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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Conrad-Ramlo, Marie: Augen: Novellette
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0252

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i6S

ugen.

Novellette von Marie Conrad-Ramlo.

-~—- [Nachdruck verboten.]

fö!r sass allein in der einen Ecke des Salons und lauschte. Pia hat ihrem eigenen Herzen Stillschweigen geboten, ebenso dem jungen

„Aber Pia" tönte es aus der anderen Ecke herüber, „dränge doch Gutsbesitzer, der sie liebte und den sie wieder liebte,

nicht so, frage doch nicht so!" „Harald ist die Hauptsache in meinem Leben. Erst er — dann alles Andere!"

O wie war diese Stimme hold und kindlich und tief! Wie drang sie dem Agathe war vor zwei Monaten, mit einem schwarzen Kleidchen angethan.

Manne drüben in's Herz, dass es bebte. an der Thüre des Richthofen'schen Hauses gestanden. Pia nahm das weinende

„Ja mein liebes Landmädchen ich muss;" Hess sich nun eine andere etwas Mädchen in ihr und ihres Bruders Heim auf, eine Waise, die eben vom frischen

frauenhaftere Stimme vernehmen, „es ist meine schwesterliche Pflicht, die mir Grabe ihres Vaters kam. Einsam, abgeschlossen von aller Welt, war sie auf

so heilig ist wie Gottes Gebot." ihres Vaters Landgut aufgewachsen. Er war Officier gewesen und lebte seit seiner

„Sprich leiser, ich bitte Dich. Dein Bruder hört alles. Ich schäme mich." Pensionirung mit seinem einzigen Kinde sonderlingshaft zurückgezogen. Sein

Pia sprach nun ganz leise: „Ich dulde es nie, dass sich ein Mädchen in Tod kam so plötzlich, dass Agathe lange starr, ohne Gedanken blieb. Ihre

meinen Bruder verliebt. Nie! und wenn es geschieht, dann darf er es nicht Mutter hatte sie nie gekannt. Als sie die verlassenen Räume durchwanderte,

erfahren. Solchen Unsinn, Verliebtheit! — Ja Liebe! Das wäre etwas anderes. fiel ihr Blick auf ein kleines verblichenes Bild, eine junge Frau. „Siehst Du,

Wirkliche Liebe bis zum Tode. Unergründlich, unbeirrbar, gewaltig! — Ich das ist Deine Taufpathin, Frau von Richthofen, in ihrer Jugend. Eine gute Frau,

weiss, darauf wartet er, darnach sehnt er sich, und vielleicht wird sie ihm nie Du kennst sie ja," hatte einmal ihr Vater gesagt.

zu Theil. Ach es macht mich oft fast wahnsinnig. —" Als Kind war sie auch einige Male drüben gewesen bei Richthofens, fünf

Sie presste in heftigem Schmerze ihre Hand an die Augen. Stunden von da, damals spielte sie mit Harald und Pia. Frau von Richthofen

Agathe „das Landmädchen" stand vor ihr mit klopfendem Herzen. Was war aber damals schon viel älter als auf dem Bilde.

sollte sie sagen? Sie hatte immer so wenig Worte. So einfache Begriffe. Ver- Lange betrachtete sie das verblichene Portrait, sinnend, überlegend. Dann

liebtheit! Liebe! Bis jetzt hatte sie geglaubt das sei ein und dasselbe. Liebe! packte sie Einiges zusammen, überliess das Haus der alten Haushälterin, und

Unergründliche, gewaltige, unbeirrbare. Sie sah nach dem blinden Manne drüben. ging zu Harald und Pia.

