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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 27.1928

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Wolf, Georg Jacob: Das Schlosstheater in München: Architekt: Oswald Schuller, München, B. D. A., Bildhauer: Knut Anderson, München
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https://doi.org/10.11588/diglit.48540#0145

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Bildhauer Knut Anderson, München
Supraporte

DAS SCHLOSSTHEATER IN MÜNCHEN
Architekt: Oswald Schiller, München, B.D.A.
Bildhauer: Knut Anderson, München

Vor kurzem überfiel München eine Art Fieber, Kino-
paläste zu erbauen oder vorhandene Säle und Gebäude
in Kinotheater umzuwandeln. Die Zahl der Kinositzplätze,
die bis zum Spätherbst 1926 vorhanden war, wurde ver-
doppelt. Es ging dabei oft etwas wahllos und unkünstlerisch
zu; das eigentliche Wesen des Kinotheaters wurde verkannt,
konstruktive wie dekorative Aufgaben blieben ungelöst oder
die Lösung war eine rein äußerliche, mehr eine Attrappe
als ein gesunder Baukörper entstand, und wilde Ornamentik
machte sich breit.
Als man erfuhr, daß in dem Münchner Außenbezirk Neu-
hausen, in der Nymphenburgerstraße, gegenüber dem alten
Jagdschlößchen aus kurfürstlicher Zeit, in eine seit bald einem
halben Jahrhundert bestehende italienisierende Villa ein
Kinotheater, das „Schloßtheater“ genannt sein sollte, einge-
baut werde, konnte man der Meinung sein, auch da ent-
stehe wohl, weil sich das vorhandene Gebäude nicht gerade
sehr ansprechend gab, etwas künstlerisch wenig Erfreuliches.
Indessen erwies sich die Sorge als unbegründet. Wohl be-
steht zwischen der erhaltenen Fassade der Villa und dem
Innern des Theaters eine gewisse Diskrepanz, weil sich hier
zwei Welten voll Widersprüchen begegnen, weil zwischen
dem erhaltenen Alten und dem hinzugekommenen Neuen
eine Entwicklungsspanne von Jahrzehnten und von grund-
sätzlichen Widersprüchen liegt. Aber der Baukünstler und
sein künstlerischer Mitarbeiter lösten die ihnen gestellte
Aufgabe in der Weise, daß sie am Altbau nicht lange
herumkünstelten, nur einen architektonisch stark betonten,
von charakteristischen Laternen bekrönten Eingang- schufen
und im übrigen sogleich „in medias res“ führten, in einen
kubisch sehr ansprechenden Saal mit den nötigen stimmungs-
fördernden Vor- und Nebenräumen, die alle vom gleichen
Geist beseelt, vom gleichen künstlerischen Willen erfüllt,
von starkem Formgefühl getragen sind.
Oswald Schiller B.D.A. stand nicht vor seiner ersten

Kinotheater-Schöpfung. Was er früher erprobt und über
seiner Arbeit erkannt und gelernt hatte, konnte er bei dem
Neuhausener Schloßtheater in reifste Erscheinung treten
lassen. Das gleiche gilt von der Plastik Knut Andersons.
Dieser ungewöhnliche, durch die Fülle seiner phantasiereichen
Einfälle und seine graziöse Formgebung ausgezeichnete
Künstler hat u. a. einem Kinotheater in Pforzheim überaus
aparten Schmuck gegeben und ähnliche Aufgaben vieler-
orts gelöst, wie denn auch diese Veröffentlichung einige
anderwärts gegebene Proben seiner Kunst begleiten. Ander-
sons dekorative Note und die architektonische Grundmelodie
Schillers klingen gut zusammen. Es wurde ein Werk aus
einem Guß. Den betonten Saalcharakter in den Ausmaßen
lösen die eingebauten intimen Logen und der der Stirn-
seite gegenüber angeordnete Rang, gleichfalls mit einer be-
haglichen Logenreihe ausgestattet, auf. Die Schmuckmomente
umrahmen besonders den Bühnenausschnitt und spielen
herüber zu der wuchtigen Hohlkehle, hinter der die indirekte
Beleuchtung eingebaut ist. Hier wirken besonders sprechend
zwei in Dreiecksform komponierte Liegefiguren, Papageno
und Papagena, beide mit den stillebenhaften Attributen
ihrer Rollen. Die feinsinnige Unterteilung des Bühnenrahmens,
dessen Seitengewände wie junge Bäume aufsteigen, die
figürliche und ornamentale Plastik, die sich um die Uhr
über der Bühne rankt, die kleinen emblemeartigen Stilleben
in der Kassenhalle, in den Vorräumen, an der Rangbrüstung,
die Beleuchtungskörper und Orgelgitter, vor allem der von
Architekt und Bildhauer in glücklichem Einvernehmen ge-
schaffene farbige Schmuck, der dem Hause Reiz und Eigen-
art verleiht, alle diese Momente wirkten zusammen, etwas
Außerordentliches und Einmaliges entstehen zu lassen,
etwas, das in der nur zu gern mit starken, nicht immer
künstlerisch einwandfreien Effekten arbeitenden Welt des
Kinos, des Films und seines Gehäuses eine bevorzugte Aus-
nahmsstellung beanspruchen kann. Georg Jacob Wolf
 
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