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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 17 (1. Juniheft 1914)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0409

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2um poltersbeuck

UefersHLd kLlseden mll Klssen Isidvelse.

„Falscher Myrtenkranz mit Kissen
leihweise!«

Wie wäre es, wenn ...

^^eulich saßen wir drei Freunde
^d'irgendwo gemütlich beisammen.
Da gesellte sich ein würdiger tzerr
zu uns und hielt uns über irgend
etwas einen Vortrag. Er sprach
sehr klug und liebenswürdig. Als
er wieder weggegangen war, fragten
mich die Freunde: „Sag mal, du
hast den tzerrn vorhin so interessiert
angesehen — was hast du dir ge-
dacht?" — „tzm," sagte ich, „ich
weiß nicht, ob ich das sagen soll;
ihr könntet mich vielleicht für — für
übergeschnappt Halten.^ Da bestan-
den sie erst recht darauf. „Nun,"
sagte ich, „es war sicher alles sehr
verständig, was der tzerr uns sagte;
aber als ich ihm zehn Minuten zu--
gehört hatte, überkam mich plötzlich
die Idee: »Wie wäre es, wenn du
ihm jetzt auf einmal eine Ohrfeige
gäbest.«^ — Äberrascht sahen sich
meine Freunde an, dann bekann«
ten sie, ziemlich genau das gleiche
hätten sie auch gedacht. Wir lachten
und stellten fest, daß durchaus
kein Grund zu dieser sonderbaren
Zwangsidee gewesen wäre. Und daß
es ein Rnfug sei, so was zu denken,
daß wir uns eigentlich schämen müß-
ten usw. Da warf einer von uns
ein, ob uns schon was Ahnliches
bei anderen Gelegenheiten vorgekom«
men wäre. „Ia," sagte ich, „als

Student hörte ich einmal ein Kolleg
von einem berühmten und beliebten
Professor, als mir plötzlich der Ge-
danke kam: »Wie wäre es, wenn du
plötzlich aufstündest und tzimmelherr-
gott sagtest?«" — „Ia, und ich mußte
mich einmal mit mehreren Damen
über eine Stunde lang sehr gebildet
in einer Gesellschaft unterhalten,"
fiel der andre ein, „als ich von
ihnen um irgendeine Meinung be-
fragt wurde. Dabei sahen sie mich
alle drei mit dem gewinnendsten
Lächeln an. Nun bin ich gar kein
Weiberfeind, aber gerade in jenem
Augenblicke schoß mir der Gedanke
unvertreibbar auf: Wie wäre es,
wenn du ihnen jetzt sagen würdest:
»Steigt mir alle drei auf den Buckel
hinauf!« Rnd ich mußte an mich
halten, um das nicht zu sagen." —
„Das kann ich gut verstehen," meinte
der dritte unter uns, „denn ich habe
erst kürzlich die Rmkehrung dieser
sonderbaren Lrscheinung erlebt.
Meine Tochter hatte in der Schule
einen dummen Streich gemacht, und
meine Frau bat mich, sie ordent-
lich auszuzanken. Das tat ich denn.
Rnd als ich während des Zankens
immer heftiger wurde, weil ich an
meinem Zorn selber in die tzöhe klet-
terte, schoß es mir durch den Kopf:
Wie wäre es, wenn du jetzt plötz-
lich auf sie zugingest und sie väter-
lich streicheltest? Wir andern nick-
ten. Und auf einmal ward uns
allen die merkwürdige Lrscheinung
klar als ein groteskes tzilfsmittel
des menschlichen Geistes, irgendeinem
ausgeübten Zwange zu entgehen.
Der Drück des tzöflichseinmüssens, des
Aufmerksamseinmüssens lastet auf
uns, bis aus dem Gesetz des Gegen-
satzes heraus die Vorstellung einer
Ohrfeige sich auslöst oder ein „tzim-
melherrgott" oder so was Ahnliches.
And umgekehrt zwingt uns ein Zorn-
ausbruch auf seiner tzöhe, uns in das
gegensätzliche Gebiet des „Gutseins"
einzudenken. Fritz Züricher

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