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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 6.1930

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Lorenz-Lambrecht, Heinz: Zwei Grenadiere und ein Mädel: Skizze aus der Zeit Landgraf Ludwigs IX.
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https://doi.org/10.11588/diglit.41983#0057

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Zwei Grenadiere und ein Mädel
Skizze aus der Zeit Landgraf Ludwigs IX.
Von Heinz Lorenz

Als an diesem Morgen die Leibkompagnie ins Gewehr trat, war da ein
Loch in ihr. Kein Zweifel — man mochte sie vom rechten oder linken Flügel,
man mochte sie von vorn, hinten oder aus der Vogelperspektive besehen —. es
war ein veritables Loch da! Hasselpott, der Feldwebel, stand davor, blinzelte
mit den Augen, kniff sie zusammen, riß sie wieder auf, trat einige Schritte
zurück, kratzte sich dort, wo die tupierte Perücke ansetzte, drehte sich ganz
plötzlich um, um fix wieder kehrtzumachen und erneut auf die verfängliche
Stelle zu starren: das Loch blieb, das Loch gähnte, das Loch höhnte und
Hasselpott stöhnte.
Sozusagen der Grundpfeiler, der rechte Eckstein, der Angelpunkt, um den
sich bei einer Rechtsschwenkung das ganze Regiment drehte — fehlte. War
einfach nicht vorhanden. Hasselpott konnte sich die Augen reiben, wie er
wollte — was das schon nützte!
Hasselpott schwitzte! Der Hauptmann wollte heute morgen die Kompagnie
exerzieren, und das war ohne Eckstein nicht gut möglich.
Noch ehe Hasselpott zur Recherche, zur Inquisition, geschweige denn zu
einer klaren Resolution kam, erschien Hauptmann von Knobel. Hasselpott lieh
die Kompagnie stillftehen und meldete: „Melde gehorsamst, die erste Kom-
pagnie des Leibgrenadierregiments Seiner Durchlaucht des Landgrafen Lud-
wigs des neunten, Garnison Pirmasens, ist anqetreten — mit einem Loch!"
„Was heißt Loch?"
„Das Loch heißt Grenadier Hieronymus Schnorr."
„Das Loch — ich meine, der Hieronymus Schnorr — wird bestraft
werden."
„Ia, wenn wir das Loch — ich meine den Hieronymus Schnorr — schon
hätten!"
Hauptmann und Feldwebel, Vater und Mutter der Kompagnie, traten zu
einer Art kleinen Kriegsrats zusammen. Was konnte sich mit dem rechten
Flügelmann der Kompagnie ereignet haben?! Einen Kerl von 2,25,5 Meter
konnte man nicht gut übersehen. Er war des Landgrafen Liebling und
militärische Augenweide. Er machte Griffe, daß die Wände wackelten; er
hatte einen Paradetritt, der die Taktpauke der Regimentsmusik ersetzte; er
war der beliebteste Mann im Regiment; er war gutmütig, voll Witz und
Verstand, treu und ein rücksichtsloser Draufgänger. Alles in allem: Hierony-
mus Schnorr — ein Mordskerl.
And nun war an seiner Stelle ein Loch!
Endlich kam der Kriegsrat auf den Gedanken, die Kompagnie, der schon
die Knie zitterten, rühren zu lassen und die engeren Kameraden Schnorrs zu
befragen. Man erfuhr: Gestern abend sei noch der „Ronh" in der Kneipe der

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