und Künder unsres tatsächlichen Lebens, der noch lange nicht überwunden
wird.
Nun steht das Leben mit seinen tausend Formen, Aberkommenheiten,
Linrichtungen, Bindungen dem einzelnen Geistigen gemeinhin als eine
Summe furchtbarer Widerstande gegenüber. Das Lrerbte wandelt sich nicht
so rasch wie die Einsicht der Einzelnen, und der ungeheure Widerspruch zwi«
schen dem Geistigen und der allgemeinen Lebensform ist es, der Männer wie
Wagner, Rousseau, Tolstoi oder Metzsche im Kontrast groß werden ließ. Aus
dem Bewußtsein dieses Gegensatzes her das ständige mißtrauische Nein auf
Metzsches Lippen trotz des glühenden Wunsches nach Bejahung bis zuletzt.
Sein Nein aber stützte sich nicht vor allen Fragen und Gegenständen auf
die gleiche Motivation. Linmal verneinte er einfach, weil er nicht einsah,
einmal weil er Folgen fürchtete, einmal, weil er vielleicht die Tat, aber
nicht die Gesinnung des Tuenden billigte, einmal aus philosophischem
Denken, oft aus Instinkt, oft aus psychologischen Bedenken. Lr teilte
das Schicksal aller vielseitigen Kritiker, viel mehr Nein zu wissen als Ia.
And die strenge Unerbittlichkeit seines geistigen Wollens hatte ihr besonderes
Schicksal im Gefolge. Er empfand die „Last der Iahrtausende", das Minder-
wertige und innerlich Anbegründete der Lebensformen und ging daran, sie
zu erleichtern. Dazu bedurfte er eines Standpunktes jenseits der Zeit — hier
liegen die Motive seines Wortes „Ienseits von Gut und Böse" und seiner
Linsamkeit — vor allem aber eines ungeheuren Kraftgefühls, denn wer
alles rings um sich einreißen will, sei es auch nur, um seine Festigkeit
zu erproben, beraubt sich fast aller unserer gewohnten Kraftstützen — hier
liegt die Ouelle seines übersteigerten Selbstbewußtseins. And endlich be--
darf er eines Standpunktes überhaupt, eines wenn auch kleinen Bezirkes,
auf dem er Ia sagen kann ohne von seiner Linsicht Lügen gestraft zu
werden; diesen Bezirk hat Nietzsche lange vergeblich gesucht, er ist über
dem Suchen, das ihm geniale Lichtblicke brachte, zugrunde gegangen. Wenn
man die „Amwertung aller Werte" so betrachtet, ergibt sich als ihr eigent«
liches Wesen die innerste Gezwungenheit zum Verändern, nicht die philo«
sophische Notwendigkeit neuer Wertsetzungen. Metzsche ist ein Phänomeno-
loge der differentiellen Psychologie wie wenige und er ist einer der großen
Vorläufer der Soziologie; leider, so kann man vielleicht sagen, sprach
er sich noch immer allzu oft in philosophischer Form aus.
Man denke sich das Leben als eine Millionen- oder Milliardenstadt
und den einzelnen Geistigen als ihr Kind, der es nicht mehr erträgt, in
den engen Mauern und Formen zu leben. Er zieht aus, gleich jenem
Coriolan, entdeckt neue Möglichkeiten, tausendfach wandelbare Möglichkeiten,
und nimmt seinen Platz ein vor den Toren. Nun umgibt er die Stadt
im Geist mit einem Kranz von Geschützen, Laufgräben, Belagerungbauten.
Er erspäht die schwachen Punkte ihrer Anlage, er läßt probeweise ein paar
Schüsse abgeben und gewahrt berauscht ihre Wirkung, er plant weiter,
erkundet die Zufuhr, die Lebensbedingungen, die Soldatenverteilung, die
Kommandoverteilung, die SLimmung, die Geld- und Warenlager der Stadt;
er rüstet sich zu ihrer Zerstörung, — aber er sieht von Iahr zu Iahr doch
wieder die Stadt wachsen, ins Anendliche wachsen, seine Macht erscheint
für die Aufgabe zu gering; er vermehrt sie, er zieht alle Denk- und
Waffenkräfte heran — immer wieder überwächst die Aufgabe die Kräfte.
Fast schwindet das Selbstvertrauen, und nur künstliche Atmung kann ihm
zuletzt noch Lebenskraft geben. Zum Sturm, zum Frontangriff von allen
2^5
wird.
