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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 27.1928

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Feddersen, Martin: Zu den Bauten von Carl Winand, Hamburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.48540#0217

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169

Phot. Gebr. Dransfeld Hamburg-


Architekt D.W.B. Carl Winand, Hamburg
Lichtspieltheater „Schauburg“ am Millerntor in Hamburg

ZU DEN BAUTEN VON CARL WINAND, HAMBURG

Wir hatten wiederholt Gelegenheit, hier Bilder aus dem
Schaffen hamburgischer Architekten zu zeigen. Dabei
hat es sich bisher im wesentlichen um die Lösung von zwei
Hauptaufgaben gehandelt, einerseits um die Gestaltung des
Geschäftshauses, andererseits um die des Einzelwohnhauses.
Wie führende Architekten Hamburgs, die Gerson, Distel &
Grubitz, Höger und andere, das große hamburgische Sanie-
rungsgebiet in eine moderne City umwandeln, wie sie in den
reichen Wohnvierteln der Außenstadt behagliche und zu-
gleich repräsentative Villen schaffen, dafür sind hier viele
Beispiele gegeben worden.
Bei unseren heutigen Bildern handelt es sich um einen
anderen Gegenstand: Stätten des Vergnügens und der Er-
holung, die der Architekt Carl Winand gebaut hat, darunter
vor allem das neue Riesenlichtspielhaus am Millerntor. Nur
ganz zeitfremde Köpfe sind sich noch nicht der Bedeutung
bewußt, die das Kino heute hat, und mit Recht bemühen
sich seit Jahrzehnten berufene Kräfte darum, das Lichtspiel
zu einem Bildungsfaktor werden zu lassen, in der richtigen
Erkenntnis, daß es entscheidende kulturelle Bedeutung hat,
welcher Art das Spiel ist, das Abend für Abend tausenden
von Zuschauern auf der weißen Wand geboten wird. Aber
nicht allein auf das Gespielte kommt es an. Von nicht ge-
ringerer Wichtigkeit ist es, wie die Räume beschaffen sind,
welche die vielen Unterhaltung oder Belehrung Suchenden
aufnehmen, ob sie eine Heimat des guten Geschmacks oder
des Gegenteils sind. Dasselbe gilt von den reinen Ver-
gnügungs- und Erholungsstätten, wie Tanzdielen, Restau-
rants und dgl. Carl Winands Bauten zeigen, wie man jetzt
bestrebt ist, für die genannten Zwecke etwas unserem

modernen Gefühl Entsprechendes zu gestalten. Es sind keine
Vergnügungsstätten alten Stiles, keine „Paläste“, bedeckt
mit von der Spätrenaissance oder dem Barock erborgten und
übel verwendetem Schmuck, keine Bastarde von ägyptischem
oder indischem Kunst- und Jugendstil, auch keine im soge-
nannten Heimatstil gebauten Mischungen von Tanzbar und
niedersächsischem Bauernhaus. Winand gibt einfache sach-
liche Lösungen, er sieht im Bauwerk einen Organismus, der
bestimmte Funktionen zu erfüllen hat und nur von innen
nach außen gebildet werden kann. — Wir gehören nun frei-
lich nicht zu den Puritanern, die glauben, daß dieser rein
sachliche, ganz oder beinahe schmucklose Stil nun dauernd
die Herrschaft behalten müsse und jedes Ornament bekämp-
fen. Wir halten es vielmehr für wahrscheinlich, ja für hoffens-
wert, daß eine nicht zu ferne Zeit wieder einen neuen Schmuck-
stil hervorbringt. Dabei wird man sich vielleicht nicht nur
neu erfindend betätigen, sondern auch aus dem Formenerbe
früherer Zeit, vorsichtig auswählend und, wenn nötig ent-
schlossen umbildend, die Elemente entnehmen, die sich dem
neuen Formgefüge organisch eingliedern lassen. Die Gegen-
wart allerdings ist, Baumeister wie Winand haben das klar
erkannt, zur Lösung einer anderen Aufgabe berufen: den
für unsere Zeit zweckentsprechenden architektonischen Kör-
per zu gestalten. Es muß einer späteren Zeit überlassen
bleiben, für den neuen Körper das ihm gemäße ornamentale
Gewand zu finden. Daß sie es tun wird, dafür scheint uns
die der menschlichen Vorstellungskraft innewohnende Ten-
denz, sich nicht nur zweckgebunden, sondern auch frei spie-
lend zu betätigen, sichere und tröstliche Bürgschaft zu geben.
Martin Feddersen.

MOD. BAUFORMEN 28. V. 1
 
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