Sein dunkles, etwas scharf geschnittenes Gesicht, hatte er dem offenen Fenster Das „Landmädchen" gefiel Pia recht gut. Klug, zart, resolut, stolz. Das
zugewandt, er athraete die sommerlichen Düfte ein, horchte auf das leise Abend- war eine Mischung, die Pia's Beifall hatte. Ein wenig ungebildet, das schadete
zwitschern der Vögel. — nichts. Jedenfalls war's eine sonderbare Spielart, welche die Einsamkeit hervor-
letzt bewegte er den Kopf. Er fühlte, dass Agathe ihn unverwandt gebracht hatte,
betrachtete. Wie ein Sonnenstrahl, so warm, so glänzend, zog's von dem

Mädchen aus, zu ihm hinüber. Abends sassen sie wieder im lauschigen Salon. Harald am Fenster. Diebeiden

Drüben im Plauderwinkelchen wurde Mädchen drüben in der Ecke beim Sopha.

es stille. Pia lehnte in bequemer Sopha- Stillschweigend nahm Agathe das silberne Tablett mit Harald's Theetasse,

ecke mit einer Handarbeit beschäftigt. . " und trug es zu Harald hinüber.

Agathe ging leicht erröthend zu dem (* r " So leise sie auch über den Teppich

Manne hinüber. V * ' schritt, er wandte ihr schon das Gesicht

Er fühlte sie kommen, und lächelte ', & ' ** ' - «. ......^«p~jrv zu, als sie sich zum Gehen anschickte.

ihr entgegen. "V . » „Sie hören doch Alles, Harald."

„Wie geht es mit [hrer Arbeit, Herr - - - » "( - " „Ja, fast Alles. Und ich fühle Alles."

von Richthofen?" s __;<"C xs%:-^JJ-})A -.'■>" ■. JR -~'. , s. "'Vw ' *7^."ri sjc stellte die Tasse auf den Tisch,

„Wie heisse ich?" ^.T»""»7~'' , .____~~ ~ —-— ''.^ZZZ-LZT—z^j"""^ da streifte ihr Kleid seine Hände.

„Harald." | • i'i SÜlg 1S^~'^" ^RR-"^*' R :~? '-' "*""? ? ~ ' ER „Sie haben heute

„Ja, so ist es ausgemacht. Ich darf j %'f j'j SZCi W^^f'^f^^ST^T^T T Y T" ' das weisse Kleid an,

Sie Agathe nennen, und ich heisse jj | dj 'ff "jf .<j>'A ^ <jj»' JL ' Agathe."

Harald.« j j : 1 | f T I j T | 1 " „Ja. Sie sagten

„Ach, ich bin ja ein Bauernmädchen. £ *,[};, !; jl j f I w -j»., ja neulich, dass Sie

Das ist ganz etwas Anderes." t? '«? r Jf V p jll» 4' I/' . schwarz nicht leiden

„Wir sind aber Freunde." jj j " | | || Y ff '1 ' -C können."

„Ja, gute Freunde. Also Harald wie | J jfl I '•" — — „Nein, überhaupt

weit sind Sie? Soll ich wieder einmal ||| ' nichts Dunkles."

mit- Ihnen arbeiten? Wollen Sie mir
wieder einmal dictiren?"

„Ach nein, ich danke Agathe. Ich
kann nicht, es geht nicht."

„Warum? schreibe ich nicht gut?"

„O doch doch, aber — ich dictire I
nicht gut."

Pia von Richthofen wachte mit
glühender Leidenschaft über das Glück
ihres Bruders. Sie hatte diese Empfin-
dung gleichsam von ihrer verstorbenen
Mutter geerbt. Harald bildete seit seiner
Erblindung, die durch einen Unfall beim
Knabenspiel geschah, den Mittelpunkt in lRJ'
der Familie. Er selbst ertrug sein Un-
glück mit jener Ergebung in ein Unver-
meidliches, wie sie nur grossen, gott-
begnadeten Naturen eigen ist. Er trieb
an der Hand eines vortreff lichen Lehrers
mit eisernem Fleisse philosophische Stu-
dien, hatte seine Examina bestanden und

o

sein Werk „Lichtstrahlen" ist von einer Brautwagen. Originalzeichnung'von A. Ackermark

Gewalt inneren Seelenlebens, wie es in
dieser Eigenart kein sehender Zeitgenosse
schaffen kann.

IX. 14. II. M.
 
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