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MODERNE KUNST,
den das stärkere, schnellere. Schiff durch
Missgeschick und widrige Winde aufgehalten,
nicht zu erreichen vermag:.
Und wie verschieden berechnen die
Menschen ihren Curs. Einige machen das
wahre Besteck nach Gottes ewigen Gestirnen
auf, andere das gegisste nach ihren Er-
fahrungen, wieder andere peilen sich schritt-
weise vorwärts, während viele dahintreiben
ohne Curs und Ziel.
Ernst wie das wogende Meer ist das
Leben. Wer an der Jahreswende das Log-
buch seines Lebens durchblättert und die
vielen Irrthümer, Rechnenfehler und Miss-
weisungen durchlaufener Curse gewahrt,
der möge mit Ernst und festem Willen an
der Berichtigung aller Fehler arbeiten und
den rechten Curs fest und sicher abstecken.
Dann ist der Weg frei, möge es stürmen
und wehen, mögen Klippen und Untiefen
drohen. Bricht trotzdem das Lebensschiff
zusammen, so soll der Commandant auf der
Brücke als der Letzte ausharren und im Be-
wusstsein, seine Pflicht gethan zu haben, sich
in das Unvermeidliche gottergeben fügen.
Der Seemann selbst steht allen diesen poetischen Ver-
gleichen ziemlich skeptisch gegenüber, ja es mag wenige
geben, die der Ernst der Stunde des Jahreswechsels zum
Nachdenken anregt.
Der eintönige, straffe Dienst lässt es auch auf See
nicht zu jener heiteren ungebundenen Fröhlichkeit kom-
men, der ein Landbewohner in der Sylvesternacht sich
hinzugeben pflegt, ja für den Seemann fängt das Jahr eigentlich
garnicht in der Mitternachtsstunde an, sondern Mittags, wenn die
Sonne durch den Meridian geht, da alle Berechnungen, Zeit- und
Diensteintheilungen von jenem Augenblicke an gemacht werden.
Während daheim auf dem festen Lande um 12 Uhr Nachts
die Gläser aneinander klingen, geht der Seemann entweder
schmunzelnd zur Koje und gedenkt einen, wenn auch nicht langen,
so doch erfrischenden Schlaf zu thun, oder er steht, aufgerüttelt
durch den Klang der Schiffsglocke, mürrisch auf, um die schlech-
teste aller Wachen, die nach Mitternacht — zu beziehen. Viel-
leicht kommt auch gleich bei seinem Erscheinen an Deck das
Commando zum Manövriren, so dass ihm jede Lust und Zeit
fehlt, daran zu denken, dass der liebe Herrgott nun wiederum ein
Jahr zu den Acten gelegt hat.
Doch so ganz ohne jede Poesie geht die Sylvesternacht auch
auf See nicht an den Menschen vorüber, ja es soll häufig in der
Koje des Botteliers und in der Cadettenmesse verdächtig nach
„Prosit Neujahr, Herr Kamerad!" Originalzeichnung von Hans Bohrdt. Grog riechen.
Auch der alte Oberbootsmann, der schon manches Neujahr in Hitze
und Kälte hat vorüber gehen sehen, lässt es sich nicht nehmen, in be-
sonders feierlicher Weise die acht kurzen Schläge an der Schiffsglocke,
die an Bord die Mitternachtsstunde und zugleich den Wechsel der Wache
Von Hans Bohrdt. bedeuten, zu läuten. Etwas weicher als sonst ruft er die Leute an Deck,
—-7*-— und wenn sie schlaftrunken erscheinen, so bietet er ihnen wohl ein kurzes,
Ein neues Jahr! Aus dem Meere der Ewigkeit, den lichtblauen herzliches Prosit Neujahr.
Wogen der Zukunft steigt es empor, während das alte in die stillen, tief- Da jagt eine Corvette beim heftigsten Schneegestöber und schwerem
schwarzen Wasser der Vergangenheit hinabsinkt. Winde durch die aufgeregten Wogen der Nordsee. Schaum und Gischt
Die Lebensschiffe der Menschen streben der duftigen, hoffnungs- spritzt am Bug empor, grüne Seen fegen über das Deck hin. Von den
freudigen Ferne entgegen. Da giebt es schnellfüssige Dampfer und stolze Masten und Tauen herab klingt und kirrt es von fallenden Eiszapfen, die
Klipper, gemächlich dahingleitende Kuffs und hülflos treibende Wracks. die Kälte der vorigen Tage hat entstehen lassen. Der Wind heult durch
Einige nehmen Curs auf kurze, bescheidene Ziele, anderen ist die fernste das Takelwerk, aus dem Schornstein quellen dichte Rauchwolken. Die
Ferne zu nahe. Manches stolze Fahrzeug, das, ausgerüstet mit gewaltiger, Maschine setzt ihre ganze Kraft ein, um das Schiff durch den wüsten
treibender Kraft alle Mitsegler überholte, bricht nach kurzer Zeit zusammen, Wogenschwall zu treiben. Auf der Commandobrücke klammert sich der
während schwerfällige, plumpe, dumme Kasten in günstige Strömung ge- wachthabende Offizier an die Reifing. Sein scharfes Auge sucht die
rathen und mit achterlicher Briese gemächlich in den Hafen einlaufen, Finsterniss vor ihm zu durchdringen. Da erklingen die acht Schläge der
r ir\ der iparir\e.
