[5°
jfas |j|ungerloos.
Humoristischer Roman von Heinrich Vollrat Schumacher.
[Schluss.] [Nachdruck verboten.]
[eo hatte sich in die entfernteste Ecke des Saales gesetzt, und er nicht gleich gesagt, damals, als es geschah? Warum hast Du es ängstlich
hatte ihr verdutzt nachgesehen. Dann war er zu Frau Amalie und scheu versteckt vor uns, als ob es ein Unrecht wäre? Wie anders
zurückgekehrt. wäre dann alles gekommen! Denn sieh, Papa — oh, unterbrich mich nicht,
„Wahrhaftig, sie hat Recht, Malchen! Ob das wohl auch der Grund lass mich es sagen, was ich denke, was ich oft gedacht habe. — Wir sind
von Winand's seltsamem Benehmen ist?" arm! habe ich mir gesagt. Und es wird uns schwer, uns durch das Leben
Dann hatten die Beiden die Ereig nisse dieses Nachmittags noch ein- zu bringen. Aber wie viele Menschen sind ebenso arm, ja noch ärmer,
mal durchgesprochen und dabei vergebens nach einer Aufklärung des als wir! Und doch sind sie heiter dabei und all' ihre Arbeit führt sie nur
Räthselhaften geforscht. Bis Fritz unbewusst in eine Schilderung seiner noch näher zu einander, dass sie sich täglich mehr lieben. Während wir —
amerikanischen Erlebnisse hinübergerathen war. unsere Arbeit allein, unser Hungerloos, wie Du es oft nanntest, konnte es
Und Leo hatte wider Willen, angezogen durch die bunten Bilder, die also nicht sein, was uns so fremd, so fast feindlich neben einander leben
er gezeichnet, und durch seine lebhafte Sprache, zugehört und etwas wie Hess. Was aber war es sonst? — Ich fand es nicht; nun aber, Papa, nun
warme Theilnahme war in ihr aufgestiegen. Aber sie hatte sie gewaltsam glaube ich es gefunden zu haben. Das Geheimniss war zwischen uns und
niedergerungen. Was war denn der Mittelpunkt, das Ziel dieses eisernen trennte uns, nicht das Geld, auch nicht das Unrecht. Es war noch kein
Strebens, dieser tollen Wagnisse und dieses rastlosen Fleisses gewesen? Unrecht, es war nur der Gedanke daran. Und wenn dieser Schatten,
Nichts als dasselbe, um das sich auch hier in der alten Welt Alles den das gedachte Unrecht voraus wari, schon ein solches Unglück über
drehte, das das Leben der Rocholls und ihrer Kinder vergiftet und aus- uns bringen konnte, was, Papa, würde erst das vollendete Unrecht . .?"
einandergesprengt hatte: das Geld. Sie hielt inne. Herr von Rocholl war aufgefahren, wie von der
Und so hatte sie die Hand nicht beachtet, die er ihr beim Abschied- Wucht ihrer Worte getroffen,
nehmen entgegengestreckt hatte. „Und nun muss ich Licht machen, Papa!" sagte sie und ein heller
„Vielleicht das nächste Mal?" hatte er lächelnd gefragt, genau so, wie Jubelton war in ihrer Stimme. „Und ich werde Dir etwas zeigen, das Dir
damals nach dem Ritt des Cowboysiegers. Sie hatte nicht antworten vielleicht besser, als ich, sagt, was Du thun musst!"
wollen. Aber es war ihr dennoch herausgeschlüpft, auch jenes Wort von Sie schritt zum Tische. Gleich darauf flammte das Licht auf. Und
damals: dann löste Leo sanft ihres Vaters Hände und führte ihn vor den Secretair
„Nein!" zwischen den beiden Fenstern, in dem sich das Geheimniss des Hunger-
Er war gegangen und Frau Amalie hatte ihn hinten durch den Garten looses derer von Rocholl verborgen hatte diese achtzehn Jahre hindurch.
geführt, damit er Winand nicht begegne. Ueber dem Secretair aber an der Wand hing unter einer Glasscheibe
Und nun stand Leo vorn im Corridor an der Hausthür im Dunkeln in einem einfachen Goldrahmen der Stammbaum derer von Rocholl, be-
und wartete auf die Rückkehr ihres Vaters. Und sie grübelte darüber gönnen und weitergeführt von der Hand der Ahnen.
nach, warum ihr vorhin auf dem Wagen, da jenes gewisse Geräusch, die Und nun standen die Beiden Hand in Hand darunter und Leo hob
Liebeserklärung des Phildoctors, an ihr Ohr gedrungen, so seltsam warm die Lampe hoch empor, dass die Helle auf den Spruch fiel, der über dem
und freudig um's Herz gewesen, und warum ihr jetzt so seltsam elend ersten Namen stand, den Wahrspruch des alten Geschlechts,
und weh zu Muthe war. „Siehst Du ihn, Papa?"
