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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Unsere Bilder, [3]
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Liman, Paul: Carnevals-Stimmungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0178

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8?

nsere Bilder

iie „Nacht" mit ihrem Zauber und ihrem Grauen ist als solche für den Maler sinnte Kameraden und Kampfgenossen. Und zu allen Zeiten träufelte die Rebe

unfassbar. Da wird sie für E. Renard zum räthselvollen Weibe. Ueber ihr belebendes Blut in die Herzen der Versammelten, wie es uns das „Liebes-

dem dunklen Haar leuchtet die Mondsichel. Vom Hinterhaupte herab wallt mahl" von R. Warthmüller zeigt, mit heiterem Humor das trockene Einerlei

der schwarze, sternenbesetzte Schleier. Geisterhaft hebt sich das feine Profil von des Friedenslebens würzend.

dem Flor ab, und die Augen blicken sehnsuchtsvoll, märchensinnig in die Ferne. Auch das haben diese Liebesmähler unserer modernen Söhne des Mars
Als Meister Papperitz sich durch die Schlussworte des Goethe'schen mit jenen einer längst verrauschten Vergangenheit gemein, dass trotz der an-
Gedichtes: „Halb zog sie ihn, halb sank er hin scheinenden Hinweisung in ihrem Namen Liebe und Weib von ihnen verbannt
Und ward nicht mehr gesehn" sind — ein Zug, der vorwiegend den herben, reckenhaften Charakter des Nordens
zu seinem Bilde begeistern liess, verdichtete sich ihm das unbestimmte Sehnen kennzeichnet, während für den feurigeren, leichtlebigeren Süden kein Fest, kein
der im Volkston gehaltenen Ballade den Gesetzen seiner Kunst gemäss zu fest Genuss ohne das Weib vollkommen ist. So ist der Tanz eine Hauptbeschäftigung
umrissenen Gestalten. Um des schönen Nackten willen wurde ihm der „Fischer" der Frauen des Südens geworden. Nur das Weib tanzt hier, allein, ohne Führung
zum antiken, reblaubumkränzten Epheben, „das feuchte Weib" zur Quellnymphe. des Mannes; wie es auch J. Slovera in seiner „Tarantella" schildert. Begleitet
Die Französischen Emigranten sehen im Lichte der Geschichte nicht immer von Castagnetten, Tamburin und Guitarren singen die im Kreise herumsitzenden
so mitleidswürdig aus, wie sie der reiferen Jugend geschildert werden. Aber Zuschauer die seltsam monotone, schleppende, fast schluchzende Melodie. Mit
wenn G. Bondaux in seiner „Rückkehr aus der Verbannung" einen jener aus- ihr werden auch die Bewegungen der Tänzerin lebhafter, ihre Augen glühen
gestossenen „Grands Seigneurs" mit abgezogenem Hute an den grasüber- heisser, und ihre Füsse drehen sich flinker und leichter. Immer aber ist sie graeiös,
wucherten Gräbern seiner Vorväter stehen lässt, einsam in einer ihm fremd in jederLinie ihres Körpers von einerfascinirenden, wunderbar edlen Formengebung.
gewordenen Welt, so löst sich von dem geschichtlichen Hintergrunde ein rein Tanz und Gesang drücken natürliche Empfindungen aus, die allen Menschen,
menschliches Empfinden los, das über das Jahrhundert fort seinen Wiederhall findet. seien sie in ihren Culturbedingungen und ihrer Entwickelung auch noch so ver-
Wo wir den Ursprung der Liebesmähler auch zu suchen haben, immer schieden, gemeinsam sind. Unveränderlich sind die Elemente, in denen sich diese
waren die Theilnehmer streitbare Herren, die nach den Mühen des Tages Er- Sprache bewegt, und darum hat C. Kiesel in seinem Gemälde „Der Gesang" es mit
holung und neue Kräftigung suchten im engeren Zusammenschluss an gleich ge- Recht vermieden, seiner Idealgestalt ein speeifisch nationales Gepräge zu geben.

vvfiarneValö-Htimmungen.

Von Paul Liman.

