Die Dichtungen Rabindranath Tagores, des Nobelpreisträgers,
lassen dies aufs neue empfinden. An den Gedichten, die wir im folgenden
als Proben aus seinen nun übersetzten Werken wiedergeben, kann der
Leser wohl ebenfalls selbst den Versuch machen; liest man sie rasch, so
wie wir unsere modernen Romane lesen, im Bewußtsein unsres Milieus,
mit denr Augenmerk auf fremdartige Reize oder auch nur im Zusammen»
hang oder Wechsel mit modernen oder neueren deutschen Lyrikern, so
können sie dünn und schal, nichtig und darum vielleicht sogar prätentiös
wirken. Wer aber sich innerlich einstellt auf die Lebensformen des Inders,
wer sich das vergegenwärtigt, was der Gebildete in Europa davon seit
Goethes Zeit mindestens weiß, wird bald „Morgenwind" spüren. Ls
offenbart sich dem Fühlsamen eine innere Kraft in diesen lyrischen Ge«
bilden, die keiner formalen SLützen bedarf, weil sie sich gern empsangen
weiß, eine Aufmerksamkeit auf die leisen äußeren Erlebniszeichen, die
nicht durch Kunstmittel verstärkt zu werden braucht, weil PoeL und Emp-
fänger beide die Süße des kleinen Zeichens gewohnheiLmäßig empfinden.
Das kaum bemerkLe Klirren der Arm« und Fußspangen, das Vibrieren der
Stimme, das beredte Schweigen, die Sprache der Augen, des Leibes, die
stille Verständigung durch ein bestimmtes Gesamtbenehmen — dies alles
ist Gegenstand der LiebegedichLe nicht wegen der Aberempfindlichkeit des
Poeten oder aus Mangel an größeren Gehalten, sondern weil die Gesamt«
lebenslage ihn hierin das Wesentliche sich aussprechend empfinden läßt.
Und wer dies erfaßt, wird dieser süßen, Lief ergreifenden Kunst bald so
nahr kommen, daß er das „Fremde" kaum noch empfindet; sind doch die
Erlebnisse, um die es sich hier handelt, uns keineswegs fremd, sondern
höchstens anders in den Ablauf unsres gegensatzreichen Daseins eingeordnet.
Als eine Andeutung, ein kleines „fein beobachtetes^ Zeichen wird man
Erlebnisse dieser Art in den Romanen Geyerstams und Kellers, bei GoeLhe
und bei Arno tzolz finden können (wie Goethe Friederike Brions Walten
schildert, erinnert stark an Gestaltungen Tagores). tzier sind Erlebnis-
möglichkeiten, die wir unansgLbildeL in uns tragen, zu Erlebniswirklich-
keiten und zu Gedichten geworden. Rnd welchen schöneren ReichLum kann
die Beschäftigung mit Dichtung geben, als unsre eignen Lebensmöglichkeiten
unsrer Phantasie in ihrer beglückenden Verwirklichung zu zeigen.
Der erste Gedichtband Tagores, „Das hohe Lied", ist auf religiöses
Erleben abgestimmt. Ein Suchender spricht in ihm, der fremd seiner
geschäftigen Rmgebung nach dem Einen sinnt und sehnt, das not tut.
