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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 6.1930

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Henrich, Fritz-Walter: Der Heilige
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https://doi.org/10.11588/diglit.41983#0109

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Der Heilige

Von Fritz-Walter Henrich-Groß-Gerau

Das letzte Haus des Dorfes war eine Schmiede. Von da führte die Land-
straße über einen fanft ansteigenden Hügel hinweg, von dem man einen Blick
über das wellige Hügelland der Pfalz hatte, in dem Weinberge mit wohl-
gepflegten Ackerstücken und in den anmutigen Tälern mit faftigen Wiesen
abwechselten. Man sah auf der einen Seite bis zum grünschimmernden Wald
und rückwärts über die roten Dächer des Dorfes hinweg.
Auf der Höhe des Hügels lag der Gottesacker, umgeben von einer Schleh-
dornhecke und überragt von einigen hohen Tannen, die eine kleine graue
Kapelle treulich beschützten. Nicht weit davon stand ein gelbbraunes Haus,
das auffiel, weil es ebenso hoch war wie breit und kleine, lieblose Fenster ohne
Vorhänge hatte. Ein schmaler Fußpfad führte um das Haus herum, an dessen
Wänden ringsum Bänke angebracht waren.
Auf den Bänken saßen an sonnigen Tagen, deren es auf dem freiliegenden
Hügel viele gab, die alten Männer des Dorfes, die keine Angehörigen oder
Freunde mehr hatten, die sich um sie hätten kümmern können. Sie taten den
lieben langen Tag nichts als in der Sonne sitzen und träumen und denken.
Sie sprachen nicht miteinander. Sie hatten sich nichts zu sagen. Was jeder
wußte, war allen bekannt. Leben und Welt war für sie nicht mehr wichtig
und nicht sonderbar.
Sicherlich dachten sie auch manches grillenhafte und absonderliche Zeug.
Das bringt das Alter mit sich. Der eine oder andere sann über Dinge nach,
die man sich früher im Dorf erzählt hatte und die weit zurücklagen wie die
einstige kurpsälzische Herrlichkeit, von der auch in diesem Dorf noch sagenhaft
gewordene Geschichten berichteten, und mancher machte sich Gedanken darüber,
daß trotz aller Kriegsnot, die einst das Land verwüstet, die Dörfer zerstört und
sogar vor den Mauern der Stadt Heidelberg nicht halt gemacht hatte, doch
wieder Segen ins Land gekommen war, daß die Mühe und Arbeit der Land-
wirte und Weinbauern belohnt worden war und die ganze Gegend jedes Jahr
in einen prachtvollen Garten Gottes verwandelt wurde.
Gewiß, das war wunderbar, was man in einem langen Leben erfährt, und,
wie die Menschen so kommen und gehen von Geschlecht zu Geschlecht, das
muhte irgendeinen Sinn, einen Zusammenhang mit dem Aufblühen und Wel-
ken in der Natur haben. Das Erdenleben war doch nur ein kurzes Verweilen
und die Erfüllung spärlicher Ausgaben vor dem Tod und der Ewigkeit im
Himmel. Man konnte doch arg viel darüber Nachdenken und nie die Rätsel
ergründen, die Werden und Vergehen mit einem Weichen Schleier umhüllen,
als würde uns der Anblick der Wahrheit erschrecken und uns die Liebe zum
Leben rauben.
Am die Mittagszeit, wenn die Sonne von der andern Seite als am Morgen
zu scheinen begann und die östliche Hauswand in Schatten tauchte, rutschten

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