Kam's nur daher, dass Mia in ihrer Dachkammer oben weinte? Herr von Rocholl sah ihn und sprach ihn vor sich hin.
* * „Gott und die Ehr' — nichts mehr!"
Ueber sein Gesicht ging ein Leuchten.
Als Herr von Rocholl spät Abends in sein Zimmer zurückgekehrt die „Weisst Du, wo er ist, Leo?"
Thür von innen schliessen wollte, drängte sich etwas zu ihm herein. Auch ihr Gesicht strahlte.
„Ich bin's, Papa!" flüsterte Leo's Stimme durch das Dunkel. „Ich „Ich weiss es! — Morgen, Papa?"
muss Dich etwas fragen. Und Papa", — der eben noch zaghafte Ton „Morgen!"
festete sich; — „wenn Dir etwas an meiner Liebe zu Dir liegt, so . . ."
Sie sprach es nicht zu Ende. Das Uebrige erstickte unter seinen Schluss. -=*~-
Armen, die sie plötzlich wie einen Halt suchend umschlangen. „Weisst Du, Papa, dass ich dann nie, niemals wieder . .?" hatte Otti
„Auch Du?" stöhnte er und Leo erschrak über das qualvolle Schluchzen, gesagt. Und nun war sie doch wiedergekommen, sogar mit dem Amts-
das aus seiner Brust quoll. „Auch Du?" richter. Leo hatte sie früh Morgens aus den Federn geholt und vor ihrer
„Oh Papa! Lieber Papa!" Zuspräche im Verein mit der seltsamen Mär von dem Hungerloose der
Nun weinte auch sie. Und so standen sie lange in dem dunklen Rocholls hatte der Groll der Beiden Gekränkten nicht zu widerstehen
Räume und hielten sich umfasst und wussten es Beide nicht, was dem vermocht. Sie waren in einer eilends besorgten Droschke auf dem Rocholls-
Anderen die Thränen in die Augen trieb. hofe eingetroffen, da Leo mit dem Einspänner gleich weiter gefahren war,
In dem Herzen des alten Mannes aber schwoll es und zerrte an ihm nach Amalienruh, zum Phildoctor Hans Seegebusch. Denn der gehörte
und drängte und wollte hinaus, das Leid, das so lange auf ihm gelastet nun von Rechtswegen zu den Rocholls.
und das seine feige Furcht immer wieder zurückgezwungen hatte. Nun Aber er war nicht mehr in Amalienruh gewesen. Er war bereits am
fühlte er ein Herz an dem seinen klopfen, ein einfaches, junges Herz, in vergangenen Abend abgereist, wie der Leutevogt Leo berichtet hatte;
das ein kleinliches, hastendes Leben seine trüben Schatten noch nicht unbekannt wohin. Vielleicht stände es in dem Briefe?
geworfen hatte, in dem nichts war, als reines, unbestechliches Gefühl für Der Brief, den ihr der Mann überreichte, war eigentlich für Mia bestimmt,
das Rechte und Liebe . . Liebe . . . Aber Leo machte sich kein Gewissen daraus, ihn zu erbrechen und zu lesen.
Und in leisen, abgerissenen Sätzen floss es ihm über die Lippen, wie Dann brach sie in ein jubelndes Gelächter aus.
es gewesen war und was er gelitten hatte diese achtzehn Jahre hindurch. Hans Seegebusch war nach Berlin gereist, um nun definitiv in's
Und wieder schloss er mit dem verzweifelt fragenden: „Was nun? Nun Examen zu steigen. Und kein Augenbrauen in die Höhe ziehen, schrieb
ist er wieder da und alles ist verloren!" er, und kein Stirnrunzeln gestrenger Professoren sollte ihn davon abhalten,
Schon längst hatte sich Leo aufgerichtet. dieses Examen zu bestehen.
„Was nun?" wiederholte sie sinnend. „Oh Papa, warum hast Du es Von Amalienruh ging's zum Kruge. Als der Einspänner vor dem-
jfas |j|ungerloos.
