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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 27.1928

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Die Umgestaltung der Böttcherstrasse in Bremen: Architekten: Runge & Scotland in Bremen
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https://doi.org/10.11588/diglit.48540#0169

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DIE UMGESTALTUNG DER BOTTCHERSTRASSE IN BREMEN
Architekten: Runge & Scotland in Bremen

Bremen ist in seinem Kern noch heute die Stadt der
schmalen Backstein-Giebelhäuser und der engen behäbi-
gen Gassen mittelalterlicher Prägung. Da schmiegen sich die
ehrwürdigen Bürgerhäuser mit ihren zierlichen, erkerartigen
Ausfluchten und ihren hohen, von Galerien umzogenen Dielen
dicht aneinander, da ragen die mächtigen, finster dreinschauen-
den Speicher empor, da zieht sich auch die uralte Böttcher-
straße — mit einem Knick und einer kleinen, platzartigen
Erweiterung in der Mitte — vom Marktplatz zum Strom
hinunter. Sie war lange ein verwahrloster, kaum beachteter
Winkel, ist aber neuerdings durch die Schöpferlaune eines
vielvermögenden Bremer Kaufmannes aus ihrem Dornröschen-
schlaf geweckt und von Grund auf neu gestaltet worden.
Die alten baufälligen Häuser wurden abgerissen, nur das
am Knick stehende, 1588 vom Ratsherrn Boppard erbaute
stattliche Giebelhaus mit malerischer Diele blieb erhalten.
Die Planung der Umgestaltung war den Architekten
Runge & Scotland übertragen. Ihr Name hat weit über
Bremen hinaus einen guten Klang, ihre Kunst wurzelt in
der überlieferten Bremer Bauweise, aber mit jedem Werk,
das sie dem Stadtbild einfügten, zeigten sie immer klarer
erkennbar den Weg, den sie mit sicherer Meisterschaft
vorwärtsschreiten: von dem Nachempfinden alter Kunst-
werte zum organischen Weiterentwickeln ihres lebensfähigen
inneren Gehalts an den Aufgaben und im Geiste unserer
Zeit. Ihr Schaffen gehört ganz der Gegenwart, aber sie
suchen den Ausdruck dafür nicht im Umsturz, in der Ver-
neinung aller folgerichtigen Entwicklung.
So ist auch die Böttcherstraße, in feinfühliger Anpassung
an Überlieferung und Umgebung eine selbständige Schöp-
fung, entstanden. Das alte Giebelhaus am Knick sollte nach
Baustoff, Form und Farbe den Ton angeben, das Gepräge
der alten Wohngassen die Grundstimmung bilden für die an
der schmalen Gasse zu errichtenden, verschiedenen Zwecken
dienenden Neubauten. Dadurch war deren Massengliederung
und Maßstab bedingt. Zugleich aber zeugt alles, besonders
die liebevolle und handwerklich vortreffliche Durchbildung
der Einzelheiten, von der die Abbildungen einen Begriff
geben, von stilistischer Unabhängigkeit, überschäumender
Schöpferfreude und spielender Überwindung alles Starren.
Noch weit stärker kommt die Eigenart zur Geltung in
der Gestaltung und Durchbildung des Innern. Auch da weht

Bremer Luft, auch da ist ununterbrochener Zusammenhang
mit der uralten Niedersachsenkunst, die einst das Bremer
Rathaus, das benachbarte Essighaus und die zahlreichen
still-vornehmen Zimmer für die Bremer Handelsherren und
Senatoren geschaffen hat. Und doch ist alles anders: Stei-
gerung, Überraschungen, neue Zeit! Und der Besucher staunt,
für wie mannigfaltige Zwecke auf dem engen und ver-
winkelten Bauplatz Unterkunft geschaffen, wie geschickt die
vielen großen und kleinen Zimmer und Säle, Vor- und
Nebenräume aneinandergefügt und dabei nicht nur die Über-
sichtlichkeit und die natürliche Belichtung in allen Teilen
gewahrt, sondern auch noch besonders wirksame Steigerungen
der Raumwirkung erreicht wurden.
Da sind zunächst an der oberen Ecke die Verkaufs-, Probier-
und Ausstellungsräume des Kaffee-Hag. Es folgen einige
Läden, darüber das Museum „Vätererbe“, eine kleine aber
wertvolle Sammlung kunstgeschichtlichen Inhalts, unter einem
steilen, sichtbar gebliebenen Dachstuhl niedersächsischen Ge-
präges. Dann die Räume der „Bremer Gesellschaft von 1914“,
zugänglich von einem festlich gestimmten Treppenhaus, im
Erdgeschoß die Klubräume, im Obergeschoß ein großer
Vortrags- und Theatersaal mit Nebenzimmern usw., dahinter
die Wohnung des Geschäftsführers. Den Abschluß dieser
Seite am Knick bildet das St. Petrihaus, das als Fischkost-
halle und Weinstube eingerichtet ist.
Mit der künstlerischen Einzeldurchbildung dieser ganzen
Raumfolge stehen Runge & Scotland nicht auf dem ornament-
feindlichen Standpunkte; im Gegenteil! Auf Schritt und
Tritt begleiten uns fröhlich und sorglos, aber mit Meister-
hand hingestreute leichte Schmuckformen, die zunächst nichts
weiter sein sollen als Belebung der Flächen und Betonung
der Gliederungen, unterstrichen und in ihrer Wirkung noch
herausgehoben durch eine ausgezeichnete, oft recht kecke,
aber immer harmonische und verständnisvoll beherrschte
Farbgebung. Vertieft man sich aber in diese eigenartige
Formenwelt, so entdeckt man bald mit wachsendem Genuß
allerlei tiefen Sinn. Das Schmuckwerk, weit davon entfernt
ein Abklatsch abgestorbener Formgedanken zu sein, lebt
und webt, es erzählt und lacht, wie dereinst die Kunst
mittelalterlichen Handwerks. Von besonderem Reiz sind die
oft verblüffend eigenartigen und doch immer so sachlichen
und selbstverständlichen Gebilde der Beleuchtungskörper.

MOD. BAUFORMEN 28. IV. 1
 
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