Nach W. heißt das: „Sei dir die Erde leicht, Weib, du hast dich deines Lebens in höchstem Grade
würdig erwiesen, das du einst mit deinen Wohltaten erquicktest." — Lohnt es sich, über den Sinn
dieser Übersetzung nachzugrübeln? Eine Anspielung auf ,,Baiae" etwa?
Die Worte des Atimetus an seine verstorbene Frau (12 c) druckt W. folgendermaßen:
Si pensare animas sinerent crudelia fata,
et posset redimi morte aliena salus,
^ quantulacumque meae debentur tempora vitae.
pensassem pro te, cara Homonoea, libens.
at nunc, quod possum, fugiam '"lucemque deosque,
ut te matura per Styga morte sequar.
Das ist offensichtlich kein Latein (richtig z.B. bei Peek, Griech. Vers-Inschriften I 2008); aber der
Punkt nach V. 3 ist kein Druckfehler, wie die Übersetzung zeigt:
Wenn das grause Geschick erlaubte, Seelen aufzuwägen und ein Leben
mit fremdem Tode erkauft werden könnte, wie klein wäre dann noch mei-
ne Lebenszeit; ich würde sie einsetzen für dich, liebe Homonea, voller
Freude. Aber jetzt will ich, so gut ich kann, vor dem Tageslicht und den
Göttern fliehen, damit ich dir in raschem Tod an den Styx folgen kann.
Und noch manches ist hier verfälscht: nicht ,,graus" ist das Schicksal, sondern grausam, „mit
dem Tode das Leben eines anderen erkaufen" ist etwas anderes als W.s Übersetzung, schließlich
wünscht niemand sich „an den Styx", sondern über ihn — bzw. sie — hinweg.
Die letzten Worte der Verstorbenen
quodque mihi eripuit mors immatura iuventae,
id tibi victuro proroget ulterius
heißen nach W.: „Was mir der frühzeitige Tod entriss, möge er dir, wenn du es überwunden
hast, für dein weiteres Leben zusetzen." — Vincere oder vivere, das scheint hier die Frage: also
sicherheitshalber gleich zwei Übersetzungen (dafür ist ita 2 Zeilen darüber ganz weggeblieben).
Nr. 109 heißt es von einem Verstorbenen: naturae socialem spiritum corpusque origini reddidit,
„er gab der Natur den (ihr) verwandten Geist und den Leib seinem Ursprung zurück". Der be-
merkenswerte Gedanke (bei Trierer Kaufleuten in Lyon) wird von W. so verändert: „So mußte er
seine dem Körper verbundene Seele ihrem Ursprung zurückgeben".
Ebendiesem Toten haben Freunde und Mitfreigelassene den Grabstein gesetzt, nachdem er bei
dem Versuch, noch „etwas" (wohl: gemeinschaftlichen Besitz) aus dem Brand des Hauses zu ret-
ten, umgekommen war. Nach W.s Übersetzung wurde er „durch diesen Ausgang von schwere-
rem Schaden als dem Verlust der gesuchten Sache betroffen" — das klingt reichlich naiv und ein
bißchen herzlos; aber es ist nicht die Schuld derer, die den Stein setzten; diese erklären nämlich,
sie selbst seien graviore damno rei amissione adflicti.
Der Nachruf auf die Hebamme Julia Pieris (Nr. 68) ist schwerlich so gemeint: „Hier liegt sie, kei-
nem zum Ärger" (hic iacet nulli gravis). Immerhin wird hier auf eine bessere Interpretation ver-
wiesen.
Schließlich Nr. 65: Der Viehhändler Jucundus klagt auf dem bekannten Mainzer Grabstein: vide
quam indigne raptus inane querar, „sieh, wie jammervoll (unverdient, empörend) dahingerafft
ich nun nutzlos klage". Für W. heißt das: „sieh, wie schmählich ich die Nutzlosigkeit meiner Le-
bensberaubung beklagen muss."
