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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1914)
DOI Artikel:
Halm, August Otto: Beethovens "Szene am Bach"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0032

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spüren gäbe. Wie absichtlich Beethoven hier die eigentliche geistige Tat
von Musik, nämlich eben das Sich-verwirklichen des Melodischen, das
Sich-schaffen der Melodie als einen Schöpfungsakt empfinden zu lassen
vermeidet, das erkennen wir gleichermaßen deutlich an der Art, wie er
das zweite Thema einführt, nachdem er die „Gruppe des zweiten
Themas", norwalerweise die Gruppe der Oberdominante, hier F-dur, schon
eröffnet hatte. Auf der Oberdominante von F-dur bewegt sich zunächst
noch das AnfangsmoLiv des ersten melodischen Themas (22/23. Takt);
die Harmonie geht dann über den F-dur-Akkord und etwas über die
Grenze von F-dur hinaus, nach der Oberdominantseite, nämlich bis zur
Oberdominante von C-dur (26. Takt), kehrt im 27. Takt nach F-dur
zurück, indem der C-dur-Akkord sich in dessen Dominantseptakkord ver-
wandelt: zugleich damit erscheint erst das zweite Thema, also in einer
Zeit des harmonischen Bachlassens, und selbst mit dem Charakter eines
Nachsatzes; der Erholung, könnte man auch sagen. Gerade das, was
der üblichen Form an zündender Kraft eignet, hält der Meister diesem
Andante fern.

Fürs zweite: das gleichmäßige Murmeln ist technisch betrachtet Ver-
zicht auf belebenden Rhythmus (deshalb nicht etwa rhythmische Schwächey.
Auch hier kein ML, noch weniger einzelne Akte von entschlossenem Sich-
Rnterscheiden; eine wohlige Rnfreiheit das Ganze, eine Seligkeit von
Gebanntwerden. Aber wie noch heiterer erwachen wir, wie größeres Glück
fühlend horchen wir auf, wenn die Vogelrufe ertönen, die Verkündiger
einer Freiheit, einer höheren Natur, einer Welt von BewußLheit! tzier
entsteht es einmal nicht, sondern es setzt ein, fällt von einer anderen Region
ein; ein Cinschnitt geschieht, eine neue Epoche beginnt, wo vorher nichts
sich wirklich abhob: ausgenommen einen Fall, dessen verhüllteren Sinn
wir erst mit dem klareren des besprochenen Falles verstehen, dessen Vor-
läufer und Vorbereiter er ist. Es hatte nämlich, schon innerhalb der ersten
tzauptgruppe, eine Zäsur gegeben, die fürs nächste wirkungslos zu bleiben
schien: mit welcher Tatsache wir das ergänzende Gegenstück zu der oben
erwähnten namhaft machen, daß die Zäsuren bei den eigentlichen for-
malen Ereignissen vermieden werden, und damit der Eindruck von Er-
eignis. Rnwerklich beginnt die Durchführung (im 5H. Takt); unmerklich
auch die zweite Gruppe in der Wiederkehr, während sie, wie schon gesagt,
im ersten Teil sich wenigstens so schwach bemerkbar als möglich gemacht
hatte. Wo immer die Bewegung unterbrochen wurde, da schien sie doch
nicht zu stocken, war als Zustand nicht ausgeschaltet: wenn sie nachher
wieder einsetzt, so ist's uns, als ob wir ihr nur auf einige Augenblicke
zuzuhören versäumt hätten. Nach derselben Richtung wirken die Trug-
schlüsse, welche, den Abschluß der zweiten Gruppe immer wieder ver-
zögernd, einer Rnersättlichkeit des Verharrens, dem willigen Mcht-los-
kommen Ausdruck geben. Wo endlich statt ihrer ein richtiger Schlußfall
eintritt, wie es im ^8. Takt geschieht, da verspüren wir nicht mehr Energie,
sondern im Gegenteil angenehme Müdigkeit, und die Lhematische Technik
der Nachsätze unterstützt den Eindruck der Passivität. Das Dramatische
der hier wie sonst von Beethoven gebrauchten Form ist mit großer Kunst
ins Idyllische verkehrt.

Was soll nun jene Zäsur, da sie mit dieser Form nicht übereinstimmt,
sozusagen nicht im Einverständnis mit ihr arbeitet? Nach ihr ist's wie
vorher; auch auf das Motorische übte sie keinen Einfluß aus.
 
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