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MODERNE KUNST.
gleich, dass der Schwachmatikus ihn nicht aushalten würde. Na, so
geht's auch!"
Sie hob die Peitsche von Neuem, doch Otti fiel ihr in den Arm.
„Oh Leo, nicht! Bedenke, Erich ist Amtsrichter. Amtsrichter dürfen
keine Kutscher prügeln. Auch Verwandte von Amtsrichtern nicht. Wenn
der Kutscher Dich verklagte und Erich Dich verurtheilen müsste — Leo,
zu Gefängniss! Sitzen, Leo, .!"
„Den Deibel auch werde ich thunJ Damit mich die ganze Stadt aus-
lacht und meine Frau das bischen Respect vor mir auch noch verliert?"
Der Kutscher hatte es gesagt. Er hatte sich aufgerappelt und stand
nun, sich verwundert den Hinterkopf krauend, verlegen vor Leo.
„Und Sie, Fräulein", fuhr er bittend fort, „entschuldigen Sie, dass ich
Sie so vermolestirt habe. Sie wissen ja, hier ein Schnaps und da ein
Schnaps, unsereins nimmt's nicht so genau. — Und nun, Fräulein", er
wandte sich zögernd um, indem er auf den Sand deutete, der noch den
Abdruck eines Theils seiner Persönlichkeit trug, „nicht wahr, Sie erzählen's
nicht weiter! Donnerwetter, es war ein hübsches Stückchen; alle Hoch-
achtung! Und ich bitt' gar schön, geben Sie mir meine Peitsche zurück.
Die Gäule gehen nicht ohne sie. Und wenn das mit den drei Mark viel-
leicht auch ginge . . ich will Sie aber beileibe nicht drängen . . ."
Leo wandte sich achselzuckend zu dem Kutscher.
„Können Sie noch eine halbe Stunde warten?"
Er legte seine Hand betheuernd auf seine Brust.
„Für Sie, Fräulein, einen halben Tag!"
Leo nickte.
Sie machte ein paar schnelle Schritte nach dem Pferdestall.
„Was hast Du vor, Leo?" rief Mia ihr ängstlich nach.
„Ich reite nach Templin, um vielleicht Mama abzufangen. Und wenn's
nicht anders geht, so bitte ich Papa um das Geld!"
Papa! Es war, als habe die Meduse Otti und Mia zugegrinst. Sie
standen noch in starrem Staunen, als Leo in tollem Jagen an ihnen
vorüberritt, das zweite Reitpferd ihres Vaters mit ihren Absätzen be-
arbeitend.
Auf der Anhöhe vor dem Hofthor machte sie einen Augenblick Halt.
Ihr finsterer Blick schweifte ringsum in weite Ferne über üppige Getreide-
felder, saftige Wiesen und holzreiche Waldungen. Ueber den Besitz des
Herrn von Rocholl auf Rochollshof, Templin und Amalienruh.
Und seine Kinder hatten nicht drei Mark, um einen Kutscher zu bezahlen!
Das Fräulein Leonore von Rocholl biss die Zähne auf einander und
jagte Weiter. [Fortsetzung folgt.)
nsere Rechtsanwälte.
Von Georg Reimann.
I. [Xachdruck verboten.]
H m! — Ja — —! — — Jawohl — — —? Wozu? Was sollen die beschwören?
Es ist kein besonderer Genuss, plötzlich aus seinem schönsten Morgen- „Dass ich die Stiebel überhaupt nicht geseh'n hab'."
Schlummer aufzufahren und halbaufgerichtet im Bette sitzend mit ver- Lehmann — Das glauben Sie doch selbst nicht! Seien Sie doch ehrlich
schlafenen Augen sich darauf besinnen zu müssen, ob man nur geträumt und gesteh'n Sie 's ruhig ein, wenn Sie —
oder ob da wirklich eben Jemand an der Thüre geklopft hat. Aber nein— „Herr Rechtsanwaltchen — Gott soll mich strafen, wie ich hier steh',
es ist Wirklichkeit: da klopft es wieder. „Herr Rechtsanwalt!" wenn ich schon je in meinem Leben die Unwahrheit gesagt hab'."
Jawohl! Wer ist da? Na na na na! Dann also geh'n Sie nur! Um elf ist Termin! Adieu!
„Ich bin's! Posius! Es ist höchste Zeit! Um neun ein halb steht die Er geht; aber an der Thür kehrt er noch einmal um.
