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MODERNE KUNST.
konnte, den rothen Schnabel — da, die rothen Füsschen . . , nun kamen sie
wieder ganz nahe, ihr Krächzen war unheimlich, lang gezogen, wie wenn sie
gemartert würden. Nach kaum einer Secunde kam die erste zurück, ihre Flügel
schlugen gegen einander, immer hin- und herkreiste sie und stiess mit ihren
Flügelspitzen gegen das Gestein. Da kam auch die andere und trug im Schnabel
eine dritte, mit der sie einen Kreis über das Wasser beschrieb, mit ihr unter-
und auftauchte und nach der Wiek zuflog. Nach einigen Minuten kam sie
zurück, holte eine vierte, eine fünfte und sechste. Ganz still standen die
Frauen und sahen den Vögeln zu. Diese kleinen Seeräuber brachten zuerst
ihre Jungen in Sicherheit. „Von so 'n Thier kann man was lernen," sagte
Frau Holsten zu einer Nachbarin, „die Alte lebt und stirbt für's Junge."
„Nu, anders könnt's doch wohl nich sein, würd'st Du Deine Frieda in
Wassersnoth lassen und Dich retten?"
„Gott bewahr' mich, das meinst Du doch nich? ich bin doch nich weniger
als ein unvernünftiges Vieh!"
Diese Worte waren fast im Flüstertone gesprochen; aber Dörthe Köster
hörte jede Silbe. Wie unbarmherzige Schläge trafen sie dieselben, und dazu
sah sie die Möve ängstlich mit den Flügeln schlagen und das Nest umkreisen,
das seine Jungen barg. „All' för de Lütt, all' för Düren . . ."
Sie ging schnell zurück in das Dorf. Das Wohnhaus war wie ausgestorben.
„Dörthe, wo bist Du?" fragte sie.
Da befreite sich der blonde Kopf ihres Kindes aus den aufgestützten Händen,
die noch nass von Thränen waren.
„Was machst Du, warst Du nicht bei Pastors?"
Dora schüttelte den Kopf. „Der Herr Pastor war hier und Käthe und dann
hab' ich zugesehen, wie das Wetter heraufgezogen kam".
„Nu", sagte die Mutter, verlegen an ihren Kleidern zupfend, „wir wollen
beide morgen hingehen — — wenn er meint, dass es Zweck hat, dann sollst
Du--auch 'was lernen, alles lernen, was Du kannst."
Einen Augenblick war es so still in dem Raum, dass man kaum das Athmen
der beiden Frauen vernahm. Da sprang Dora auf, schlug ihre Arme um den
Nacken der Mutter, die sie zum ersten Male in all' den langen, bangen Jahren,
fest an sich drückte und unter Schluchzen jubelte sie: „Mutter, Mutter, wie gut
bist Du!"
nsere Bilder.
as Jubeljahr der Wiedererrichtung des Kaiserreiches deutscher Nation Kraft. Aus O. Richter's „Studienkopf" spricht jene gesunde Schönheit, in
ruft Erinnerungen wach, die lange in der Volksseele geschlummert. der das Vollbewusstsein ihrer Macht aufdämmert.
Hinter den Triumphen von 1870—71 taucht die Vergangenheit auf, Der anmuthigste Liebesmythus des klassischen Alterthums ist der von der
ein Bild tiefer Erniedrigung und gewaltiger Erhebung, die Zeit von 1806—1812. Königstochter „Psyche". W.Kray hat für sein Bild den Augenblick gewählt, wo
Diese denkwürdige Epoche hat in Albert Baur ihren malerischen Interpreten sie durch ihre Neugier den in heisser Leidenschaft für sie entbrannten Gott Amor
gefunden. Unter unserem Bilde steht die einfache Jahreszahl 1812, aber aus von ihrem Lager verscheucht hat und sehnsüchtig hinausschaut in die Ferne!
