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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 6.1930

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Hermann, Georg: Eisgang auf dem Neckar
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https://doi.org/10.11588/diglit.41983#0141

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Eisgang auf dem Neckar
Von Georg Hermann-Neckargemünd


Man sollte das doch einmal aufschreiben, ehe es in der Erinnerung
langsam zerschmilzt, so, wie ja die Eisschollen langsam zerschmelzen und Tag
für Tag mehr abtröpfeln, die nun noch in schmutzigen Wällen am Afer liegen,
eine langsam dahinschwindende von Scillen, Veilchen und Primeln umblühte
Eisbarrikade von vielen, vielen Kilometer Länge.
Hier gibt es nämlich wenig Schnee und Eis sonst. Es kommt kaum vor.
daß der Neckar einmal zufrieren will. Alle paar Winter ein Paar Tage lang.
And dann ist es gar mit dem Winter. Vorher schwammen dann stets solche
runden Schollen im Wasser langsam dahin, so groß, wie die Blätter von See-
rosen und Lotosblumen... selten nur, wie die der Victoria re§ia.
Aber der Vergleich mit Seerosenblättern ist nicht besonders treffend; sie
sehen eher mit ihren abgeriebenen, weihen Rändern wie Maiblumen aus. Das
heißt: nicht wie richtige, sondern wie solche aus Stearin. Erinnert man sich
nicht? Wir haben doch immer — damals, als wir Kinder waren — eine
brennende Kerze genommen und den heißen Stearin langsam und tropfenweise
in eine Waschschüssel tropfen lassen. Eben, weil dann solche flachen Mai-
blumen mit gezackten Rändern auf dem Wasser entstanden, langsam um-
einander herumschwammen, sich suchten, sich mieden, sich aneinander rieben,
eine Weile zusammen blieben und sich wieder lösten zu träumerischer Einsam-
keit. Das war sehr aufregend und sehr geheimnisvoll.
So — bloß um ein Vielfaches vergrößert! — sah es ungefähr aus. Es gab
dabei auch — nur akustisch vergrößert — gerade wie bei unserm Experiment
in der Waschschüssel ein leises, knisterndes Geräusch, wenn so die Schollen an-
einander sich rieben, oder an dem grünen Aferstreifen — auch im Winter
grünen! — langsam entlangglitten.
Man blickte ihnen nach, wie sie auf den grauen, gekräuselten, im Frost leise
dampfenden Wasserflächen dahinzogen, und fühlte dabei den Sinn der Rätsel-
worte aus den „chinesischen Jahreszeiten": „Treibe Scholle nur hin... und
kommst du nicht als Scholle, so kommst du doch als Tropfen ins Meer." Das
also ist „Eisgang" dachte ich mir . . . solche eine winterlich-melancholische,
idyllische Angelegenheit. Nur eins machte mich stutzig. Warum fand man so
in alten Neckarnestern ganz oben an den Häusern manchmal Markierungen,
auf denen stand „1784 (oder vielleicht 1824) Hochwasser und Eisgang"?
Aber dieses Mal war das ganz anders. Erst gab es Wohl die großen Eis-
maiglöckchen; aber immer mehr Blumen kamen alsbald angetrieben auf dem
träge hinziehenden Wasser. Dann schlossen sie sich zusammen in einer Bie-
gung des Flusses zu großen, unruhigen und bewegt atmenden Flächen,
zwischen denen hie und da in schmalen Rissen dunkles Wasser, nervös und
fahrig geworden, seinen Weg sich suchte. An den Afern blieben die Cismassen
hängen, und schoben von da Brückenpfeiler und Pontons in den Fluh vor.

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