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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [3]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0121

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29

ungerloos.

Humoristischer Roman von Heinrich Vollrat Schumacher.

(Q^ [Fortsetzung.] [Machdruck verboten.1

ls Frau Amalie im Comptoir dem Oberinspector gegenüberstand, „Aber gewiss, gnädige Frau! Das heisst . . ich vergass . . das Geld

war's ihr, als drücke ihr etwas die Kehle zu, dass sie kein Wort ist in der Geldtasche und die Geldtasche

hervorzubringen vermochte. Aber sie musste davon sprechen. Leo Frau Amalie wurde todtenblass.

wartete und Otti's Kutscher wartete. „Hat Winand!" vollendete sie tonlos. „Nun wird er es entdecken.

„Ich . ." würgte sie endlich heraus, „ich habe die ganze Nacht keine Wenn er das Geld rindet, wird er . . ."

ruhige Minute gehabt, Brechtling! Ich fürchtete, dass er es entdecken Der Oberinspector lächelte überlegen.

würde, den Betrug. Denn es ist Betrug, Diebstahl und Unterschlagung!" „Was wird er, wenn ich es für das meine ausgebe? Glücklicherweise

Brechtling stiess einen fast kichernden Ton aus, während er auf dem habe ich den Zettel mit der Abrechnung, das Separatconto der gnädigen

Schreibtische das Papier für die Bons zurechtschnitt. Frau, vorher herausgenommen und in meine Westentasche gesteckt. Hier

„Aber, gnädige Frau, welch' schwere Worte für einen simplen Schmu- ist er!"

groschen! Alle Frauen machen doch Schmu! Glauben Sie, dass ich Ihnen Er reichte ihr den Zettel hin, den sie mechanisch öffnete,

dazu gerathen hätte, wenn es ein Unrecht wäre, ich, dem die Treue gegen „Zwei Pfund feinste Ochsenzunge", las sie, „drei Mark fünfzig; drei

den Herren Baron über Alles geht? Gerade seinetwegen that ich's. Ich Vierteldosen Sardinen in Oel, Marke Philipp & Canaud ..."

sah, wie er selbst unter seiner Sparsamkeit litt, ich fürchtete, dass dieses Brechtling war zusammengefahren und hatte seine Hand heftig aus-

entbehrungsvolle Leben seiner Gesundheit schädlich werden könnte. — gestreckt, wie um ihr den Zettel zu entreissen. Nun jedoch, da sie ver-

Wie hoch befehlen gnädige Frau den ersten Bon?" wundert aufblickte, malte sich auf seinem Gesichte ein Ausdruck entzückter

Frau Amalie fasste sich verwirrt nach der Stirn, dann besann sie sich. Ueberraschung.

„Pastors kommen am nächsten Sonntag zum Kaffee. Bitte also ein „Oh gnädige Frau!" stammelte er. „Der Zettel — ich suche ihn seit

Pfund Kaffee zu einer Mark sechszig!" zehn Jahren und nun — er ist das einzige Andenken an meinen Vater.

Oberinspector Brechtling schrieb. Er schrieb auf ihn die Delicatessen, welche meine Mutter zur Feier meines

„Eine Mark sechszig! — Eine Entdeckung ist völlig ausgeschlossen, Abschiedes anschaffen sollte, damals, als ich nach Amerika ging. Dürfte

gnädige Frau, sobald Sie nur so vorsichtig zu Werke gehen, wie gestern. ich gehorsamst um Rückgabe bitten, gnädige Frau?"

Hat der Herr Baron gesehen, dass Sie das Gemüse beiseite schafften? Frau von Rocholl betrachtete sinnend Brechtling's Weste. Winand's

Nein; er war ja in Amalienruh! Hat er bemerkt, dass Christine es heute ehemalige braune Sammetweste war's, in deren Rücken Frau Amalie einen

Morgen zu dem anderen, dem officiellen, auf den Wagen lud? Keine Spur; breiten Keil eingefügt hatte, damit sie Brechtling passe. Denn als er vor

er war hier bei mir im Comptoir und ich habe mich wohlweislich vor das sieben Jahren nach Rochollshof gekommen war, war er ein wenig reducirt

Fenster gestellt. — Und der zweite Bon?" in der Kleidung gewesen. Und nun hatte er in dieser Weste den Zettel

„Etwas Kuchen werde ich Pastor« doch wohl vorsetzen müssen. Bitte gefunden,

also zwei Pfund Mehl zu fünfundzwanzig, Zucker für dreissig, Mandeln, Er nahm ihn und vertiefte sich in die Reliquie. Dann zerdrückte er

Rosinen, Hefe . . zusammen vielleicht für zwei Mark!" eine Thräne im Auge.

