Einleitung
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Meinungsbildung und Überzeugung statt. »Solennität« und politisches Kalkül
verschmolzen zu einer Verbindung aus »Formstrenge, Feierlichkeit und Wirk-
mächtigkeit« ü
Damit eng verknüpft ist viertens der Verweischarakter, wie er Ritualen
innewohnt und auch bei Herrscherfreffen in Erscheinung tritt. Symbolisches
Handeln weist über sich selbst hinaus und stellt dabei immer auch Bezüge
zu einem größeren Ordnungszusammenhang herÜ Dieser größere Zusam-
menhang wird dadurch Referenz, Allusion. Er bekräftigt, was wiederum den
symbolischen Akt selbst bestätigt. Der Verweis auf die Ordnungsstruktur ei-
ner Welt- und Werteordnung verleiht den Konventionen eines Rituals Geltung
und Autorität. '* Aus dieser wechselseitigen Abhängigkeit geht eine beidseitige
Bestärkung hervor. In Bezug auf Herrschertreffen ist dies zunächst in der zeit-
lichen Dimension des symbolischen Handelns zu sehen. Im Rahmen einer Be-
gegnung kommt es zu Begrüßungen, Eiden, Tisch- und Mahlgemeinschaften
vor Zeugen, die über die Gegenwart des Aktes hinausweisen, indem sie an ver-
gangenes Handeln erinnern, und zu zukünftigem Handeln verpflichten. ' Ein
Begrüßungskuss war demnach nicht nur ein Wirklichkeitsausschnitt, der ge-
genwärtige Nähe und Freundschaft symbolisierte, sondern er konstruierte, ja
erschuf eine bestimmte Wirklichkeit. Dazu zählen Konzepte und Denkfiguren
wie nrrHcz'üfÜ die unabhängig von politischen Gegebenheiten
als erhabene, wirklichkeitsresistente Vor- und Referenzbilder dienten.
Die Absichten, das Engagement und die innere Überzeugung der Beteilig-
ten waren für den Ausgang von Herrschertreffen konstitutiv. In nur sehr weni-
gen Fällen ließ sich eine Wirkung durch ein persönliches Treffen nach weisen,
die im Gegensatz zu den Handlungsabsichten eines Teilnehmers standen, ohne
bereits als anderes Ritual eigenen Rechts gelten zu können. Hierbei sei nur die
Deposition von Johann Balliol genannt, bei der im Jahre 1296 vor den Augen
Eduards I. von England der schottische König seines Amtes enthoben wurdeü
die Wirkmächtigkeit des Rituals also auf dem äußeren Vollzug beruhte.
Aus der Perspektive königlichen Handelns stellt eine Begegnung mit einem
auswärtigen Monarchen ein Ritual auf der Makroebene dar, das in Aufwand
und Umfang anderen Ritualen des Königtums gleichkommt, dessen Struk-
tur allerdings viel stärker durch politische und situative Gegebenheiten denn
durch Traditionen oder normierende Texte gekennzeichnet ist. Gleichwohl ver-
mag ein derartiges Ritual in seiner Relevanz für politisch-soziale Ordnungen,
79 STOLLBERG-RiLiNGER, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, S. 502f.
80 HARTH, Handlungstheoretische Aspekte der Ritualdynamik, S. 95f.; THUM, Politik im hohen
Mittelalter, S. 921.
81 Grundlegend: ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter; DERS., Die Macht der Rituale,
S. 301 u. ö.
82 ALTHOFF, Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftstiftende Charakter des Mahles, S. 13-25.
83 GARNIER, Amicus amicis - inimicus inimicis; für Burgund vgl. jüngst OscHEMA, Freundschaft
und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund, S. 109-117; PARADisi, LGamicitia« internazionale
nell'alto medioevo, S. 178-225; NoLTE, Der Begriff und das Motiv des Freundes in der Gesch-
ichte der deutschen Sprache und älteren Literatur, S. 126-144.
