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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1914)
DOI Artikel:
Wolf, Gustav; Schultze-Naumburg, Paul: Stadtbaupflege
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0455

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Bedürfnisse, bei dem unnatürlich gesteigerten Konkurrenzkarnpf der Außer-
lichkeiten geradezu als der gebotene und natürliche Weg. Die Miethaus«
reihen werden massenhaft gebaut, massenhaft bewohnt, sind also auch als
Gesamtmasse zu formen. Der Begriff „Miethaus" schon schließt das Recht
der „individuellen Note" aus, das so anspruchsvoll gefordert wird. Wenn
schon Zeit und Geld fehlen, für jedes dieser zahllosen Häuser von neuem
einen guten Entwurf gründlich auszuarbeiten, ist es nicht das Rechte,
jedesmal einen flüchtigen schlechten hinzuwerfen, zugunsten einer schernbaren
„Mannigfaltigkeit". Vielmehr sollte eine Lösung von so einwandfreier
Güte gesucht werden, daß sie, einmal gefunden, vielfach wiederholt werden
kann, als Maßeinheit, aus deren Aneinanderreihung eine klar gegliederte
große Baumasse entsteht. Wenigstens aber sollte man sich entweder durch
örtliche Bauvorschriften oder freiwillig entschließen, gewisse Grenzen inne«
zuhalten, Gesims- und Dachhöhen gleichmäßig durchzuführen, das Haus
als Glied des Baublockes, die Blockfront als Wand der Straße, Straße
und Platz als Teile der städtischen Raumfolge, den Block als Baustein des
Gesamtstadtbildes zu behandeln. Dabei braucht die Anwendung einheit-
lichen Maßstabes nicht zu Schema und Uniform zu führen. Nur was
als Ganzes auf einmal erblickt werden wird, ist auch einheitlich zu
formen. Von Fall zu Fall verschiedene Einheiten würden den Besonder-
heiten verschiedener Bezirke gerecht. Dadurch wäre Beweglichkeit und Viel-
gestaltigkeit gesichert und ein Rahmen gefügt, in dem der Nngeschickte
nicht zu viel Nnheil stiften, der Begabte sich noch persönlich genug äußern
könnte.

Allerdings ist uns mit guten Hausformen allein noch nicht geholfen.

Einheit des Straßenbildes ist nicht erreichbar, solange das Riesen-
schaufenster des gleichgültigsten Warenlagers, die Meterbuchstaben eines
Firmenschildes tzarmonie und Rhythmus zerhacken dürfen. Drese Auße-
rungen brutalen Geschäftsgeistes, die sich gegenseitig nutzlos in die Höhe
schrauben und hetzen, verlangen als Sondergebiet ganz besonders strenge
Eindämmung.

Es ist ein unerhörter, widerrechtlicher Zustand, daß eine kleine Sonder-
gruppe in unserm Gesellschaftsleben: die sogenannten Reklame-Interessenten
— die gesamte Oberfläche der belebten Stadtteile einfach für sich in
Anspruch nehmen darf. Unsere großen Verkehrsplätze haben gar kein
architektonisches Gesicht mehr, ihre Wände stellen den vergrößerten Inseraten-
Leil einer Zeitung dar.

Die Allgemeinheit hat das volle Recht, die Beseitigung eines solchen
Zustandes auf gesetzlichem Wege zu erzwingen.

Es ist zwar schämenswert, daß die Rücksicht auf die Interessen der
Allgemeinheit, Einordnung in das rechte Waß eines Stadtganzen nicht
bei jedem Bau selbstverständlich geschieht. Aber man muß es sich rück-
haltlos eingestehen: wir brauchen dringend eine bewußte und zwingende
Lenkung der städtischen Bauentwicklung, weil die überlieferten eigentümlichen
Bauweisen der verschiedenen Landstriche nicht mehr lebendig sind. An die
Stelle des verlorenen, allgemeinen natürlichen Empfindens müssen wir eine
mäßige Führung setzen, bis neue Äberlieferungen sich bilden. Das Eil-
Lempo der Entwicklung verlangt es. Diese Aufgabe fällt den Stadtver-
waltungen zu. Die besten Architekten, auch wenn sie nicht die besten
Beamten scheinen, müßten ihnen gerade gut genug sein, einmal, um die
eigenen Bauaufgaben der Behörden in vorbildlicher Weise zu lösen, dann

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