Schöffensache an!" »Herr Rechtsanwaltchen, was meinen Sie wohl, dass mich die Saclf
Ach so! Posius! Dieser gute Posius, der in seinen jungen Jahren auch kosten wird?"
einmal Rechtsanwalt war, aber, als er seinen ersten Process verlor, nicht Drei — vier Tage Gefängniss — so was!
den Muth fand, von seinen Mandanten auch noch Gebühren zu verlangen, „Gott Du gerechter! —■ Und wenn ich die Stiebel noch genommen
und der — so sagt man — sich infolgedessen entschloss, umzusatteln hätt'! — aber wo ich so unschuldig bin an der ganzen Sache — —!"
und lieber Schreiber und Bureauvorsteher zu werden! Ein wunderlicher Zweifelnd an der Gerechtigkeit in der Welt schüttelt er das Haupt;
Kauz, mit seinem grauen struppigen Haar und dem alten ewig gleichen dann grinst er freundlich: „Na Adje, Herr Rechtsanwaltchen, seh'n Sie
Rock, dessen rechte Klappe als Tintenwischer herhalten muss. man zu, dass ich mit zwei Tagen abkomm'!"
„Da sind ein Paar Leute gekommen, die Sie noch sprechen möchten." Und Sie, was wünschen Sie?
Wer denn? Der angeredete gelb-lila Hut scheint sich zu einer längeren Entgegnung
„Der Trödler und ein Frauenzimmer". zu rüsten.
Ist gut — sie sollen einen Augenblick warten. Aber ein bischen kurz, bitte! Ich muss gleich auf's Gericht! also —?
Und nun mit beiden Beinen zugleich aus dem Bett. Da! Natürlich! „Nämlich —: er hat sich doch mit der Anna Müller verlobt, und da
Gestern wieder vergessen, die Uhr aufzuziehen! Das kommt von den wollt' ich nur wissen, ob ich ihm nicht könnt' die Trau legen?"
langen Sitzungen! Der Landgerichtsrath ist wirklich ein Verführer! Schon Nein — die Heirath können Sie nicht hindern. Aber da — fragen Sie
deswegen sollte man heirathen, damit dies ewige Bummeln aufhört. den Herrn Bureauvorsteher: Der wird Ihnen rathen, was Sie thun sollen.
Zehn Minuten sind vergangen; die Toilette ist beendet; ein Druck auf Währenddessen hat uns Posius einen Haufen Acten unter den Arm
die Klingel am Arbeitstisch und lautlos erscheint Posius in der Thürspalte. geschoben, den Hut in die Hand gedrückt, und drängt uns last zur Thüre
Lassen Sie 'mal die Leute hereinkommen! hinaus.
Und während man in den Ueberzieher schlüpft, schiebt sich ein kleiner Im Vorzimmer haben die Schreibeijungen den Augenblick von Posius'
rothhaariger Kerl und dahinter ein knallgelb mit lila aufgeputzter Hut Abwesenheit dazu benutzt, um eine allgemeine Holzerei zu beginnen und
in's Zimmer. fahren jetzt entsetzt auf ihre Stühle zurück: aber Dank unserer Eile wird
„Ach Gott, Herr Rechtsanwaltchen, ich wart' auf Ihnen schon wie auf ihnen der Rüffel diesmal erspart; denn jetzt heisst es, Beine machen. —
Schmerzen" sagt der Erstere. Auf dem Gericht im Rechtsanwaltszimmer herrscht um die frühe Stunde
Die können Sie auf dem Gericht billig genug haben. Was wollen Sie noch völlige Stille. In Reih und Glied steh n zu beiden Seiten der grün-
denn noch, Lehmann? behangenen Tische die Stühle — mit peinlichster Sorgfalt sind auf der
„Ich wollt' nur fragen, ob ich nicht könnt' zum Eid kommen, Herr Mittellinie der langen Tafeln die rinten- und Sandfässer zurechtgerückt,
Rechtsanwaltchen?" und auf jedweder derselben liegen rechts und links ein Häuflein Feder-
Nein — es sind ja Zeugen da! harter und haarscharfer Bleistifte. Auch die Bücherschränke mit den dicht
„Oder, was meinen Sie, ob ich sollt' noch ein Paar Zeugen dagegen gefüllten Reihen erwecken den Eindruck der grössten Ordnung —■ freilich
aufstellen?" nur um nachher jeden Suchenden durch Fehlen der Bücher am richtigen
MODERNE KUNST.
gleich, dass der Schwachmatikus ihn nicht aushalten würde. Na, so
geht's auch!"