der öden Schneefläche mit dem zusammengebrochenen Reiter und den langsam Ueber das Grab hinaus bethätigt sich Neigung und Freundschaft im letzten
nachschleichenden Wölfen spricht die Norne der Geschichte, und die Spuren der Willen. Was in Munsch's „Testamentseröffhung" den vornehmen Verwandten
Grossen Armee ziehen sich wie Schicksalsrunen durch die todte, verschneite als eine materielle Pflichterfüllung des Erblassers erscheint, wird den mit Legaten
Landschaft. bedachten Armen gegenüber zur freien Liebesgabe, die sie mit verklärten
Nicht allein von äusseren Geschehnissen ist das Geschick der Völker ab- Gesichtern und Dankesthränen entgegennehmen,
hängig. Ihre Gegenwart beruht auf der reifen Manneskraft ihrer Bürger, ihre Gesundheit an Körper und Seele, jenes Gleichgewicht der Kräfte, die von
Zukunft auf der heranwachsenden Jugend. Der „Palmsonntag in Venedig", den Griechen als „Schönbravheit" bezeichnet wurde, ist es, die unsere Zeit ver-
wie ihn Meister Josephus Villegas schildert, ist nicht allein der Erinnerungs- langt. Darum sind die Maler unbekümmerter Daseinsfreude, wie Hans Dahl,
tag an den Einzug Christi in Jerusalem, er giebt sich gewissermaassen als eine mit besonderer Anerkennung zu begrüssen. Aus seinen norwegischen Sitten-
Darstellung der Jugend im Tempel. Die heiligen Zweige sind für die Procession Schilderungen leuchtet die Lebenswonne, wie sie sich am erfreulichsten auf
am Hochaltare geweiht, und nun ziehen sie hinaus, die Patricierkinder der stolzen lachenden Mädchengesichtern spiegelt. Ob die Schiffer männlichen und weib-
Lagunenstadt, in reichen Gewändern und blumengeschmückt, die mit bunten liehen Geschlechtes einen fröhlichen Ruderwettstreit „In hohen Wellen" aus-
Bändern und Schleifen umwundenen Palmen in der Hand, eine Augenweide und fechten, ob dralle Dirnen einen jungen Bauerburschen als „Herkules in Ver-
Zukunftshoffnung der Väter und der älteren Geschwister. legenheit" setzen durch heimliches Festbinden des abzustossenden Kahnes, ob
Der Jugend gehört die Zukunft und nicht minder der Schönheit, denn sie sie auf einer „Norwegischen Landstrasse" einen kühnen Versuch im Radfahren
ist auch in ihrer anmuthigsten Gestalt eine Gewähr für die harmonisch entwickelte machen, immer hat Meister Dahl die Lacher auf seiner Seite.
MODERNE KUNST.
konnte, den rothen Schnabel — da, die rothen Füsschen . . , nun kamen sie
wieder ganz nahe, ihr Krächzen war unheimlich, lang gezogen, wie wenn sie
gemartert würden. Nach kaum einer Secunde kam die erste zurück, ihre Flügel
schlugen gegen einander, immer hin- und herkreiste sie und stiess mit ihren
Flügelspitzen gegen das Gestein. Da kam auch die andere und trug im Schnabel
eine dritte, mit der sie einen Kreis über das Wasser beschrieb, mit ihr unter-
und auftauchte und nach der Wiek zuflog. Nach einigen Minuten kam sie
zurück, holte eine vierte, eine fünfte und sechste. Ganz still standen die
Frauen und sahen den Vögeln zu. Diese kleinen Seeräuber brachten zuerst
ihre Jungen in Sicherheit. „Von so 'n Thier kann man was lernen," sagte
Frau Holsten zu einer Nachbarin, „die Alte lebt und stirbt für's Junge."
„Nu, anders könnt's doch wohl nich sein, würd'st Du Deine Frieda in
Wassersnoth lassen und Dich retten?"
„Gott bewahr' mich, das meinst Du doch nich? ich bin doch nich weniger
als ein unvernünftiges Vieh!"
Diese Worte waren fast im Flüstertone gesprochen; aber Dörthe Köster
hörte jede Silbe. Wie unbarmherzige Schläge trafen sie dieselben, und dazu
sah sie die Möve ängstlich mit den Flügeln schlagen und das Nest umkreisen,
das seine Jungen barg. „All' för de Lütt, all' för Düren . . ."
Sie ging schnell zurück in das Dorf. Das Wohnhaus war wie ausgestorben.
„Dörthe, wo bist Du?" fragte sie.
Da befreite sich der blonde Kopf ihres Kindes aus den aufgestützten Händen,
die noch nass von Thränen waren.
„Was machst Du, warst Du nicht bei Pastors?"
Dora schüttelte den Kopf. „Der Herr Pastor war hier und Käthe und dann
hab' ich zugesehen, wie das Wetter heraufgezogen kam".
