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Phot. Max Krajewsky, Charlottenburg-*
Rudolf Fränkel, Berlin
Blick in die Zingsterstraße
NEUE ARBEITEN VON RUDOLF FRANKEL, BERLIN
Bauen heißt: Bedingungen erfüllen. Die Architektur der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutet deshalb
einen Tiefstand, weil ihre Verüber als richtige Akademiker
alle Bedingungen perhorreszierten, die Bedürfnis, Terrain,
Umgebung stellen. Alles, was man ihnen im einzelnen vor-
wirft, Stilspielerei, Überornamentierung, Anarchie, war nur
die Folge dieser Grundeinstellung. Die Baukunst, die sich
heute mit Nachdruck die Neue nennt, und deren richtige
Thesen nicht geleugnet werden sollen, hat doch leider mit
jener Architektur, die sie schmäht, eine gewisse Verwandt-
schaft. Sie erkennt zwar Bedingungen des Bedürfnisses an,
die sie sogar übertreibt, aber sie läßt, eben dieser Über-
treibung halber, die anderen nicht gelten. Sie entwirft
wieder auf dem Reißbrett. Was ihr dadurch ermöglicht wird,
daß ihre Siedlungen fast immer ohne unmittelbaren Zu-
* Sämtliche Aufnahmen von Max Krajewsky D.W.B., Berlin-Charlottenburg- 1.
sammenhang mit einem bestehenden Stadtkörper errichtet
werden. Sie nimmt städtebauliche Tugend für sich in An-
spruch, versteht sie aber nur als den Zusammenhang ihrer
Schöpfung in sich, nicht mit dem schon Bestehenden.
Gerade deshalb fällt bei der umfangreichen Großstädt-
siedlung, die Rudolf Fränkel im Norden Berlins schafft, in
der Gegend des Bahnhofs Gesundbrunnen, zunächst die
städtebauliche Umsicht auf. Sie ist nicht für irgendwo, sie
ist für diese Stelle gedacht, und zwar, für diese Stelle, wie
sie sein wird, wenn die etwas wirre und zufällige Situation
durch die Verlegung des Bahnhofs rationalisiert sein wird.
So ist der gläserne Turm des Kinopalastes, der abends
leuchten wird, so angeordnet, daß er für die lange Brunnen-
straße als point de vue dient, was sowohl dem Unternehmen
wie dem ganzen Stadtviertel zum Vorteil gereicht. Die ganze
MOD. BAUFORMEN 28. VII, 1
Phot. Max Krajewsky, Charlottenburg-*
Rudolf Fränkel, Berlin
Blick in die Zingsterstraße
NEUE ARBEITEN VON RUDOLF FRANKEL, BERLIN
Bauen heißt: Bedingungen erfüllen. Die Architektur der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutet deshalb
einen Tiefstand, weil ihre Verüber als richtige Akademiker
alle Bedingungen perhorreszierten, die Bedürfnis, Terrain,
Umgebung stellen. Alles, was man ihnen im einzelnen vor-
wirft, Stilspielerei, Überornamentierung, Anarchie, war nur
die Folge dieser Grundeinstellung. Die Baukunst, die sich
heute mit Nachdruck die Neue nennt, und deren richtige
Thesen nicht geleugnet werden sollen, hat doch leider mit
jener Architektur, die sie schmäht, eine gewisse Verwandt-
schaft. Sie erkennt zwar Bedingungen des Bedürfnisses an,
die sie sogar übertreibt, aber sie läßt, eben dieser Über-
treibung halber, die anderen nicht gelten. Sie entwirft
wieder auf dem Reißbrett. Was ihr dadurch ermöglicht wird,
daß ihre Siedlungen fast immer ohne unmittelbaren Zu-
* Sämtliche Aufnahmen von Max Krajewsky D.W.B., Berlin-Charlottenburg- 1.
sammenhang mit einem bestehenden Stadtkörper errichtet
werden. Sie nimmt städtebauliche Tugend für sich in An-
spruch, versteht sie aber nur als den Zusammenhang ihrer
Schöpfung in sich, nicht mit dem schon Bestehenden.
Gerade deshalb fällt bei der umfangreichen Großstädt-
siedlung, die Rudolf Fränkel im Norden Berlins schafft, in
der Gegend des Bahnhofs Gesundbrunnen, zunächst die
städtebauliche Umsicht auf. Sie ist nicht für irgendwo, sie
ist für diese Stelle gedacht, und zwar, für diese Stelle, wie
sie sein wird, wenn die etwas wirre und zufällige Situation
durch die Verlegung des Bahnhofs rationalisiert sein wird.
So ist der gläserne Turm des Kinopalastes, der abends
leuchten wird, so angeordnet, daß er für die lange Brunnen-
straße als point de vue dient, was sowohl dem Unternehmen
wie dem ganzen Stadtviertel zum Vorteil gereicht. Die ganze
MOD. BAUFORMEN 28. VII, 1