Humoristischer Roman von Heinrich Vollrat Schumacher.
[Schluss.] [Nachdruck verboten.]
[eo hatte sich in die entfernteste Ecke des Saales gesetzt, und er nicht gleich gesagt, damals, als es geschah? Warum hast Du es ängstlich
hatte ihr verdutzt nachgesehen. Dann war er zu Frau Amalie und scheu versteckt vor uns, als ob es ein Unrecht wäre? Wie anders
zurückgekehrt. wäre dann alles gekommen! Denn sieh, Papa — oh, unterbrich mich nicht,
„Wahrhaftig, sie hat Recht, Malchen! Ob das wohl auch der Grund lass mich es sagen, was ich denke, was ich oft gedacht habe. — Wir sind
von Winand's seltsamem Benehmen ist?" arm! habe ich mir gesagt. Und es wird uns schwer, uns durch das Leben
Dann hatten die Beiden die Ereig nisse dieses Nachmittags noch ein- zu bringen. Aber wie viele Menschen sind ebenso arm, ja noch ärmer,
mal durchgesprochen und dabei vergebens nach einer Aufklärung des als wir! Und doch sind sie heiter dabei und all' ihre Arbeit führt sie nur
Räthselhaften geforscht. Bis Fritz unbewusst in eine Schilderung seiner noch näher zu einander, dass sie sich täglich mehr lieben. Während wir —
amerikanischen Erlebnisse hinübergerathen war. unsere Arbeit allein, unser Hungerloos, wie Du es oft nanntest, konnte es
Und Leo hatte wider Willen, angezogen durch die bunten Bilder, die also nicht sein, was uns so fremd, so fast feindlich neben einander leben
er gezeichnet, und durch seine lebhafte Sprache, zugehört und etwas wie Hess. Was aber war es sonst? — Ich fand es nicht; nun aber, Papa, nun
warme Theilnahme war in ihr aufgestiegen. Aber sie hatte sie gewaltsam glaube ich es gefunden zu haben. Das Geheimniss war zwischen uns und
niedergerungen. Was war denn der Mittelpunkt, das Ziel dieses eisernen trennte uns, nicht das Geld, auch nicht das Unrecht. Es war noch kein
Strebens, dieser tollen Wagnisse und dieses rastlosen Fleisses gewesen? Unrecht, es war nur der Gedanke daran. Und wenn dieser Schatten,
Nichts als dasselbe, um das sich auch hier in der alten Welt Alles den das gedachte Unrecht voraus wari, schon ein solches Unglück über
drehte, das das Leben der Rocholls und ihrer Kinder vergiftet und aus- uns bringen konnte, was, Papa, würde erst das vollendete Unrecht . .?"
einandergesprengt hatte: das Geld. Sie hielt inne. Herr von Rocholl war aufgefahren, wie von der
Und so hatte sie die Hand nicht beachtet, die er ihr beim Abschied- Wucht ihrer Worte getroffen,
nehmen entgegengestreckt hatte. „Und nun muss ich Licht machen, Papa!" sagte sie und ein heller
„Vielleicht das nächste Mal?" hatte er lächelnd gefragt, genau so, wie Jubelton war in ihrer Stimme. „Und ich werde Dir etwas zeigen, das Dir
damals nach dem Ritt des Cowboysiegers. Sie hatte nicht antworten vielleicht besser, als ich, sagt, was Du thun musst!"
wollen. Aber es war ihr dennoch herausgeschlüpft, auch jenes Wort von Sie schritt zum Tische. Gleich darauf flammte das Licht auf. Und
damals: dann löste Leo sanft ihres Vaters Hände und führte ihn vor den Secretair
„Nein!" zwischen den beiden Fenstern, in dem sich das Geheimniss des Hunger-
Er war gegangen und Frau Amalie hatte ihn hinten durch den Garten looses derer von Rocholl verborgen hatte diese achtzehn Jahre hindurch.
geführt, damit er Winand nicht begegne. Ueber dem Secretair aber an der Wand hing unter einer Glasscheibe
Und nun stand Leo vorn im Corridor an der Hausthür im Dunkeln in einem einfachen Goldrahmen der Stammbaum derer von Rocholl, be-
und wartete auf die Rückkehr ihres Vaters. Und sie grübelte darüber gönnen und weitergeführt von der Hand der Ahnen.
nach, warum ihr vorhin auf dem Wagen, da jenes gewisse Geräusch, die Und nun standen die Beiden Hand in Hand darunter und Leo hob
Liebeserklärung des Phildoctors, an ihr Ohr gedrungen, so seltsam warm die Lampe hoch empor, dass die Helle auf den Spruch fiel, der über dem
und freudig um's Herz gewesen, und warum ihr jetzt so seltsam elend ersten Namen stand, den Wahrspruch des alten Geschlechts,
und weh zu Muthe war. „Siehst Du ihn, Papa?"
