Gestell eines geknickten,
durchnäßten RegenschirmeS. Wie ein höh-
nender Zuruf auf ihre vorsichtige Schritt-
art der eilige Wanderer mit dem Regen-
dach. — Angeheitert (lö^i). Grotesk
der vornehme Mann mit dem allzu gro-
ßen Zylinöer. Er will Haltung, ja Ele-
ganz zeigen und fällt doch hoffnungslos
wie ein gefällter Baum. Auch öie düstere
Entschlossenheit seines tragischen Gesichtes
vermag öies Schicksal nicht zu verhindern.
s)jovial der seiner auch nicht mehr recht
sichere Bourgeois, dessen treuherzige Hel-
fergeste es ungewiß läßt, ob sie nicht eine
weitere Aufforöerung zur Fortsetzung dcs
Gelages beöeutet. — RobertMa-
caire bietet Aktien aus (18^0).
Zu deutsch Verräter, Schwindler, Gau-
ner. Es ist der Typus des zeitgenössischen
Schiebers, der Freund und Feind betrügt,
Stadt und Land mit seinem Schwindel
heimsucht: halb Jahrmarktsausrufer, halb
Schmierendirektor, Gentleman und Lump
zugleich. Köstlich der zum Automaten ge-
wordene Pauken- und Cinellenschlager alö
Derkörperung nimmermüder Reklame.
Dortrefflich das dichtgedrängte Volk und
sein mannigfacher Ausdruck. — Die
Geburt öeL Dichters, aus der
„Physiologie des DichterS" (16^2). Der
Wasserkopf des Wunderkindes strahlt wie
eine Gießkanne, nicht wie eine verhei-
ßungsvolle Aureole. — DieNeugier,
aus der „Physiologie der Hausmeisterin"
(lötsi). Die französischc Hausmeisterin
weiß alle Privatverhältnisse der Hausbe-
wohner; sie hält sich auch für berechtigt,
ihre Korrespondenz nach Möglichkeit zu
lesen und die nichtlesbare mit einer mehr
oder weniger unverschämten Geste zu
überreichen. Dom ewigen Schwätzen ist
ihr Mund ganz zerredet, die spitze Nase,
die bösen, bedrohlichen Augen, die kralli-
gen Finger machen sie zur Hyäne — mit
wenigen Strichen ein Typus. — Der
Dichter in der Mansarde, auS

der Folge „die Groß-Stadt" (i8/s2). Wir
denken unwülkürlich an das harmlose
Stück von Spitzweg in der Münchener
Neuen Pinakothek. Dieser hier ist aber
nichts weniger als harmlvs, ein vom Hun-
ger Ausgemergelter, Einsamer, Gefange-
ner, der dem Wahnsinn nahe ist; doch
nicht aus einer großen Verzweiflung,

Hier sind Ziminer sür eine
Nacht zu vermieten

mehr aus einer fixen Jdee, die ihn be-
herrscht nnd entzündet — ein Dichter-
ling, kein Dichter. — Betrunkener,
auch aus der „Groß-Stadt" (lö-ss). Ein
interessantes Gegenstück zum „Ooleo kar
nients";ha>b hinauSgeworfen, halb selbst
zusammengesunken, rabiat und radau-
lustig, brütend über ein Objekt, aber un-
fähig zu irgendwelcher Unternehmung.
Der Oberkörper ist wie ein Block, der
sich nicht zu rühren vermag, die Beine
sind völlig erschöpft, zerschlagen, willen-
loS; daS Ganze ein ungemein anschauli-
cher Gegensatz von Aktivität und erzwun-
gener Passivität. — HiersindZim-
mer für eine Nacht zu vermie-
ten, eine unheimliche, dämvnische Ein-
samkeit umwittert diesen schattenhaften
Menschen, der ein HauS des Grauens
in düsterer Entschlossenheit verläßt — eine
Ahasvergestalt. Das ist das Große an
dem Menschen und Künstler Daumier
daß er bei aller Unerbittlichkeit nie zynisch,
faunisch, frivol wird, immer befrei'end und
erhebend wirkt oder erscküttert.

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