„Zwei Mark!" wiederholte Brechtling schreibend. „Sonst nichts?" „Armer Vater!" murmelte er gerührt. „Sardinen in Oel! Sie waren

Frau Amalie schüttelte trübe das Haupt. Es war ihr, nun, da sie sein Leibgericht!"

Brechtling so ruhig über ihr Verbrechen sprechen hörte, als habe sie es ,,Und der andere Zettel?" fragte Frau Amalie besorgt. „Der mit der

eben zum zweiten Male begangen. Abrechnung?"

„Wirklich gar nichts mehr, gnädige Frau?" fragte Jener eindringlich. Er fuhr mit beiden Händen zugleich in die Taschen der Weste.

„Sie sollten sich das mit den Bons recht überlegen. Sie sind oft besser j,Der andere? Aber muss doch . . ich habe ihn doch . . er kann

als baares Geld. Gerade deshalb habe ich dem Herrn Baron dazu ge- doch nicht . . ."

rathen. Weil ich gnädige Frau bedauerte. Es ist eine ganz einfache und Er verstummte. Und er lächelte nun nicht mehr. Auch Frau Amalie

unschuldige Sache. Sie können sich von dem Lieferanten ja baares Geld lächelte nicht. Sie starrten einander sehr ernst an. Bis Winand's Stimme

dafür geben lassen. Dem Kaufmann kann das egal sein, besonders wenn durch das geöffnete Fenster von draussen hereintönte.

Sie ihm einige billige Procente zugestehen!" „Bis Du fertig, Amalie? Wir werden sofort fahren! Hier die Geld-

,,Die Winand nachher doch bezahlen muss?" fuhr Frau Amalie ent- tasche, Brechtling. Und hier in dem Couvert ist das Recept! Christian
rüstet auf „Er, der sich jeden Bissen am Munde für uns abspart! Nie soll noch heute damit nach der Stadt reiten. Sie haben zwar den Roth-
werde ich Das thun, niemals!" lauf noch nicht, aber sie können ihn kriegen. Eil' Dich, Amalie, ich hole

Sie war dem Weinen nahe. Nie zuvor hatte sie sich so gedemüthigt den Wagen!"

gefühlt, wie jetzt, da sie dem süss lächelnden Menschen da am Schreib- Er legte Geldtasche und Couvert auf das Fensterbrett und wandte

tische, dem Untergebenen ihres Gatten, ein Recht gegeben hatte, so mit sich nach dem schattigen Winkel am Anbau des Schlosses, in welchem

ihr zu sprechen. Aber dennoch — sie musste den Kelch bis zum Grunde der Einspänner stand.

leeren. Leo wartete und der Kutscher wartete. Mit einem Satz war Brechtling bei der Geldtasche.

„Und . . und . .", brachte sie sich gewaltsam fassend heraus, „haben „Nun?" fragte Frau Amalie zitternd.

Sie das Gemüse verkauft?" Er hielt sie ihr geöffnet hin. Sie war leer. Weder Geld noch Zettel.

Er hatte sie heimlich beobachtet. Würde sie der Versuchung wider- Ueber Frau Amalie kam etwas wie jammervoller Todesmuth.

stehen? »Wie viel Procent wird Kaufmann Peters für baares Geld nehmen?"

„Zu demselben Preise wie das andere!" erwiderte er. Für fünfzehn fragte sie fest.

Mark dreiundsiebzig Pfennige!" Brechtling hatte sich bereits wieder gefasst. Nun lächelte er sogar,

Sie fühlte, dass er es ihr absichtlich schwer machte, und zum ersten wie früher.

Mal in ihrem Leben stieg etwas wie Hass gegen einen Menschen in ihr auf. „Hm — so an zwanzig!"

„Kann ich das Geld bekommen?" fuhr sie mit ungewohnter Schroffheit „Oh! Doch •— dann schreiben Sie mir noch einen Bon über fünf Mark!"

fort. „Jetzt? Ich brauche es!" Er schrieb schon. Sie riss ihm das Papier unter der Feder fort und

Er sprang mit einschmeichelnder Dienstfertigkeit auf. eilte zur Glasthür.

IX. 3. II. M.
 
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