Q

CJ^/ierzig Tage soll nach den Bestimmungen der katholischen Kirche der gläubige im Jubel des Carnevals die Grazie nicht verloren ging. Es haftet etwas Pudei
'(zJ Christ fasten und sich bereiten auf die Mysterien der Osterzeit; wenn der an jenen Tagen, an den Anlagen und Bäumen wie an den Göttinnen, deren Sta-

Morgen des Aschermittwochs zu grauen beginnt, dann soll er bussfertig seiner tuettendenSchloss-

Sünden gedenken, sich des Fleisches enthalten und die Freuden dieser Welt mit park schmücken.

der Miene eines Asketen betrachten. Das ist schwer, sehr schwer, und so hat an den arkadischen

denn die alte Kirche, die den Weg zum Paradiese nicht allzusehr erschweren Schwärmern, am

wollte, der Zeit der Kasteiung eine Zeit der üppigsten Lebensfreude, des frört- Pierrot und seiner

lichsten Geniessens vorangestellt. Das ist psychologisch gar fein ersonnen, denn Columbine, an den

niemals erscheint das Dasein grauer, niemals ist man besser bereitet, Ascher- glatten gcschniegel-

mittwochsstimmung zu empfinden, als wenn man durch lange Nächte geschwärmt. ten Cavalieren, und

an vollen Tischen gesessen, von blühenden Lippen genascht und aus spitzen an den eleganten

Gläsern oder breitbauchigen Humpen gezecht hat. Nicht Gerüchte, sondern

päpstliche Verordnungen, die einst sogar besondere „Pfaffenfastabende" bestimmten.

geben uns Kunde davon, dass die Kirche auch die Busspredigt für überzeugter

und wirkungsvoller hielt, wenn der Kanzelredner vorher am eigenen Leibe er-
probte, dass in allen Blüthen dieses Jammerthals ein kleiner, ärgerlicher Wurm

sich rege.

Dort wo man am Strengsten fastet, ist darum auch der Carneval die Zeit
der tollsten Ausgelassenheit. In den Städten des Mittelalters gab es noch fröh-
liche Feste, bei denen sich Jung und Alt, Arm und Reich zusammenfanden, um
des Lebens Unverstand mit Wehmuth zu geniessen, heute spielen unsere Töchter
seufzend den „Carneval von Venedig" und wir selbst blicken voll Sehnsucht in
Goethe's Beschreibungen der römischen Festzeit, dann hüllen wir den Hals in den
steifen Vatermörder und den müden Leib in den Frack, lassen den Claque auf-
springen und gehen zu Geheimraths auf den Familienball oder zur Redoute im
Saale des Stadttheaters. Uebrigens haben wohl auch unsere wackeren Vor-
fahren den Carneval nie ganz mit der Grazie gefeiert, wie die Bewohner der
Wasserstadt am Lido und die Nachkommen des Romulus; sie warfen sich nicht
mit Blumen und Confect, sondern gestalteten ihre Genüsse so, dass die beiden
Hauptfesttage die vielsagenden Namen „schmalziger Sonntag" und „Frassmontag"
erhielten. Schweres Essen, ein reichlicher Umtrunk, dazu die derben Spässe von
Hans Folz und Rosenblüth: das gab die natürliche Stimmung für eine lange,
kaum durch den Hering gemilderte Fastenzeit. Nur im Westen, wo der goldene
Wein die Gemüther fröhlicher stimmt und die Menschen zutraulicher macht,

feiert man auch heute noch den rechten Carneval. 7r,; l .-

Und doch ist sie schön, die lustige Faschingszeit, und sie war auch damals
schön, als der Grossvater die Grossmutter nahm und sie im zierlichen Schritt
des Rococo heimführte, als man die Courante und Povane, die Trenise und das
Menuet tanzte und der Frohsinn im steten Bunde mit der Anmuth stand.
Antoine Watteau hat uns diese Tage geschildert, da eitel Liebe und Lust,

heiteres Spiel und selige Träume, Behagen und Geniessen herrschten und auch Ballvorbereitungen im Chambre garni. Originalzeichnung von Fritz Gehrke.
 
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