Sie hob die Peitsche von Neuem, doch Otti fiel ihr in den Arm.
„Oh Leo, nicht! Bedenke, Erich ist Amtsrichter. Amtsrichter dürfen
keine Kutscher prügeln. Auch Verwandte von Amtsrichtern nicht. Wenn
der Kutscher Dich verklagte und Erich Dich verurtheilen müsste — Leo,
zu Gefängniss! Sitzen, Leo, .!"
„Den Deibel auch werde ich thunJ Damit mich die ganze Stadt aus-
lacht und meine Frau das bischen Respect vor mir auch noch verliert?"
Der Kutscher hatte es gesagt. Er hatte sich aufgerappelt und stand
nun, sich verwundert den Hinterkopf krauend, verlegen vor Leo.
„Und Sie, Fräulein", fuhr er bittend fort, „entschuldigen Sie, dass ich
Sie so vermolestirt habe. Sie wissen ja, hier ein Schnaps und da ein
Schnaps, unsereins nimmt's nicht so genau. — Und nun, Fräulein", er
wandte sich zögernd um, indem er auf den Sand deutete, der noch den
Abdruck eines Theils seiner Persönlichkeit trug, „nicht wahr, Sie erzählen's
nicht weiter! Donnerwetter, es war ein hübsches Stückchen; alle Hoch-
achtung! Und ich bitt' gar schön, geben Sie mir meine Peitsche zurück.
Die Gäule gehen nicht ohne sie. Und wenn das mit den drei Mark viel-
leicht auch ginge . . ich will Sie aber beileibe nicht drängen . . ."
Leo wandte sich achselzuckend zu dem Kutscher.
„Können Sie noch eine halbe Stunde warten?"
Er legte seine Hand betheuernd auf seine Brust.
„Für Sie, Fräulein, einen halben Tag!"
Leo nickte.
Sie machte ein paar schnelle Schritte nach dem Pferdestall.
„Was hast Du vor, Leo?" rief Mia ihr ängstlich nach.
„Ich reite nach Templin, um vielleicht Mama abzufangen. Und wenn's
nicht anders geht, so bitte ich Papa um das Geld!"
Papa! Es war, als habe die Meduse Otti und Mia zugegrinst. Sie
standen noch in starrem Staunen, als Leo in tollem Jagen an ihnen
vorüberritt, das zweite Reitpferd ihres Vaters mit ihren Absätzen be-
arbeitend.
Auf der Anhöhe vor dem Hofthor machte sie einen Augenblick Halt.
Ihr finsterer Blick schweifte ringsum in weite Ferne über üppige Getreide-
felder, saftige Wiesen und holzreiche Waldungen. Ueber den Besitz des
Herrn von Rocholl auf Rochollshof, Templin und Amalienruh.
Und seine Kinder hatten nicht drei Mark, um einen Kutscher zu bezahlen!
Das Fräulein Leonore von Rocholl biss die Zähne auf einander und
jagte Weiter. [Fortsetzung folgt.)
nsere Rechtsanwälte.
Von Georg Reimann.
I. [Xachdruck verboten.]
H m! — Ja — —! — — Jawohl — — —? Wozu? Was sollen die beschwören?
Es ist kein besonderer Genuss, plötzlich aus seinem schönsten Morgen- „Dass ich die Stiebel überhaupt nicht geseh'n hab'."
Schlummer aufzufahren und halbaufgerichtet im Bette sitzend mit ver- Lehmann — Das glauben Sie doch selbst nicht! Seien Sie doch ehrlich
schlafenen Augen sich darauf besinnen zu müssen, ob man nur geträumt und gesteh'n Sie 's ruhig ein, wenn Sie —
oder ob da wirklich eben Jemand an der Thüre geklopft hat. Aber nein— „Herr Rechtsanwaltchen — Gott soll mich strafen, wie ich hier steh',
es ist Wirklichkeit: da klopft es wieder. „Herr Rechtsanwalt!" wenn ich schon je in meinem Leben die Unwahrheit gesagt hab'."
Jawohl! Wer ist da? Na na na na! Dann also geh'n Sie nur! Um elf ist Termin! Adieu!
„Ich bin's! Posius! Es ist höchste Zeit! Um neun ein halb steht die Er geht; aber an der Thür kehrt er noch einmal um.
