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Kunstwart und Kulturwart — 27,3.1914

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Heft 18 (2. Juniheft 1914)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14289#0484

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feuer mehr zeigte sich funkelnd auf ihren Stumpfen. Dafür sahen wir
sie von einem Schwarme jener furchtbaren Sturmvögel umflattert, die, des
Schiffers Grauen, sein Verderben bringen und begleiten. Ein düster-
dunkler Schicksalsschwarm jener rauchbraunen Sankt Petersvögel —
„MutLer Careys Hühnchen" nennt sie der Matrose — , die immer sind,
wo der Lod ist, auf dem untergehenden Schiffe.

Nur zwei Kabellängen trennten uns noch voneinander, als das Ent-
setzliche eintrat. Eine turmhohe Wasserwand, die, keine Schiffsbreite
mehr von der Tibbie Dunbar ab, in rasender Drehung um das Zentrum
schoß, öffnete sich und tat sich plötzlich auf, wie von einer unsichtbaren
Gewalt auseinandergerissen, und wir sahen, in einem Augenblicke, wo
das wilde Geäder der phosphorisch flammenden und unaufhörlich krachen-
den Blitze die Spalte erhellte, in einen ungeheueren, schwarzen, kreißenden
Kessel hinein, der sich trichternd und in die Tiefe quirlend verlor. In
diesen kochenden Höllenschlund stürzte sich die Flutwelle, die auch uns
trug, mit dem Lausendfachen Donner des Ilntergangs durch die Kluft
hinunter und wirbelte, riß mit sich die unglückliche Tibbie Dunbar auf
Memehrwiedersehen.

Dies alles war das Werk kaum einer Sekunde. tzätten wir auch nur
einen einzigen Pulsschlag noch gezögert, unser Ruder umzulegen, so
wäre unser Schicksal das der Tibbie Dunbar gewesen. Wie es gekommen
ist, daß das schreckliche Tor des Wirbels an uns vorüberging, ich weiß es
nicht. Ich sah nichts mehr, ich hörte nichts mehr, ich fühlte nur noch, wie
es plötzlich um mich Wassernacht wurde, und ein furchtbarer Schwall, der
alles unter sich zu begraben schien, über das Schiff hinwegflutete. Von
den Wassern erst niedergedrückt und dann emporgehoben, wurde ich nur
noch durch meine Fesseln gehalten und so vor dem Hinabgleiten zur Tiefe
bewahrt. Ich hielt lange den Atem an, und es war mir schon, als wollte
mir die Brust zerspringen, als ich unter meinen Füßen den Druck des
Schiffes verspürte und mich wie auf einem Luftkasten in die atmende
Welt zurückgehoben fühlte. Als ich die Augen aufschlug, fand ich uns
wieder zwischen zwei flutenden Gewässerketten, deren Wellenberge nicht
ganz so hoch mehr gingen wie die im Äinge vor dem Mittelwirbel. Noch
dreimal wiederholte sich dieser schreckliche Vorgang, und erst nach Durch-
brechen der vierten Wassermauer gelangten wir im fünften Ringe in ein
Fahrwasser zurück, das uns einigermaßen gestattete, die Wellenberge ab-
zureiten. Zu unserm Glücke gingen jetzt auch die Wolken auf und ließen
einen heftigen Platzregen fallen, der Wind und Wellen etwas niederhielt.
Als es abends nahe an acht Achr war, die Zeit, wo sonst die erste Nacht-
wache begann, kam Tim Rafter aus dem Ruderhause und rief über das
Schiff hin: „Herr Kapitän, ich melde: Wir sind aus dem Zyklon heraus!"
In wenigen Augenblicken waren unsere Fesseln abgestreift, Türen und
Luken aufgetan, und wir lagen einander in den Armen.

Nach einer immerhin noch recht stürmischen Nachtfahrt, während deren
das Barometer, besseres Wetter kündend, langsam wieder hinaufkletterte,
ging uns am andern Morgen zum erstenmal ^wieder die Sonne auf, und
der Wind bedarte^. In manchem Auge, das schon das Weinen glaubte

^ bedaren: ruhiger werden.

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