84 WiELERs, Zwischenstaatliche Beziehungsformen im frühen Mittelalter, S. 119.
85 STONEs/BLouNT, The Surrender of King John of Scotland to Edward I in 1296, S. 94-106.
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Meinungsbildung und Überzeugung statt. »Solennität« und politisches Kalkül
verschmolzen zu einer Verbindung aus »Formstrenge, Feierlichkeit und Wirk-
mächtigkeit« ü
Damit eng verknüpft ist viertens der Verweischarakter, wie er Ritualen
innewohnt und auch bei Herrscherfreffen in Erscheinung tritt. Symbolisches
Handeln weist über sich selbst hinaus und stellt dabei immer auch Bezüge
zu einem größeren Ordnungszusammenhang herÜ Dieser größere Zusam-
menhang wird dadurch Referenz, Allusion. Er bekräftigt, was wiederum den
symbolischen Akt selbst bestätigt. Der Verweis auf die Ordnungsstruktur ei-
ner Welt- und Werteordnung verleiht den Konventionen eines Rituals Geltung
und Autorität. '* Aus dieser wechselseitigen Abhängigkeit geht eine beidseitige
Bestärkung hervor. In Bezug auf Herrschertreffen ist dies zunächst in der zeit-
lichen Dimension des symbolischen Handelns zu sehen. Im Rahmen einer Be-
gegnung kommt es zu Begrüßungen, Eiden, Tisch- und Mahlgemeinschaften
vor Zeugen, die über die Gegenwart des Aktes hinausweisen, indem sie an ver-
gangenes Handeln erinnern, und zu zukünftigem Handeln verpflichten. ' Ein
Begrüßungskuss war demnach nicht nur ein Wirklichkeitsausschnitt, der ge-
genwärtige Nähe und Freundschaft symbolisierte, sondern er konstruierte, ja
erschuf eine bestimmte Wirklichkeit. Dazu zählen Konzepte und Denkfiguren
wie nrrHcz'üfÜ die unabhängig von politischen Gegebenheiten
als erhabene, wirklichkeitsresistente Vor- und Referenzbilder dienten.
Die Absichten, das Engagement und die innere Überzeugung der Beteilig-
ten waren für den Ausgang von Herrschertreffen konstitutiv. In nur sehr weni-
gen Fällen ließ sich eine Wirkung durch ein persönliches Treffen nach weisen,
die im Gegensatz zu den Handlungsabsichten eines Teilnehmers standen, ohne
bereits als anderes Ritual eigenen Rechts gelten zu können. Hierbei sei nur die
Deposition von Johann Balliol genannt, bei der im Jahre 1296 vor den Augen
Eduards I. von England der schottische König seines Amtes enthoben wurdeü
die Wirkmächtigkeit des Rituals also auf dem äußeren Vollzug beruhte.
Aus der Perspektive königlichen Handelns stellt eine Begegnung mit einem
auswärtigen Monarchen ein Ritual auf der Makroebene dar, das in Aufwand
und Umfang anderen Ritualen des Königtums gleichkommt, dessen Struk-
tur allerdings viel stärker durch politische und situative Gegebenheiten denn
durch Traditionen oder normierende Texte gekennzeichnet ist. Gleichwohl ver-
mag ein derartiges Ritual in seiner Relevanz für politisch-soziale Ordnungen,
79 STOLLBERG-RiLiNGER, Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, S. 502f.
80 HARTH, Handlungstheoretische Aspekte der Ritualdynamik, S. 95f.; THUM, Politik im hohen
Mittelalter, S. 921.
81 Grundlegend: ALTHOFF, Spielregeln der Politik im Mittelalter; DERS., Die Macht der Rituale,
S. 301 u. ö.
82 ALTHOFF, Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftstiftende Charakter des Mahles, S. 13-25.
83 GARNIER, Amicus amicis - inimicus inimicis; für Burgund vgl. jüngst OscHEMA, Freundschaft
und Nähe im spätmittelalterlichen Burgund, S. 109-117; PARADisi, LGamicitia« internazionale
nell'alto medioevo, S. 178-225; NoLTE, Der Begriff und das Motiv des Freundes in der Gesch-
ichte der deutschen Sprache und älteren Literatur, S. 126-144.
84 WiELERs, Zwischenstaatliche Beziehungsformen im frühen Mittelalter, S. 119.
85 STONEs/BLouNT, The Surrender of King John of Scotland to Edward I in 1296, S. 94-106.