Liebevoll und liebebedürftig entbehrt er des Zusammenklangs mit Gott,
dessen AnendlichkeiL ihm unfaßbar, dessen Rnweltlichkeit ihm nur vor-
übergehend nahbar scheint; sein innerer Weg führt über Sehnen, Finden,
Verlieren, Zweifel, Gewißheit, Aufbegehren, Verlust, Wiedergewinn, Ver-
zicht, so über alle Iustände inneren Ringens, rein seelischer Weiterent-
wicklung, immer aber spricht die Seele frei aus dem Innersten heraus,
feru allen literarischen Erinnerungen, zu einem geliebten, vertrauten Du
hin, mit der Süße, welche Liebe den Worten einhaucht und dem Gewlcht,
das tiefer, besonnener Lebensernst ihuen verleiht. „Der GärLnewst Tagores
zweiter Band, ist ein Buch der Liebe. Auch hier wird, schwankend und
nicht völlig eindeutig im Verlauf, der Roman einer inneren Entwicklung
hinter der vielfältigen Aussprache des Ichs fühlbar, das Liebe in all
ihren wundersamen seelischen Wandlungen durchmacht. Diese kleinen Aus-
sprachen, in ihrer gedankendurchsetzten, kaum je wildleidenschaftlichen und
lassen dies aufs neue empfinden. An den Gedichten, die wir im folgenden
als Proben aus seinen nun übersetzten Werken wiedergeben, kann der
Leser wohl ebenfalls selbst den Versuch machen; liest man sie rasch, so
wie wir unsere modernen Romane lesen, im Bewußtsein unsres Milieus,
mit denr Augenmerk auf fremdartige Reize oder auch nur im Zusammen»
hang oder Wechsel mit modernen oder neueren deutschen Lyrikern, so
können sie dünn und schal, nichtig und darum vielleicht sogar prätentiös
wirken. Wer aber sich innerlich einstellt auf die Lebensformen des Inders,
wer sich das vergegenwärtigt, was der Gebildete in Europa davon seit
Goethes Zeit mindestens weiß, wird bald „Morgenwind" spüren. Ls
offenbart sich dem Fühlsamen eine innere Kraft in diesen lyrischen Ge«
bilden, die keiner formalen SLützen bedarf, weil sie sich gern empsangen
weiß, eine Aufmerksamkeit auf die leisen äußeren Erlebniszeichen, die
nicht durch Kunstmittel verstärkt zu werden braucht, weil PoeL und Emp-
fänger beide die Süße des kleinen Zeichens gewohnheiLmäßig empfinden.
Das kaum bemerkLe Klirren der Arm« und Fußspangen, das Vibrieren der
Stimme, das beredte Schweigen, die Sprache der Augen, des Leibes, die
stille Verständigung durch ein bestimmtes Gesamtbenehmen — dies alles
ist Gegenstand der LiebegedichLe nicht wegen der Aberempfindlichkeit des
Poeten oder aus Mangel an größeren Gehalten, sondern weil die Gesamt«
lebenslage ihn hierin das Wesentliche sich aussprechend empfinden läßt.
Und wer dies erfaßt, wird dieser süßen, Lief ergreifenden Kunst bald so
nahr kommen, daß er das „Fremde" kaum noch empfindet; sind doch die
Erlebnisse, um die es sich hier handelt, uns keineswegs fremd, sondern
höchstens anders in den Ablauf unsres gegensatzreichen Daseins eingeordnet.
Als eine Andeutung, ein kleines „fein beobachtetes^ Zeichen wird man
Erlebnisse dieser Art in den Romanen Geyerstams und Kellers, bei GoeLhe
und bei Arno tzolz finden können (wie Goethe Friederike Brions Walten
schildert, erinnert stark an Gestaltungen Tagores). tzier sind Erlebnis-
möglichkeiten, die wir unansgLbildeL in uns tragen, zu Erlebniswirklich-
keiten und zu Gedichten geworden. Rnd welchen schöneren ReichLum kann
die Beschäftigung mit Dichtung geben, als unsre eignen Lebensmöglichkeiten
unsrer Phantasie in ihrer beglückenden Verwirklichung zu zeigen.
Der erste Gedichtband Tagores, „Das hohe Lied", ist auf religiöses
Erleben abgestimmt. Ein Suchender spricht in ihm, der fremd seiner
geschäftigen Rmgebung nach dem Einen sinnt und sehnt, das not tut.
Liebevoll und liebebedürftig entbehrt er des Zusammenklangs mit Gott,
dessen AnendlichkeiL ihm unfaßbar, dessen Rnweltlichkeit ihm nur vor-
übergehend nahbar scheint; sein innerer Weg führt über Sehnen, Finden,
Verlieren, Zweifel, Gewißheit, Aufbegehren, Verlust, Wiedergewinn, Ver-
zicht, so über alle Iustände inneren Ringens, rein seelischer Weiterent-
wicklung, immer aber spricht die Seele frei aus dem Innersten heraus,
feru allen literarischen Erinnerungen, zu einem geliebten, vertrauten Du
hin, mit der Süße, welche Liebe den Worten einhaucht und dem Gewlcht,
das tiefer, besonnener Lebensernst ihuen verleiht. „Der GärLnewst Tagores
zweiter Band, ist ein Buch der Liebe. Auch hier wird, schwankend und
nicht völlig eindeutig im Verlauf, der Roman einer inneren Entwicklung
hinter der vielfältigen Aussprache des Ichs fühlbar, das Liebe in all
ihren wundersamen seelischen Wandlungen durchmacht. Diese kleinen Aus-
sprachen, in ihrer gedankendurchsetzten, kaum je wildleidenschaftlichen und