„Nu", sagte die Mutter, verlegen an ihren Kleidern zupfend, „wir wollen
beide morgen hingehen — — wenn er meint, dass es Zweck hat, dann sollst
Du--auch 'was lernen, alles lernen, was Du kannst."
Einen Augenblick war es so still in dem Raum, dass man kaum das Athmen
der beiden Frauen vernahm. Da sprang Dora auf, schlug ihre Arme um den
Nacken der Mutter, die sie zum ersten Male in all' den langen, bangen Jahren,
fest an sich drückte und unter Schluchzen jubelte sie: „Mutter, Mutter, wie gut
bist Du!"
nsere Bilder.
as Jubeljahr der Wiedererrichtung des Kaiserreiches deutscher Nation Kraft. Aus O. Richter's „Studienkopf" spricht jene gesunde Schönheit, in
ruft Erinnerungen wach, die lange in der Volksseele geschlummert. der das Vollbewusstsein ihrer Macht aufdämmert.
Hinter den Triumphen von 1870—71 taucht die Vergangenheit auf, Der anmuthigste Liebesmythus des klassischen Alterthums ist der von der
ein Bild tiefer Erniedrigung und gewaltiger Erhebung, die Zeit von 1806—1812. Königstochter „Psyche". W.Kray hat für sein Bild den Augenblick gewählt, wo
Diese denkwürdige Epoche hat in Albert Baur ihren malerischen Interpreten sie durch ihre Neugier den in heisser Leidenschaft für sie entbrannten Gott Amor
gefunden. Unter unserem Bilde steht die einfache Jahreszahl 1812, aber aus von ihrem Lager verscheucht hat und sehnsüchtig hinausschaut in die Ferne!
der öden Schneefläche mit dem zusammengebrochenen Reiter und den langsam Ueber das Grab hinaus bethätigt sich Neigung und Freundschaft im letzten
nachschleichenden Wölfen spricht die Norne der Geschichte, und die Spuren der Willen. Was in Munsch's „Testamentseröffhung" den vornehmen Verwandten
Grossen Armee ziehen sich wie Schicksalsrunen durch die todte, verschneite als eine materielle Pflichterfüllung des Erblassers erscheint, wird den mit Legaten
Landschaft. bedachten Armen gegenüber zur freien Liebesgabe, die sie mit verklärten
Nicht allein von äusseren Geschehnissen ist das Geschick der Völker ab- Gesichtern und Dankesthränen entgegennehmen,
hängig. Ihre Gegenwart beruht auf der reifen Manneskraft ihrer Bürger, ihre Gesundheit an Körper und Seele, jenes Gleichgewicht der Kräfte, die von
Zukunft auf der heranwachsenden Jugend. Der „Palmsonntag in Venedig", den Griechen als „Schönbravheit" bezeichnet wurde, ist es, die unsere Zeit ver-
wie ihn Meister Josephus Villegas schildert, ist nicht allein der Erinnerungs- langt. Darum sind die Maler unbekümmerter Daseinsfreude, wie Hans Dahl,
tag an den Einzug Christi in Jerusalem, er giebt sich gewissermaassen als eine mit besonderer Anerkennung zu begrüssen. Aus seinen norwegischen Sitten-
Darstellung der Jugend im Tempel. Die heiligen Zweige sind für die Procession Schilderungen leuchtet die Lebenswonne, wie sie sich am erfreulichsten auf
am Hochaltare geweiht, und nun ziehen sie hinaus, die Patricierkinder der stolzen lachenden Mädchengesichtern spiegelt. Ob die Schiffer männlichen und weib-
Lagunenstadt, in reichen Gewändern und blumengeschmückt, die mit bunten liehen Geschlechtes einen fröhlichen Ruderwettstreit „In hohen Wellen" aus-
Bändern und Schleifen umwundenen Palmen in der Hand, eine Augenweide und fechten, ob dralle Dirnen einen jungen Bauerburschen als „Herkules in Ver-
Zukunftshoffnung der Väter und der älteren Geschwister. legenheit" setzen durch heimliches Festbinden des abzustossenden Kahnes, ob
Der Jugend gehört die Zukunft und nicht minder der Schönheit, denn sie sie auf einer „Norwegischen Landstrasse" einen kühnen Versuch im Radfahren
ist auch in ihrer anmuthigsten Gestalt eine Gewähr für die harmonisch entwickelte machen, immer hat Meister Dahl die Lacher auf seiner Seite.