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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 6.1930

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Bäte, Ludwig: Heidelberg: Betrachtung eines Norddeutschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.41983#0138

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Heidelberg
Betrachtung eines Norddeutschen
Von Ludwig Bäte- Osnabrück

Nach dem Ende meiner Mutter fuhr ich nach Heidelberg.
Der Winter war furchtbar gewesen; durch Iahre an viel Anglück gewöhnt,
war ich dieses Mal fast zusammengebrochen.
Schnee schmolz am Teutoburger Wald, der Osnabrücker Dom stand grau
in diesiger Märzfeuchte. In Heidelberg aber schäumten die Apfelbäume,
junge Mandeläste quollen aus den Vorgärten, und vom Schloß aus floh
unwirkliche Sonne in das zauberhaft aufleuchtende Tal, das einst Goethe
überschwänglich mit dem von Tempe verglichen. Nur schwer wich die Be-
täubung, und auch heute noch weiß ich nicht, was mich immer wieder an diese
Erde bindet.
Es ist nicht die Lage allein, nicht die teilweise auch jetzt noch ergreifende
Architektur der Stadt, nicht der gehäufte Reichtum des Schlosses in der Fülle
des Gewesenen, zeugend Weiterlebenden — mir gab, wie Süddeutschland
überhaupt, Heidelberg Entscheidenderes.
Stendhal meint: Icka ßeau elimat est le tresor du pauvre qui a de stäme.
Das ist trotz aller aphoristischen Zuspitzung recht. Ans Norddeutsche drückt
die Luft, wenn wir es auch nicht wahr haben wollen und uns gern hinter den
heroischen Ballungen der Wolken, der Kraft ihrer Farbe, ihrer feierlichen
Verlassenheit verstecken. An das Haus gebunden, meist schon vor dem Sieb-
zigsten „auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens", entbehren
wir das Erregende, freudig Fliehende der Sonne, vielleicht auch ihr reifstes
Blut, den Wein. Denn wieder sagt Behle, in Braunfchweigs Nebel einge-
fangen, daß uns der Wein, doch nicht die temperamentshemmenden Butter-
brote und ewigen Milchspeisen fehlten.
Willy Hellpach hat in seinen aufschlußreichen „Geopsychischen Erschei-
nungen" die nordeuropäische „blonde Rasse" als die sensitivste hingestellt.
Er hebt vor allem die geistig herabsetzende Wirkung des maritimen Klimas,
die mangelnde Angeregtheit, die verminderte Aktivität hervor. „Das psy-
chische Gleichgewicht wird oft für die Dauer etwas labiler; namentlich größere
geistige Arbeitsanforderungen erzeugen eher Störungen des Wohlbefindens."
So schwierig die Frage ist, und so sehr Hellpach immer wieder die Scheidung
zwischen geopsychischen und sozialpshchischen Momenten betont, so auffallend
ist doch die Tatsache, daß fast alle, die von Niederdeutschland hier einwander-
ten, eine starke Produktionssteigerung erfuhren. Merkwürdig ist das vor
allem bei dem unmittelbar von der See kommenden Hebbel, dessen spärlich
fliehende Lyrik in den nur fünf Monaten seines Heidelberger Aufenthalts
einen solchen (anscheinend rein klimatisch begründeten) Antrieb gewann, daß
nicht weniger als zweiunddreihig Gedichte, dazu die Erzählungen „Anna"
und „Eine Nacht im Iägerhause", entstanden.
 
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