Kam's nur daher, dass Mia in ihrer Dachkammer oben weinte? Herr von Rocholl sah ihn und sprach ihn vor sich hin.
* * „Gott und die Ehr' — nichts mehr!"
Ueber sein Gesicht ging ein Leuchten.
Als Herr von Rocholl spät Abends in sein Zimmer zurückgekehrt die „Weisst Du, wo er ist, Leo?"
Thür von innen schliessen wollte, drängte sich etwas zu ihm herein. Auch ihr Gesicht strahlte.
„Ich bin's, Papa!" flüsterte Leo's Stimme durch das Dunkel. „Ich „Ich weiss es! — Morgen, Papa?"
muss Dich etwas fragen. Und Papa", — der eben noch zaghafte Ton „Morgen!"
festete sich; — „wenn Dir etwas an meiner Liebe zu Dir liegt, so . . ."
Sie sprach es nicht zu Ende. Das Uebrige erstickte unter seinen Schluss. -=*~-
Armen, die sie plötzlich wie einen Halt suchend umschlangen. „Weisst Du, Papa, dass ich dann nie, niemals wieder . .?" hatte Otti
„Auch Du?" stöhnte er und Leo erschrak über das qualvolle Schluchzen, gesagt. Und nun war sie doch wiedergekommen, sogar mit dem Amts-
das aus seiner Brust quoll. „Auch Du?" richter. Leo hatte sie früh Morgens aus den Federn geholt und vor ihrer
„Oh Papa! Lieber Papa!" Zuspräche im Verein mit der seltsamen Mär von dem Hungerloose der
Nun weinte auch sie. Und so standen sie lange in dem dunklen Rocholls hatte der Groll der Beiden Gekränkten nicht zu widerstehen
Räume und hielten sich umfasst und wussten es Beide nicht, was dem vermocht. Sie waren in einer eilends besorgten Droschke auf dem Rocholls-
Anderen die Thränen in die Augen trieb. hofe eingetroffen, da Leo mit dem Einspänner gleich weiter gefahren war,
In dem Herzen des alten Mannes aber schwoll es und zerrte an ihm nach Amalienruh, zum Phildoctor Hans Seegebusch. Denn der gehörte
und drängte und wollte hinaus, das Leid, das so lange auf ihm gelastet nun von Rechtswegen zu den Rocholls.
und das seine feige Furcht immer wieder zurückgezwungen hatte. Nun Aber er war nicht mehr in Amalienruh gewesen. Er war bereits am
fühlte er ein Herz an dem seinen klopfen, ein einfaches, junges Herz, in vergangenen Abend abgereist, wie der Leutevogt Leo berichtet hatte;
das ein kleinliches, hastendes Leben seine trüben Schatten noch nicht unbekannt wohin. Vielleicht stände es in dem Briefe?
geworfen hatte, in dem nichts war, als reines, unbestechliches Gefühl für Der Brief, den ihr der Mann überreichte, war eigentlich für Mia bestimmt,
das Rechte und Liebe . . Liebe . . . Aber Leo machte sich kein Gewissen daraus, ihn zu erbrechen und zu lesen.
Und in leisen, abgerissenen Sätzen floss es ihm über die Lippen, wie Dann brach sie in ein jubelndes Gelächter aus.
es gewesen war und was er gelitten hatte diese achtzehn Jahre hindurch. Hans Seegebusch war nach Berlin gereist, um nun definitiv in's
Und wieder schloss er mit dem verzweifelt fragenden: „Was nun? Nun Examen zu steigen. Und kein Augenbrauen in die Höhe ziehen, schrieb
ist er wieder da und alles ist verloren!" er, und kein Stirnrunzeln gestrenger Professoren sollte ihn davon abhalten,
Schon längst hatte sich Leo aufgerichtet. dieses Examen zu bestehen.
„Was nun?" wiederholte sie sinnend. „Oh Papa, warum hast Du es Von Amalienruh ging's zum Kruge. Als der Einspänner vor dem-