Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 6.1930

DOI Artikel:
Reidel, Erna: Die Mannheimerin und ihr Leben vor hundert Jahren
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41983#0063

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Mannheimerin und ihr Leben
vor hundert Zähren

Von Erna Reidel


Welch ein Unterschied zwischen dem Mannheim von heute und dem vor
hundert Jahren, welch ein Unterschied zwischen einem Frauendasein von heute
und damals!
Mannheims höfischer Glanz war verblichen, die lebhafte, von rauschenden
Festen und regem geistigem und künstlerischem Leben erfüllte Residenz hatte
sich zur stillen Kleinstadt gewandelt. And wenn auch die verwitwete Groß-
herzogin Stephanie hier residierte, so war doch im Leben der Stadt kaum
etwas von diesem Hofhalt zu spüren, da Stephanie äußerst zurückgezogen
lebte. Nicht wie einst in Karl Theodors prunkvollen Tagen fuhren stolze
Prunkkarossen durch Mannheims Straßen; es war schon ein Ereignis, wenn
eine altmodisch gewordene Equipage gemächlich über das grasbewachsene
Pflaster in den grasbewachsenen Schloßhos fuhr; es war ein Ereignis, wenn
in den Straßen, die in wehmütiger Resignation verstummt schienen, ein
fremdes Gesicht auftauchte.
Aus den Planken wucherten lustig Vogelkraut und Löwenzahn und auf den
Plankenketten „gauntschten" vergnügt die Kinder, bliesen die Lichter des Lö-
wenzahns aus oder fertigten sich Halsketten aus deren Stengeln.
Allenthalben zeigte es sich, daß das einfach-bürgerliche, gemütliche Idyll
der Biedermeierzeit das elegante und galante, lebhafte und geistvolle Ca-
priccio des Rokoko verdrängt hatte.
Schon durch den Wegzug des kurpfälzischen Hofes nach München hatten
sich Mannheims wirtschaftliche Verhältnisse wesentlich ungünstiger gestaltet.
Die Revolutionskriege waren über die Stadt hinweggebraust, die Befreiungs-
kriege mit ihren Nachwehen und die Hungerjahre nicht spurlos an ihr vorüber-
gegangen. So kam es, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht eben glänzend
waren, wie die vielen Gantanzeigen in den damaligen Jahrgängen der Mann-
heimer Zeitungen dartun, und im allgemeinen zu einer bescheidenen Lebens-
führung nötigten, die aber mit dem beginnenden Aufschwung um 1830 schnell
breiter und üppiger zu werden begann. Aeberhaupt zeigt jene Nachkriegszeit
so manchen Zug der unseren, und es wäre verfehlt anzunehmen, daß die
augenniederschlagende Sittsamkeit jener Epoche ohne Sinnlichkeit gewesen
wäre (siehe Kotzebues Stücke, die mit Ausdauer auf dem Mannheimer Natio-
naltheater gespielt wurden, und Clauren, den man auch hier las), und die
spießerhafte Bürgerlichkeit ohne Lebenslust. Außer der besonderen, stammes-
mäßigen Veranlagung helfen alle diese Zeitmomente mit, das Bild der
Mannheimerin jener Tage und ihr Frauenleben zu gestalten.
Die Erziehung der Mädchen war ziemlich einfach und ganz auf den
Frauenberuf der Hausfrau, Gattin und Mutter eingestellt. Allerdings fing
man gerade damals an, auch an die Bildung der künftigen Hausfrau größere

45
 
Annotationen