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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 6.1930

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Reidel, Arnulf: Der Pestfluch
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https://doi.org/10.11588/diglit.41983#0221

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Der Pestfluch
Eine Erzählung aus Mannheims Pestjahr
Von Arnulf Reidel-Mannheim


Während meines letzten Aufenthaltes in Paris war ich oft an den Stän-
den der Bouquinistes zu finden, bei denen man in unvergleichlicher Weife
Raritäten und Belanglosigkeiten der Vergangenheit aufstöbern kann. Einer
von ihnen, dessen sonderbares Aeutzere dem seligen E. T. A. Hoffmann un-
gemeine Freude gemacht hätte, gab mir eines Tages ein altes Manuskript in
die Hand. Es mochte aus dem 17. Jahrhundert stammen, und die vergilbten
mit einer zierlich schön geschriebenen Handschrift bedeckten Papierblätter
waren durch einen beriebenen und beschmutzten Ledereinband geschützt.
Der Inhalt des Manuskripts ließ ein düsteres Bild der Vergangenheit
entstehen. Die wenigen Blätter sprachen plötzlich mit der immer beredten
Stimme des Schmerzes zu mir, ich entrückte alsbald den verständnislosen
Händen des Bouquinifte diesen Schatz, sah lange mit traurigen Augen in die
Abgründe eines Schicksals und einer kummerbeladenen Zeit. Die längst ver-
moderte Hand hatte also geschrieben:
— Verließ Padua mit dem Fluch des Toten beladen, lieh hinter
mir zurück den guten Ruf meiner ärztlichen Geschicklichkeit und den schlechten
meiner zahllosen Liebeshändel, Prellereien, Foppereien schwer erzürnter,
heimlicher Schwiegerväter, schüttelte von mir ab die wilden Flüche gehörnter
Ehemänner. Fürwahr, ich hatte ein lustig Leben geführt, und wenn ich an
euch zurückdenke, ihr meine beiden wackeren Gefährten, Annibale und Wolf-
gang, so kommen mir ob eures frühen Todes die Tränen, obwohl man eigent-
lich Tote nie bedauern sollte, da sie längst alle Kämpfe des Lebens durch einen
ewigen Frieden beendet haben. Damals freilich dachten wir solches nicht und
verlachten die eifernden Pfaffen, die das Leben lästerten und den Tod priesen.
Schrien vielmehr Beifall, wenn Annibale beim Gelage rief: „Da wir nach
dem festen Glauben der Väter, Mütter, Ehemänner teuflische Höllenbraten
sind, so wollen wir luftig weiter sündigen, damit es der Milde Gottes nicht zu
schwer gemacht wird, uns zum Höllenpfuhl zu verdammen." Solches sagte er
oft, leerte darnach sein großes Venezianer Glas und sang ein derbes Buhl-
liedchen.
Run, er schmeckt längst statt des Malvasiers die feuchte Erde, gleich Wolf-
gang von Sbirren erstochen, und ich bin trotz meiner dreiunddreißig Iahre ein
müder Mann geworden, dem noch immer, treulich von einem alten Domini-
kaner ausgerichtet, die Verwünschungen des alten Borromeo in die Ohren
klingt: „Peftbube, die Pest soll sich an deine Sohlen heften, dein Atem soll
Pesthauch sein, Peftleichen sollst du tragen und zwischen ihnen endlich be-
graben werden bis an den Tag des Gerichts."
Wenn ich nicht wüßte, daß der grauenhafte Fluch des alten Geizhalses
mich überallhin verfolgt, so daß ich ruhelos von einer Stadt zur andern ziehen

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