Obelix kann sich bestätigt fühlen: Sie spinnen wirklich, die Römer — jedenfalls in dieser „Quel-
lensammlung zur Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit". DR. MARTIN SiRiNG, Lüneburg
74
würdig erwiesen, das du einst mit deinen Wohltaten erquicktest." — Lohnt es sich, über den Sinn
dieser Übersetzung nachzugrübeln? Eine Anspielung auf ,,Baiae" etwa?
Die Worte des Atimetus an seine verstorbene Frau (12 c) druckt W. folgendermaßen:
Si pensare animas sinerent crudelia fata,
et posset redimi morte aliena salus,
^ quantulacumque meae debentur tempora vitae.
pensassem pro te, cara Homonoea, libens.
at nunc, quod possum, fugiam '"lucemque deosque,
ut te matura per Styga morte sequar.
Das ist offensichtlich kein Latein (richtig z.B. bei Peek, Griech. Vers-Inschriften I 2008); aber der
Punkt nach V. 3 ist kein Druckfehler, wie die Übersetzung zeigt:
Wenn das grause Geschick erlaubte, Seelen aufzuwägen und ein Leben
mit fremdem Tode erkauft werden könnte, wie klein wäre dann noch mei-
ne Lebenszeit; ich würde sie einsetzen für dich, liebe Homonea, voller
Freude. Aber jetzt will ich, so gut ich kann, vor dem Tageslicht und den
Göttern fliehen, damit ich dir in raschem Tod an den Styx folgen kann.
Und noch manches ist hier verfälscht: nicht ,,graus" ist das Schicksal, sondern grausam, „mit
dem Tode das Leben eines anderen erkaufen" ist etwas anderes als W.s Übersetzung, schließlich
wünscht niemand sich „an den Styx", sondern über ihn — bzw. sie — hinweg.
Die letzten Worte der Verstorbenen
quodque mihi eripuit mors immatura iuventae,
id tibi victuro proroget ulterius
heißen nach W.: „Was mir der frühzeitige Tod entriss, möge er dir, wenn du es überwunden
hast, für dein weiteres Leben zusetzen." — Vincere oder vivere, das scheint hier die Frage: also
sicherheitshalber gleich zwei Übersetzungen (dafür ist ita 2 Zeilen darüber ganz weggeblieben).
Nr. 109 heißt es von einem Verstorbenen: naturae socialem spiritum corpusque origini reddidit,
„er gab der Natur den (ihr) verwandten Geist und den Leib seinem Ursprung zurück". Der be-
merkenswerte Gedanke (bei Trierer Kaufleuten in Lyon) wird von W. so verändert: „So mußte er
seine dem Körper verbundene Seele ihrem Ursprung zurückgeben".
Ebendiesem Toten haben Freunde und Mitfreigelassene den Grabstein gesetzt, nachdem er bei
dem Versuch, noch „etwas" (wohl: gemeinschaftlichen Besitz) aus dem Brand des Hauses zu ret-
ten, umgekommen war. Nach W.s Übersetzung wurde er „durch diesen Ausgang von schwere-
rem Schaden als dem Verlust der gesuchten Sache betroffen" — das klingt reichlich naiv und ein
bißchen herzlos; aber es ist nicht die Schuld derer, die den Stein setzten; diese erklären nämlich,
sie selbst seien graviore damno rei amissione adflicti.
Der Nachruf auf die Hebamme Julia Pieris (Nr. 68) ist schwerlich so gemeint: „Hier liegt sie, kei-
nem zum Ärger" (hic iacet nulli gravis). Immerhin wird hier auf eine bessere Interpretation ver-
wiesen.
Schließlich Nr. 65: Der Viehhändler Jucundus klagt auf dem bekannten Mainzer Grabstein: vide
quam indigne raptus inane querar, „sieh, wie jammervoll (unverdient, empörend) dahingerafft
ich nun nutzlos klage". Für W. heißt das: „sieh, wie schmählich ich die Nutzlosigkeit meiner Le-
bensberaubung beklagen muss."
Obelix kann sich bestätigt fühlen: Sie spinnen wirklich, die Römer — jedenfalls in dieser „Quel-
lensammlung zur Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit". DR. MARTIN SiRiNG, Lüneburg
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