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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 27.1928

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Häring, Hugo: Neues Bauen
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https://doi.org/10.11588/diglit.48540#0407

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329

NEUES BAUEN
Im September 1927 zeigten wir unsern Abonnenten die „Internationale Neue Baukunst“, ausgewählt
und eingeleitet von dem Berliner Architekten Ludwig Hilberseimer. Dieses Septemberheft 1928 bringt
„Die neue Baukunst in Deutschland“ in einer unter Mitarbeit der Architektenvereinigung „Der Ring“
getroffenen Auswahl. Auf Grund der unparteiischen Einstellung unserer Zeitschrift erteilen wir hierzu
dem Geschäftsträger des „Ring“, dem Berliner Architekten Hugo Häring, das Wort. Das Oktoberheft
wird sich neben einer größeren Darstellung der neuen Kölner Ausstellungsbauten auch der Innenaus-
stattung und den Möbeln wieder eingehender zuwenden. Die Schriftleitung

Es ist heute nun auch in Deutschland nicht mehr nötig,
das Daseinsrecht der neuen Baukunst zu verteidigen.
Jedermann weiß nunmehr, daß die neue Bewegung nicht
nur eine Mode ist, sondern daß sie tieferen Ursachen ent-
spricht. Noch vor einem Jahr konnten offizielle Hüter der
historischen Baukunst in Süddeutschland sich entrüstet gegen
das Neue wenden, in diesem Sommer hat soeben der höchste
Baubeamte Preußens, der heute das Amt einnimmt, das ein-
mal Schinkel hatte, öffentlich ausgesprochen, daß die Mutter-
sprache der Baukunst wieder gefunden sei, was wir als einen
kulturellen Fortschritt betrachten können, also eben als das,
was noch vor einem Jahr heftig bestritten wurde. In der Tat
sind alle fortschrittlichen Menschen auf ihrer Seite, selbst
die, die sie noch bekämpfen, ziehen Vorteile aus ihr. (Was
würden die Historiker wohl heute machen, wenn nicht der
Wind der neuen Baukunst auch durch ihre Pläne gepfiffen
hätte?) Diese Wandlung bedeutet: die neue Baukunst be-
findet sich nicht mehr in der Opposition, sie ist auf dem
Wege offiziell zu werden. Wird sie diese Verantwortung
tragen können? Wir wollen abwarten.
Einen breiten Raum nimmt in den Kämpfen um den neuen
Bau die Frage der Bauherstellung ein. Die Vertreter des
neuen Bauens haben diese Frage ins Rollen gebracht, und
die gesamte Öffentlichkeit sieht heute ihre Bedeutung ein,
insbesondere ihre Bedeutung für die Massenherstellung des
Wohnungsbaues. Man sollte meinen, daß die hier vorge-
tragenen Forderungen lediglich rein fachtechnisch und wirt-
schaftlich hätten gewürdigt werden müssen, doch steht fest,
daß die Vertreter der historisierenden Baukunst für diese
Forderungen sehr lange nicht zu gewinnen waren. Wir wollen
daraus nicht den Schluß ziehen, daß diese etwa weniger
Sinn für das Fachtechnische oder für das Wirtschaftliche
hätten, sondern glauben den Grund ihres ablehnenden Ver-
haltens lediglich in ihrer baukünstlerischen Gesinnung suchen
zu dürfen, da sie in der richtigen Befürchtung, neue Kon-
struktionen möchten die Gestalt des gewohnten Bauens ver-
ändern, sich gegen diese neuen Konstruktionen und Baustoffe
wehrten, oder sich nur soweit mit ihnen einließen, als sie sich
dem Gesicht des Gewohnten einfügten. Auf der anderen Seite
hingegen erhofften die Vertreter der neuen Baugesinnung
geradezu die Befreiung aus geschichtlichen Bindungen durch
die neuen Konstruktionen und durch die neuen Baustoffe.
Prüfen wir das Technische vom fachlichen Standpunkt aus
und das Wirtschaftliche vom wirtschaftlichen Standpunkt
aus, und kommen wir dabei zu Ergebnissen, die die alte
Baukunst umstoßen, so bleibt nichts anderes übrig, als diesen
alten Hausbau eben umzuwerfen, sofern man nicht tech-

nische und wirtschaftliche Fortschritte ignorieren will. Wenn
nichts anderes und nichts außerdem zu neuen Begriffen vom
Bauen geführt hätte, so hätten schon die technischen und
wirtschaftlichen Veränderungen zu ihnen geführt. Es ist un-
möglich, von der Seite der Konstruktion aus, den alten
Hausbau noch zu rechtfertigen, und es erscheint gar nicht
nötig, sich deshalb noch auf ein neues Lebensgefühl zu
berufen, um die Geburt eines neuen Baustils zu begründen,
da er sich schon als eine Folge der technischen und wirt-
schaftlichen Veränderungen begreifen läßt.
Die Frage ist allerdings noch: muß es gerade dieser sein?
Darüber läßt sich reden. Vielleicht kann es auch ein anderer
sein. Niemand hat ja auch bis jetzt behauptet, daß es ge-
rade dieser sein muß, niemand hat behauptet, daß dieser
schon vollkommen sei, und daß nicht noch ein anderer mög-
lich wäre. Aber man zeige ihn, wir werden dann sehen.
Indessen, lassen wir die Veränderungen der technischen
und wirtschaftlichen Welt in dem neuen Bau sich auswirken,
lassen wir ferner außerdem alle Arten von Zutaten, histo-
rische und moderne, weg — so kommen wir zwar noch nicht
unbedingt immer gerade zu den Ergebnissen, die die neue
Baukunst präsentiert, aber wir kommen doch in die Nähe
derselben (eine Gegend, in der zur Zeit eine lebhafte An-
siedelungstätigkeit zu bemerken ist). Weiter entsteht aber
ein Bau nicht nur aus Konstruktionen und wirtschaftlichen
Erwägungen, sondern er erfordert auch noch eine Stellung-
nahme zu anderen Dingen. Es beweist die Verschiedenheit
in den neuen Bauten und Projekten, daß auf der Grundlage
derselben Forderungen ebensoviele Fassungen und Möglich-
keiten sich darboten, als schöpferische Kräfte an sie heran-
traten, und es ist selbstverständlich, daß sich weitere Fassun-
gen und Möglichkeiten eröffnen werden, wenn neue schöp-
ferische Kräfte sich ihnen zuwenden, und es ist weiter
selbstverständlich, daß die gegenwärtigen Formulierungen
selbst einem weiteren Wandel unterworfen sind, und daß
sie sich ausbauen, verschieben und umbilden. Die Bejahung
der materiellen Gegebenheiten bringt wohl einen neuen Bau
zustande, aber sie entscheidet noch nicht über dessen weiteren
Sinn und sonstige Bedeutung. Der Bau gewinnt höheren
Wert erst aus dem Rang seines geistigen Inhalts und aus
seinen Beziehungen zu dem übrigen geistigen Geschehen.
Hier fällt auf, daß in der neuen Baukunst das Künstler-
temperament nur noch eine recht nachgeordnete Rolle spielt,
daß hingegen die jeweilige Stellungnahme zu den Problemen
der Zeit wichtig wird, und daß wichtig wird die synthetische
Leistung diesen gegenüber. Und obwohl jeder einzelne mehr
als je die Objektivierung seiner Arbeiten sucht, so sehen

MOD. BAUFORMEN 28. IX, 1
 
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