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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1915)
DOI Artikel:
Landsberg, Julius Ferdinand: Die elterliche Gewalt der Mutter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0204

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bleibt ihr als einziges Recht am Kinde das meist sehr dürftige Surrogat
des „Verkehrsrechts". Ist umgekehrt der Ehemann für schuldig erklärt oder
erhält die Frau aus einem andern Grunde die Kinder und das Recht der
Personensorge über sie, dann behält der Ehemann außer dem Verkehrs«
recht die elterliche Gewalt. And zwar bleibt dem Vater die gesamte
gesetzliche Vertretung. Das bedeutet zum Beispiel, daß die Mutter keinen
Rechtsstreit für das Kind führen kann. Dieser Rechtszustand ist nicht
nur unbillig, er ist vielmehr in 99 von ^00 Fällen auch unzweckmäßig.
Denn die materiellen Interessen des Kindes stellen sich nach der Trennung
schroff gegen die des Vaters. Das Kind muß gegen den Vater seinen
Unterhalt erstreiten. Für die Ansprüche des Kindes gegen Dritte zeigt
der Vater leicht Gleichgültigkeit. Gewiß kann das Vormundschaftsgericht
dem Vater die Vertretung entziehen. In der Praxis aber geschieht das
nicht leicht. Nichts lag im Grunde vor, was das Gesetz verhinderte, mit
dem Sorgerecht die ganze elterliche Gewalt auf die Mutter fallen zu
lassen und nur in Fällen, in welchen das Interesse des Kindes eine
andere Lösung verlangt, dem Vater die vormundschaftliche Gewalt durch
Gerichtsbeschluß zuzuwenden, der Mutter aber die Gewalt zu nehmen
oder zu beschränken. Ia, wäre es nicht für die Fälle der Ehescheidung
überhaupt besser, die elterliche Gewalt für. erledigt zu erklären und
eine Vormundschaft einzusetzen? Kinder aus geschiedenen Ehen sind viel-
fach stark gefährdet. Und eine Kontrolle könnte nichts schaden.

Am übelsten und auf die Dauer unerträglich wird die Stellung der
Mutter während bestehender Ehe, wenn der Vater, etwa wegen seiner Ver-
fehlungen, der elterlichen Gewalt oder der Sorge für die Person des
Kindes verlustig erklärt wird. Dann wachsen nicht etwa die dem Vater
aberkannten Rechte der Mutter an. Ia, ihr „Neben"sorgerecht wird nicht
einmal zum tzaupt recht, wie es etwa die wieder heiratende, verwitwet
gewesene Mutter oder die uneheliche Mutter hat. Sondern ihre elterliche
Gewalt bleibt ein Nebenrecht, das tzauptrecht erhält der Vormund
oder Pfleger. Bei einer Meinungsverschiedenheit geht die Meinung des
Vormundes oder Pflegers vor, und es ist nicht etwa Sache des Vor--
mundschaftsgerichts, über die Meinungsverschiedenheit zu entscheiden. Rnd
hier liegt es n i ch t so, daß wie die wieder heiratende Witwe auch diese
Mutter, wenn sie nur brav ist, selbst die Vormünderin oder Pslegerin
würde. Denn, wenn die Mutter bei dem schuldigen Vater ausharrt, wird
ihr das Gericht die Pflegschaft nicht übertragen können. Äberhaupt wird
das Gericht in solcher Lage im Interesse der Sicherung des Kindes regel-
mäßig nur an die Bestellung eines Fremden zum Vormund denken.
Auslieferung an die Mutter wird zu oft praktisch der Auslieferung an
den Vater gleichstehen. Die Benachteiligung des mütterlichen Rechtes
tritt erst dann so recht kraß hervor, wenn man den entgegengesetzten Fall
bedenkt. Wenn die Mutter noch so lüderlich ist, bleibt doch der
Vater, so lange er selbst frei von Schuld, im Besitze aller Elternrechte,
mag die Gefahr für das Kind noch so groß sein. Da fordert doch das
Interesse des Kindes dringend die Gleichstellung beider Eltern! Sie ist
nicht da. And so kann aus der Nebensächlichkeit des Rechts der MuLter
leicht eine Tragödie entspringen, wie ich sie erlebte und als Richter
heilend zu behandeln suchte. Der Postassistent D. frönte dem heimlichen
Rauschtrunk. Im Dienst war er untadelig, im tzause Tyrann gegen
seine über ihren Stand gebildete Frau und gegen seine zwei trotz ihres

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