Nun steht das Leben mit seinen tausend Formen, Aberkommenheiten,
Linrichtungen, Bindungen dem einzelnen Geistigen gemeinhin als eine
Summe furchtbarer Widerstande gegenüber. Das Lrerbte wandelt sich nicht
so rasch wie die Einsicht der Einzelnen, und der ungeheure Widerspruch zwi«
schen dem Geistigen und der allgemeinen Lebensform ist es, der Männer wie
Wagner, Rousseau, Tolstoi oder Metzsche im Kontrast groß werden ließ. Aus
dem Bewußtsein dieses Gegensatzes her das ständige mißtrauische Nein auf
Metzsches Lippen trotz des glühenden Wunsches nach Bejahung bis zuletzt.
Sein Nein aber stützte sich nicht vor allen Fragen und Gegenständen auf
die gleiche Motivation. Linmal verneinte er einfach, weil er nicht einsah,
einmal weil er Folgen fürchtete, einmal, weil er vielleicht die Tat, aber
nicht die Gesinnung des Tuenden billigte, einmal aus philosophischem
Denken, oft aus Instinkt, oft aus psychologischen Bedenken. Lr teilte
das Schicksal aller vielseitigen Kritiker, viel mehr Nein zu wissen als Ia.
And die strenge Unerbittlichkeit seines geistigen Wollens hatte ihr besonderes
Schicksal im Gefolge. Er empfand die „Last der Iahrtausende", das Minder-
wertige und innerlich Anbegründete der Lebensformen und ging daran, sie
zu erleichtern. Dazu bedurfte er eines Standpunktes jenseits der Zeit — hier
liegen die Motive seines Wortes „Ienseits von Gut und Böse" und seiner
Linsamkeit — vor allem aber eines ungeheuren Kraftgefühls, denn wer
alles rings um sich einreißen will, sei es auch nur, um seine Festigkeit
zu erproben, beraubt sich fast aller unserer gewohnten Kraftstützen — hier
liegt die Ouelle seines übersteigerten Selbstbewußtseins. And endlich be--
darf er eines Standpunktes überhaupt, eines wenn auch kleinen Bezirkes,
auf dem er Ia sagen kann ohne von seiner Linsicht Lügen gestraft zu
werden; diesen Bezirk hat Nietzsche lange vergeblich gesucht, er ist über
dem Suchen, das ihm geniale Lichtblicke brachte, zugrunde gegangen. Wenn
man die „Amwertung aller Werte" so betrachtet, ergibt sich als ihr eigent«
liches Wesen die innerste Gezwungenheit zum Verändern, nicht die philo«
sophische Notwendigkeit neuer Wertsetzungen. Metzsche ist ein Phänomeno-
loge der differentiellen Psychologie wie wenige und er ist einer der großen
Vorläufer der Soziologie; leider, so kann man vielleicht sagen, sprach
er sich noch immer allzu oft in philosophischer Form aus.
Man denke sich das Leben als eine Millionen- oder Milliardenstadt
und den einzelnen Geistigen als ihr Kind, der es nicht mehr erträgt, in
den engen Mauern und Formen zu leben. Er zieht aus, gleich jenem
Coriolan, entdeckt neue Möglichkeiten, tausendfach wandelbare Möglichkeiten,
und nimmt seinen Platz ein vor den Toren. Nun umgibt er die Stadt
im Geist mit einem Kranz von Geschützen, Laufgräben, Belagerungbauten.
Er erspäht die schwachen Punkte ihrer Anlage, er läßt probeweise ein paar
Schüsse abgeben und gewahrt berauscht ihre Wirkung, er plant weiter,
erkundet die Zufuhr, die Lebensbedingungen, die Soldatenverteilung, die
Kommandoverteilung, die SLimmung, die Geld- und Warenlager der Stadt;
er rüstet sich zu ihrer Zerstörung, — aber er sieht von Iahr zu Iahr doch
wieder die Stadt wachsen, ins Anendliche wachsen, seine Macht erscheint
für die Aufgabe zu gering; er vermehrt sie, er zieht alle Denk- und
Waffenkräfte heran — immer wieder überwächst die Aufgabe die Kräfte.
Fast schwindet das Selbstvertrauen, und nur künstliche Atmung kann ihm
zuletzt noch Lebenskraft geben. Zum Sturm, zum Frontangriff von allen
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