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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0106

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41 Städtisch-problematisierend

Die Sündhaftigkeit der Menschen hatte Herrschaft nötig gemacht, aber die
irdische Ordnung wurde „in ihrer Natur derart verändert, dass unter der
Heftigkeit der Waffen die Gesetze schweigen und die Gerechtigkeit ihren
Richterstuhl verlassen hat, auf dem nun der (Einzel-)Wille sitzt."' Mit diesen
Worten beklagte sich das personifizierte ,Volk' in Alain Chartiers Streitge-
spräch, dem QuadnlogMC mvcHz/) nicht nur über die vielen Bedrückungen
durch den Krieg, sondern stellte das Problem als ein grundsätzliches dar: Im
Krieg herrschte das Recht des Stärkeren und das Volk zog dabei den Kürze-
ren, da es auf den Schutz durch die Obrigkeit angewiesen war. Die CdronzzjMC
dzfe de /een de Venehe veranschaulichte den Zeitgeist anhand einer Parabel: Ein
Hund genoss das volle Vertrauen seines Herrn und sollte für diesen Schafe
hüten. Nach einiger Zeit aber schloss der Hund mit dem Wolf einen Pakt:
Dieser riss ein Schaf und der Hund täuschte vor, den Wolf zu verfolgen -
außer Sichtweite des Hirten aber teilten sie dann die Beute. Der Hund erntete
für seine vorgebliche Treue und Mühe viel Lob und täuscht seinen Herren so
lange, bis alle Schafe gerissen waren.^ Aus der Sicht des Chronisten, der für
seine Sympathie für die einfache Bevölkerung gegenüber bekannt ist, hatten
die Adligen als ZW/zdores die Aufgabe, das Volk zu beschützen. Statt aber
Plünderer und Diebe zu jagen, machten sie inzwischen - die Parabel ist zum
Jahr 1363 verfasst, als nach dem Frieden von Bretigny viele Cozppagnzcs plün-
dernd durch das Land zogen - mit den eigentlichen Feinden gemeinsame
Sache. Die Welt war in Unordnung geraten.
Es fällt schwer, die Perspektive des ,Volks' auf Gewalt zu beschreiben:
Einblicke in die Sichtweise des ländlichen Bevölkerung, wie der Autor der
CZzronzzjMC dde de /een de Venehe sie ansatzweise bietet, sind äußerst selten. Die
Klagen über Verwüstungen und Plünderungen wiederum haben oft stereoty-
pen Charakter und werden von Autoren jeglicher Couleur herangezogen, um
wahlweise die moralische Verkommenheit der Zeit oder die Gefährdung des
Königreichs auszumalen. Die städtische Perspektive lässt sich dank Autoren
wie dem Bourgeois de Paris oder auch dem in St. Denis beheimateten Michel
Pintoin schon genauer fassen. Trotz dieser Schwierigkeiten versucht das vor-
liegende Kapitel, beide Sichtweisen in ihren Gemeinsamkeiten und Beson-
derheiten parallel zu behandelnd

1 Pt Ze/ement est /a c/?ose menee et eZzangee de sa natnre t?Me entre /'impetMosite des armes se taZsent /es
/oZs, et /MstZee a /aissie son siege trZZama/ OMpne/ se siet eZ preside VoM/ente. Chartier, Quadrilogue,
S. 29f. Chartier zitiert hier das sprichwörtlich gewordene Diktum Ciceros: SZZent enim Zeges Zn Zer
arma. Cicero, XIV, S. 16 (Pro T. dnnio MZ/one, § 11).
2 Chronique dite de Jean de Venette, S. 260-262.
3 Vgl. Kaeuper, War, S. 373-377.
 
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