Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI issue:
Heft 13 (1. Aprilheft 1914)
DOI article:
Migge, Leberecht: Kunst und Natur im Garten
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0035

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
förmlich auf: wann soll solche Llatur in den Garten und wie? Rnd
vor allem, warum gerade in den Garten, wo sie draußen selbst soviel
besser dran ist und überdies jedem zuganglich? Auf solche und ähnliche
Einwürfe ist man die klare Antwort noch immer schuldig geblieben.

Schließlich erübrigt sich, wie ich schon eingangs erwähnte, auch der
Wunsch nach Natur im Garten, lediglich um ein reines autonomes
Kunstwerk schaffen zu können — weil das einmal nicht möglich und
dann auch nicht nötig ist. Unmöglich, weil die unvermeidlichen, illusion-
störenden Beigaben des komplizierten Apparates, den wir Tagesdasein nen-
nen, das endliche, etwa mögliche Kunstwerk erfahrungsgemäß doch hindern,
unnötig, nun, weil der Garten auch als „nur" angewandt, die ihm
verliehenen Segnungen im vollen Maße entfalten kann. Also, wozu
die Mühen! Werdies ist es ja ohne weiteres möglich, auch rein natürliche
Pflanzengruppierungen innerhalb des architektonischen Gartenskeletts ein-
zufügen. Ich würde mir darunter beliebig große, gewissermaßen „natu-
ralistische Beete" vorstellen, ähnlich wie ich des öfteren die Wünsche anderer
Liebhaber, wie der der Dendrologen und der Botaniker, in ihren Gärten zu
ersüllen pflege.

Zu allem Ende löst ja das richtig, das heißt sinnlich und vollblütig er-
faßte arHitekLonische Gartenprinzip mit seinen Pflanzenharmonien, seinen
Gegensätzen von ungezügeltem Pflanzenwuchs zu geformtem und zu bau-
lichen Linrichtungen die weitaus meisten der hier denkbaren Reize schon
aus. Das etwa noch restierende, meinetwegen Feinste und Wertvollste,
mag dann ruhig draußen in der freien Natur gesucht werden. Was
aber dasjenige Maß von direkter Naturbegründung angeht, das
der Einzelne durch seinen Garten billigerweise Haben will und muß, so
ist auch das innerhalb des architektonischen Gartens vollauf gewährleistet.
Denn auch der wächst ja von zartester, rührender Iugend heran zur
üppigen Vollkraft der Iahre. Auch in ihm knospet und blüht es, auch
er birgt des Frühlings süße tzeiteretei, wie des tzerbstes slammende Farben.
Nur viel intensiver, dünkt mich, viel stärker im Eindruck auf den Wen-
schen, hervorgerufen durch das beglückende Bewußtsein eigenen Schaffens
daran und Erfindens.

Nein, es ist nichts mit dem Gartennaturalismus für uns heutige Men-
schen. Von welcher Seite wir auch immer diesem Problem beizukommen
suchen, es entweicht vor den Realitäten des Weltbetriebes und vor dem
neuen Empfindungsleben, in dem wir uns bewegen. Es entsteht —
ein charakteristisches Zeichen unsrer Heutigen GarLenrhetorik — regelmäßig
ein eireuluk vitiosus, der sich von der Natur zum Wissen, vom Verstande
Zur Kunst und wieder hin zur NaLur in nicht endenwollendem Lauf
bewegt.

Äberhaupt ist es ja die Vielheit der Standpunkte, die eine
objektive Beurteilung des Gartenwollens noch hindert. Der moderne
Mensch glaubt an Alles oder er glaubt an Nichts. Rm wahrhaft menschlich,
das heißt kulturbestrebt werden zu können, müßte er wieder lernen, an
Eines zu glauben. Leberecht Migge

20
 
Annotationen