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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 17 (1. Juniheft 1914)
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Sprechsaal
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0372

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solche Ablehnungen in jüdischen Kreisen äußerst übel vermerkt. In jedem
Einzelfalle fast kamen langatmige Beschwerden an die Bundesleitung, die
jüdische Presse wurde in Bewegung gesetzt. Zuerst kümmerte man sich im
Wandervogel nicht darum. Dann aber rief der Stoß von außen den
Gegenstoß hervor. Antisemitische Parteitendenzen wurden dem Wander--
vogel von außen aufgedrängt. Die Folge war, daß die „Führerzeitung",
die zwar kein amtliches Blatt ist, aber doch von Wandervögeln heraus«
gegeben wird, in rein antisemitisches Fahrwasser geriet und mehrere Gaue
Beschlüsse faßten, die dahin lauteten, daß Iuden grundsätzlich nicht auf»
genommen werden sollten. Ietzt wurde es allerorten lebendig. Der Zentral«
verein zur Abwehr des Antisemitismus trat auf den Plan und wandte sich
sogar an den Kultusminister, der Iungdeutschlandbund wurde in Be-
wegung gesetzt, die Presse erging sich in langen Erörterungen über den
Antisemitismus im Wandervogel. Memandem war das unangenehmer
als dem Wandervogel und seiner Bundesleitung. Diese wollten von Ten«
denzen überhaupt nichts wissen. Sie wollten ihren Frieden haben und
wollten in Ruhe wandern und singen, ihre tzeimat lieben und innerlich und
äußerlich stark werden. Um zu diesem Frieden in ihren eigenen Reihen
zu kommen, entschloß man sich zu der Frankfurter Erklärung.

Sie denkt gar nicht daran, das Problem, das in der Iudenfrage steckt,
lösen zu wollen. Sie ist auch gar nicht für die Öffentlichkeit erdacht
worden. Sie gibt nur den Weg an, auf dem man innerhalb des Bundes
tatsächlich weiterzukommen wünscht. So ist sie von den Wandervögeln in
Frankfurt selbst, die die Vorgänge kannten, verstanden worden, und so
hat man sich für sie erklärt. Dreierlei enthält diese Erklärung:

t. Der Ortsgruppe muß unbedingt das Recht der freien Auslese bleiben.
Den Kindern deutscher Abstammung gegenüber wie auch den Iuden gegen«
über. Sie kann Iuden, die ihr nach ihrem Menschenwerte geeignet scheinen,
aufnehmen, sie kann andere ablehnen.

2. Damit der Ortsgruppe dieses Recht der Auslese in jedem Einzel«
salle ungeschmälert erhalten werden kann, bleibt der Bund nach wie vor
politisch und konfessionell neutral. Die Beschlüsse der Gaue und Orts«
gruppen, Iuden grundsätzlich nicht aufzunehmen, müssen für ungültig erklärt
werden.

3. Das Wesen des Wandervogels ist ganz und gar deutsch und wurzelt
in deutscher Vergangenheit. Daher ist es verständlich, daß Iuden mit
besonders ausgeprägten Rasseneigentümlichkeiten, die für diese Vergangen«
heit naturgemäß kein Verständnis haben, nicht in den Wandervogel passen
werden. Daher lehnt die Bundesleitung die Versuche der jüdischen Ver-
bände und der jüdischen Presse, die Aufnahme solcher Iuden zu er«
zwingen, entschieden ab. Die Entschiedenheit dieser Ablehnung wird ver«
ständlich, wenn man bedenkt, mit welcher tzartnäckigkeit die Versuche, die
Aufnahme jedes Iuden zu erzwingen, gemacht worden sind und wie sehr
dadurch Beunruhigung in den Wandervogel hineingetragen worden ist.
Man kann ihm wirklich nicht verdenken, daß er den dringenden Wunsch
hat, tzerr im eigenen tzause zu bleiben.

Laut erhebt man heute die Forderung, der Wandervogel müsse unter
allen Amständen frei von Tendenzen bleiben. Niemand wünscht das mehr
als der Wandervogel selber, nur freilich, daß er den Willen, vaterländisch
gesinnt zu sein und deutsche Eigenart zu erhalten, nicht zu den „Ten-
denzen" zählt. Im übrigen aber klagt er gerade diejenigen, die heute am

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