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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 14 (2. Aprilheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0142

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gibt es keine Spur von innerer Not-
wendigkeit, vom Stoff aus über den
Stoff hinauszugehen. Es führt
kein Weg mit Notwendigkeit vom
Stoff über den Stoff hinaus zum
Geist. Es ist keine Not im Stoff
vorhanden, die durch den Geist ge«
wendet werden müßte. Kein Stoff
bedarf von sich aus an irgendeinem
Punkte zu seinem Dasein des Gei--
stes. Nlles Stoffliche ist selbstge«
nügsam und deshalb von sich aus
nicht schöpferisch. Kali braucht kei-
nen Geist, um Kali zu sein. Schwefel
braucht keine Seele, um Schwefel
zu sein. Von der Materie führt
kein Weg zum Geist. Vom Mate-
rialismus führt nur ein Schleich-
weg zum Idealismus. Vom Stoff
führt nur ein Selbstbetrug des Gei-
stes zum Geist.

Rmgekehrt liegen die Dinge beim
Geist. Geist findet und kann kein
Genügen in sich selber finden. Wie
er sich auch in stillsten SLunden in sich
selbst und wie auf eine punktuelle
Enge zurückziehen mag, er muß sich
doch wieder weiten und muß aus
sich selbst heraus. Er würde in sich
selbst ersticken, wenn er sich seiner
selbst nicht entledigte durch die Tat.
Er ist Drang, der zum Schaffen
strebt. Er ist immer in Bewegung.
Er muß sich selber gegenüberkom-
men in seinem Werke. Lr kann sei-
ner selbst nur habhaft werden, indem
er gestaltet. Ie größer seine Fülle
ist, um so größer ist seine Sehn-
sucht, sie auszuschütten, sich schaffend
von ihr zu erlösen. Nnd was er
auch schafft, er kehrt aus allem Ge-
schaffnen in sich selbst zurück, um
möglichst wieder zu neuem und rei--
cherem Schaffen aus sich herauszu-
gehen. Er kann aber nur schaffend
sich von seinem Schöpferdrange er--
lösen — durch das Mittel des
Stoffes.

Der Allgeist ruft nach der Welt
der Stoffe, wie der Arbeiter nach
Werkzeug und Material, wie der

Turner nach der Reckstange, wie der
Maler nach Pinsel, Farbe, Leinwand
und Palette, wie der Dichter nach
dem Worte. Er kann seine Schöpfer--
not nur von sich wenden, indem
er schafft, und kann nur schaffen,
sich darleben und seinem Bedürfen
gerecht werden im Mittel des Stof-
fes und durch den Stoff hindurch.
tzindurch — nichts kann ihn hal-
ten, denn er ist ewiges Gestalten.
Welten atmet er aus. Welten sin«
ken hinter ihm weg. Ewig neu ge-
biert er die Schöpfung vor sich her.
Er schreitet durch sie hindurch und
weiter, als wir durch unsre tausend
kleinen Werke, die wir gebären. Le--
ben sind sie von unserm Leben, Geist
von unserm Geiste, aber wir selber
schreiten schaffend weiter und durch
sie alle hindurch.

Es ist seit Platons Tagen und
länger immer wieder der Grund«
fehler des Denkens, daß man das
Göttliche, den Allgeist, auf dem
Wege der Abstraktion, der Ent--
leerung und Loslösung des Geistes
von der Welt der Stoffe zu fassen
suchte. Gott wurde das Absolute,
das aller Bedürfnisse Bare, das
Selbstgenugsame! Nun teilt er das
Schicksal der Materie. Nun ist er
selbstgenugsam wie sie auch, selbst--
genugsam wie das Nichts. Das
aber ist der entgeistete Geist und der
Tod im All. Denn Leben ist nur,
wo Bedürfen ist. Geist ist nur, wo
Gestalten ist. Alle Tat aber
fordert den Stoff.

Man hat geglaubt, Gott die
größte Ehre anzutun, indem man
ihn vom Stoff befreite und ins
Neich der Selbstgenugsamkeit ver--
setzte. Aber der selbstgenugsame Gott
ist die vergötterte Armut, die hypo--
stasierte Ohnmacht, die tote Ruhe,
die auf den Thron gehobene Leere.
Kein Wunder, daß gegenüber diesem
Ideal der absoluten Bedürfnislosig--
keit das ganze wunderbare, ewig ge--
 
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