Faust, dem Zweifler und Gottsucher,
hat es auch, wer nrcht zweifelt, sin-
niert, grübelt, lehrt, sondern ge-
legentlich dreinschlägt: Kasperle, der
Lebensbejaher durch die Tat, Ka-
sperle, der Held. ' D.
Als wir noch auf einenPfiff
hörten —
hatten wir ein andres Verhältnis
zu den Menschen. Das fiel mir
heute ein, als rch auf der Straße
einen Pfiff hörte und ein Knabe
sich umsah, ob das ihm gelte. Er
sah sich mit Eifer um, sein Blick
erhellte sich freundlich, als er sah,
daß ihm das Signal gegolten, und
hurtig lief er zu dem Urheber des
Pfiffs. Mag das nun sein Freund,
sein Bruder oder sonst wer gewesen
sein, ich dachte daran, wieviel wir
„großen" Menschen an natürlicher
Unbefangenheit verlieren. Wie die
Spatzen: sobald wir flügge geworden
sind, sind wir mißtrauisch und un-
nahbar.
Als Kindern war es uns gleich,
wodurch wir gerufen wurden; wir
sprangen lächelnd dahin, wohin man
rief. Ietzt blicken wir uns nicht ein-
mal verstohlen um, wenn Hinter uns
ein Pfiff oder ein „Pst" hörbar wird.
Mag der Pfiff aus voreiliger Wie-
dersehensfreude oder aus War--
nungsgründen erklingen — wir sind
zu vornehm dazu, wir vergeben uns
nichts, wir hören nicht auf einen
Pfiff. Ein Pfiff, das paßt sich nicht
für uns. Nur regelrecht versiegelte
Einladungen in allen Formen ver-
mögen zur Teilnahme am Lebens-
tisch zu veranlassen. — Warum
paßt sich eigentlich ein Pfiff nicht
für uns?
Ich sagte am Abend zu meinem
Mädel: „Hörst du, ... wenn du
mich auf der Straße siehst, dann
meldest du dich schon von weitem
durch einen Pfiff . . . Hörst du, —
so!" Sie lachte: „Ihr Poeten habt
Einfälle! Aber hübsch ist es doch."
Freilich ist's nun hübsch. Und etwas
Besondres für uns, denn für die
andern paßt sich's ja nicht: Die mö-
gen sich langweilen.
Heinz Iahn
Ruhe
ur die Buhe in der Bewegung
hält die Welt und macht den
Mann; die Welt ist innerlich ruhig
und still, und so muß es auch der
Mann sein, der sie verstehen und
als ein wirkender Teil von ihr sie
widerspiegeln will. Ruhe zieht das
Leben an, Amruhe verscheucht es;
Gott hält sich mäuschenstill, darum
bewegt sich die Welt um ihn. Für
den künstlerischen Menschen nun
wäre dies so anzuwenden, daß er
sich eher leidend und zusehend ver-
halten ünd die Dinge an sich vor-
überziehen lassen, als ihnen nach-
jagen soll; denn wer in einem fest-
lichen Zuge mitzieht, kann ihn nicht
so beschreiben, wie der, welcher am
Wege steht. Dieser ist darum nicht
überflüssig oder müßig, und der
Seher ist erst das ganze Leben des
Gesehenen, und wenn er ein rechter
Seher ist, so kommt der Augenblick,
wo er sich dem Zuge anschließt mit
seinem goldenen Spiegel, gleich dem
achten König im Macbeth, der in
seinem Spiegel noch viele Könige
sehen ließ. Auch nicht ohne äußere
Tat und Mühe ist das Sehen des
ruhig Leidenden, gleichwie der Zu-
schauer eines Festzuges genug Mühe
hat, einen guten Platz zu erringen
oder zu behaupten. Dies ist die Er-
haltung der Freiheit und Änbeschol-
tenheit unserer Augen.
Gottfried Keller
206
hat es auch, wer nrcht zweifelt, sin-
niert, grübelt, lehrt, sondern ge-
legentlich dreinschlägt: Kasperle, der
Lebensbejaher durch die Tat, Ka-
sperle, der Held. ' D.
Als wir noch auf einenPfiff
hörten —
hatten wir ein andres Verhältnis
zu den Menschen. Das fiel mir
heute ein, als rch auf der Straße
einen Pfiff hörte und ein Knabe
sich umsah, ob das ihm gelte. Er
sah sich mit Eifer um, sein Blick
erhellte sich freundlich, als er sah,
daß ihm das Signal gegolten, und
hurtig lief er zu dem Urheber des
Pfiffs. Mag das nun sein Freund,
sein Bruder oder sonst wer gewesen
sein, ich dachte daran, wieviel wir
„großen" Menschen an natürlicher
Unbefangenheit verlieren. Wie die
Spatzen: sobald wir flügge geworden
sind, sind wir mißtrauisch und un-
nahbar.
Als Kindern war es uns gleich,
wodurch wir gerufen wurden; wir
sprangen lächelnd dahin, wohin man
rief. Ietzt blicken wir uns nicht ein-
mal verstohlen um, wenn Hinter uns
ein Pfiff oder ein „Pst" hörbar wird.
Mag der Pfiff aus voreiliger Wie-
dersehensfreude oder aus War--
nungsgründen erklingen — wir sind
zu vornehm dazu, wir vergeben uns
nichts, wir hören nicht auf einen
Pfiff. Ein Pfiff, das paßt sich nicht
für uns. Nur regelrecht versiegelte
Einladungen in allen Formen ver-
mögen zur Teilnahme am Lebens-
tisch zu veranlassen. — Warum
paßt sich eigentlich ein Pfiff nicht
für uns?
Ich sagte am Abend zu meinem
Mädel: „Hörst du, ... wenn du
mich auf der Straße siehst, dann
meldest du dich schon von weitem
durch einen Pfiff . . . Hörst du, —
so!" Sie lachte: „Ihr Poeten habt
Einfälle! Aber hübsch ist es doch."
Freilich ist's nun hübsch. Und etwas
Besondres für uns, denn für die
andern paßt sich's ja nicht: Die mö-
gen sich langweilen.
Heinz Iahn
Ruhe
ur die Buhe in der Bewegung
hält die Welt und macht den
Mann; die Welt ist innerlich ruhig
und still, und so muß es auch der
Mann sein, der sie verstehen und
als ein wirkender Teil von ihr sie
widerspiegeln will. Ruhe zieht das
Leben an, Amruhe verscheucht es;
Gott hält sich mäuschenstill, darum
bewegt sich die Welt um ihn. Für
den künstlerischen Menschen nun
wäre dies so anzuwenden, daß er
sich eher leidend und zusehend ver-
halten ünd die Dinge an sich vor-
überziehen lassen, als ihnen nach-
jagen soll; denn wer in einem fest-
lichen Zuge mitzieht, kann ihn nicht
so beschreiben, wie der, welcher am
Wege steht. Dieser ist darum nicht
überflüssig oder müßig, und der
Seher ist erst das ganze Leben des
Gesehenen, und wenn er ein rechter
Seher ist, so kommt der Augenblick,
wo er sich dem Zuge anschließt mit
seinem goldenen Spiegel, gleich dem
achten König im Macbeth, der in
seinem Spiegel noch viele Könige
sehen ließ. Auch nicht ohne äußere
Tat und Mühe ist das Sehen des
ruhig Leidenden, gleichwie der Zu-
schauer eines Festzuges genug Mühe
hat, einen guten Platz zu erringen
oder zu behaupten. Dies ist die Er-
haltung der Freiheit und Änbeschol-
tenheit unserer Augen.
Gottfried Keller
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