Schöffensache an!" »Herr Rechtsanwaltchen, was meinen Sie wohl, dass mich die Saclf
Ach so! Posius! Dieser gute Posius, der in seinen jungen Jahren auch kosten wird?"
einmal Rechtsanwalt war, aber, als er seinen ersten Process verlor, nicht Drei — vier Tage Gefängniss — so was!
den Muth fand, von seinen Mandanten auch noch Gebühren zu verlangen, „Gott Du gerechter! —■ Und wenn ich die Stiebel noch genommen
und der — so sagt man — sich infolgedessen entschloss, umzusatteln hätt'! — aber wo ich so unschuldig bin an der ganzen Sache — —!"
und lieber Schreiber und Bureauvorsteher zu werden! Ein wunderlicher Zweifelnd an der Gerechtigkeit in der Welt schüttelt er das Haupt;
Kauz, mit seinem grauen struppigen Haar und dem alten ewig gleichen dann grinst er freundlich: „Na Adje, Herr Rechtsanwaltchen, seh'n Sie
Rock, dessen rechte Klappe als Tintenwischer herhalten muss. man zu, dass ich mit zwei Tagen abkomm'!"
„Da sind ein Paar Leute gekommen, die Sie noch sprechen möchten." Und Sie, was wünschen Sie?
Wer denn? Der angeredete gelb-lila Hut scheint sich zu einer längeren Entgegnung
„Der Trödler und ein Frauenzimmer". zu rüsten.
Ist gut — sie sollen einen Augenblick warten. Aber ein bischen kurz, bitte! Ich muss gleich auf's Gericht! also —?
Und nun mit beiden Beinen zugleich aus dem Bett. Da! Natürlich! „Nämlich —: er hat sich doch mit der Anna Müller verlobt, und da
Gestern wieder vergessen, die Uhr aufzuziehen! Das kommt von den wollt' ich nur wissen, ob ich ihm nicht könnt' die Trau legen?"
langen Sitzungen! Der Landgerichtsrath ist wirklich ein Verführer! Schon Nein — die Heirath können Sie nicht hindern. Aber da — fragen Sie
deswegen sollte man heirathen, damit dies ewige Bummeln aufhört. den Herrn Bureauvorsteher: Der wird Ihnen rathen, was Sie thun sollen.
Zehn Minuten sind vergangen; die Toilette ist beendet; ein Druck auf Währenddessen hat uns Posius einen Haufen Acten unter den Arm
die Klingel am Arbeitstisch und lautlos erscheint Posius in der Thürspalte. geschoben, den Hut in die Hand gedrückt, und drängt uns last zur Thüre
Lassen Sie 'mal die Leute hereinkommen! hinaus.
Und während man in den Ueberzieher schlüpft, schiebt sich ein kleiner Im Vorzimmer haben die Schreibeijungen den Augenblick von Posius'
rothhaariger Kerl und dahinter ein knallgelb mit lila aufgeputzter Hut Abwesenheit dazu benutzt, um eine allgemeine Holzerei zu beginnen und
in's Zimmer. fahren jetzt entsetzt auf ihre Stühle zurück: aber Dank unserer Eile wird
„Ach Gott, Herr Rechtsanwaltchen, ich wart' auf Ihnen schon wie auf ihnen der Rüffel diesmal erspart; denn jetzt heisst es, Beine machen. —
Schmerzen" sagt der Erstere. Auf dem Gericht im Rechtsanwaltszimmer herrscht um die frühe Stunde
Die können Sie auf dem Gericht billig genug haben. Was wollen Sie noch völlige Stille. In Reih und Glied steh n zu beiden Seiten der grün-
denn noch, Lehmann? behangenen Tische die Stühle — mit peinlichster Sorgfalt sind auf der
„Ich wollt' nur fragen, ob ich nicht könnt' zum Eid kommen, Herr Mittellinie der langen Tafeln die rinten- und Sandfässer zurechtgerückt,
Rechtsanwaltchen?" und auf jedweder derselben liegen rechts und links ein Häuflein Feder-
Nein — es sind ja Zeugen da! harter und haarscharfer Bleistifte. Auch die Bücherschränke mit den dicht
„Oder, was meinen Sie, ob ich sollt' noch ein Paar Zeugen dagegen gefüllten Reihen erwecken den Eindruck der grössten Ordnung —■ freilich
aufstellen?" nur um nachher jeden Suchenden durch Fehlen der Bücher am richtigen