Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 27.1928

DOI Artikel:
Schürer, Oskar: Jüngste tschechische Architektur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.48540#0400

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
322


Architekt Polivka, Prag
Gartenstadt Sporilov

JÜNGSTE TSCHECHISCHE ARCHITEKTUR

F’rag entwickelt sich immer mehr zu einer Großstadt von Format.
Die großen Anforderungen, die seine jüngste Entfaltung stellt,
— Prag ist die Hauptstadt eines ansehnlichen Staates geworden
die Bevölkerung wächst rapid, Ministerien, Gesandtschaften,
Schulen usw. brauchen Gebäude —, bedürfen einer lebendigen
Architektur. Ein Glück für diese Stadt, daß sie in der jüngsten
Generation der tschechischen Architekten über eine solche ver-
fügt. Die nächsten Jahre werden Prag zu einem Hauptort be-
wußten heutigen Bauens und Stadtgestaltens reifen lassen.
Eine tüchtige Architektengeneration entsteht nicht von heute
auf morgen. Die in Prag heute zum Werk antretende Generation
steht auf dem Boden einer gesunden Entwicklung. Sie soll in
wenigen Strichen umrissen werden. Die 90er Jahre brachten in
Ohmann einen zielbewußten, klarschaffenden Architekten nach
Prag. Er hatte in Wien gelernt und gearbeitet. Jetzt wurde er
Lehrer der Jugend in Prag. Markanter noch steht die Gestalt Jan
Koteras in der Erinnerung. Sein Schaffen steht am Jahrhundert-
beginn. Er bedeutet für die tschechische Architektur das, was
Berlage für die holländische, Behrens für die deutsche ist: Be-
ginn einer klaren Zweckarchitektur, die sich auf die Grund-
gesetze der Architektur zurückbesinnt. Seine Bauten, die er teil-
weise in gemeinsamer Arbeit mit dem deutschen Architekten
Zasche ausführte, stehen noch heute, 7 Jahre nach seinem Tod,
in der ersten Reihe der Modernen. Aber sein späteres Schaffen,
wurde schon durchschattet von den neu aufkommenden Bestre-
bungen einer nachfolgenden Generation, die die Physiognomie der
jung befreiten Nation auch in der Formenwelt der Architektur
auszudrücken suchten. Es erstand in den Kriegsjahren schon als
Projekt, nach dem Krieg in großen Bauten der sogenannte
Nationalstil, eine Architektur, die mit viel Ornamentbombast
arbeitete und diese Ornamentik aus altem folkloristischem Formen-
gut speiste. Dieser Richtung entstammen einige ungefüge Groß-

bauten inmitten Prags, die den Stadtcharakter ins Östliche ver-
schieben. Das Seltsame an dieser Verballhornung der Moderne
ist, daß sie von sehr begabten Architekten betrieben wurde. So
ist der Hauptinitiator und Vollender dieser Richtung, Pavel
Janäk, ein das Baugefüge ganz besonders klar durchdenkender
Kopf, wie seine Grundrisse und vor allem seine teilweise groß-
artigen Stadtregulationsprojekte beweisen.
Neben dieser Richtung schuf aber unentwegt im von Kotera
bestimmten Sinne ein Chocholl weiter, ein Architekt, der meines
Erachtens nicht zu der ihm gebührenden Bedeutung im Allge-
meinbewußtsein der Tschechen gelangt ist. Seiner Konsequenz
— so scheint es mir — ist es zu verdanken, daß eine junge
Generation wieder an den von Kotera eingeführten Impulsen an-
knüpfen konnte. Seit 1920 ungefähr regt sich diese Gruppe.
Stärkste Eindrücke haben diese Jüngsten von Corbusier, dann
vom Bauhaus empfangen. Auch Holland haben sie viel zu ver-
danken. Aber es blieb nicht beim Namen. Sie haben den modernen
Geist eigenständig verarbeitet und sind heute am Werk, eine sehr
weitläufige und doch sehr tschechische Architektur hinzustellen.
Hier dürfen wir an Hand der Abbildungen sprechen. F. R. Libra
geht von modernsten Ansprüchen aus. Sein offener Wohnhausblock
in Prag berücksichtigt alle heutigen Anforderungen gesunden Zu-
sammenwohnens vieler: der große umbaute Hof mit dem Spiel-
garten und Badeanlagen, die Aufteilung der Blocks in gerhyth-
mete Trakte, die großen Balkons an der Hoffront, die ruhige
Fensteraufteilung an der Straßenfront. Treppenläufe und Grund-
risse von gediegenster Durcharbeitung des Möglichen und Not-
wendigen. Schulung an Oud (Rotterdam) ist unverkennbar, aber
nirgends bis zur Abhängigkeit. Immer bleibt das eigene Gesicht,
das seine Festigkeit und seine einer rustikalen Derbheit abge-
gewonnene Beschwingtheit dem breiten Erbe des tschechischen
Volkscharakters verdankt.
 
Annotationen