MODERNE KUNST,
den das stärkere, schnellere. Schiff durch
Missgeschick und widrige Winde aufgehalten,
nicht zu erreichen vermag:.
Und wie verschieden berechnen die
Menschen ihren Curs. Einige machen das
wahre Besteck nach Gottes ewigen Gestirnen
auf, andere das gegisste nach ihren Er-
fahrungen, wieder andere peilen sich schritt-
weise vorwärts, während viele dahintreiben
ohne Curs und Ziel.
Ernst wie das wogende Meer ist das
Leben. Wer an der Jahreswende das Log-
buch seines Lebens durchblättert und die
vielen Irrthümer, Rechnenfehler und Miss-
weisungen durchlaufener Curse gewahrt,
der möge mit Ernst und festem Willen an
der Berichtigung aller Fehler arbeiten und
den rechten Curs fest und sicher abstecken.
Dann ist der Weg frei, möge es stürmen
und wehen, mögen Klippen und Untiefen
drohen. Bricht trotzdem das Lebensschiff
zusammen, so soll der Commandant auf der
Brücke als der Letzte ausharren und im Be-
wusstsein, seine Pflicht gethan zu haben, sich
in das Unvermeidliche gottergeben fügen.
Der Seemann selbst steht allen diesen poetischen Ver-
gleichen ziemlich skeptisch gegenüber, ja es mag wenige
geben, die der Ernst der Stunde des Jahreswechsels zum
Nachdenken anregt.
Der eintönige, straffe Dienst lässt es auch auf See
nicht zu jener heiteren ungebundenen Fröhlichkeit kom-
men, der ein Landbewohner in der Sylvesternacht sich
hinzugeben pflegt, ja für den Seemann fängt das Jahr eigentlich
garnicht in der Mitternachtsstunde an, sondern Mittags, wenn die
Sonne durch den Meridian geht, da alle Berechnungen, Zeit- und
Diensteintheilungen von jenem Augenblicke an gemacht werden.
Während daheim auf dem festen Lande um 12 Uhr Nachts
die Gläser aneinander klingen, geht der Seemann entweder
schmunzelnd zur Koje und gedenkt einen, wenn auch nicht langen,
so doch erfrischenden Schlaf zu thun, oder er steht, aufgerüttelt
durch den Klang der Schiffsglocke, mürrisch auf, um die schlech-
teste aller Wachen, die nach Mitternacht — zu beziehen. Viel-
leicht kommt auch gleich bei seinem Erscheinen an Deck das
Commando zum Manövriren, so dass ihm jede Lust und Zeit
fehlt, daran zu denken, dass der liebe Herrgott nun wiederum ein
Jahr zu den Acten gelegt hat.
Doch so ganz ohne jede Poesie geht die Sylvesternacht auch
auf See nicht an den Menschen vorüber, ja es soll häufig in der
Koje des Botteliers und in der Cadettenmesse verdächtig nach
„Prosit Neujahr, Herr Kamerad!" Originalzeichnung von Hans Bohrdt. Grog riechen.
Auch der alte Oberbootsmann, der schon manches Neujahr in Hitze
und Kälte hat vorüber gehen sehen, lässt es sich nicht nehmen, in be-
sonders feierlicher Weise die acht kurzen Schläge an der Schiffsglocke,
die an Bord die Mitternachtsstunde und zugleich den Wechsel der Wache
Von Hans Bohrdt. bedeuten, zu läuten. Etwas weicher als sonst ruft er die Leute an Deck,
—-7*-— und wenn sie schlaftrunken erscheinen, so bietet er ihnen wohl ein kurzes,
Ein neues Jahr! Aus dem Meere der Ewigkeit, den lichtblauen herzliches Prosit Neujahr.
Wogen der Zukunft steigt es empor, während das alte in die stillen, tief- Da jagt eine Corvette beim heftigsten Schneegestöber und schwerem
schwarzen Wasser der Vergangenheit hinabsinkt. Winde durch die aufgeregten Wogen der Nordsee. Schaum und Gischt
Die Lebensschiffe der Menschen streben der duftigen, hoffnungs- spritzt am Bug empor, grüne Seen fegen über das Deck hin. Von den
freudigen Ferne entgegen. Da giebt es schnellfüssige Dampfer und stolze Masten und Tauen herab klingt und kirrt es von fallenden Eiszapfen, die
Klipper, gemächlich dahingleitende Kuffs und hülflos treibende Wracks. die Kälte der vorigen Tage hat entstehen lassen. Der Wind heult durch
Einige nehmen Curs auf kurze, bescheidene Ziele, anderen ist die fernste das Takelwerk, aus dem Schornstein quellen dichte Rauchwolken. Die
Ferne zu nahe. Manches stolze Fahrzeug, das, ausgerüstet mit gewaltiger, Maschine setzt ihre ganze Kraft ein, um das Schiff durch den wüsten
treibender Kraft alle Mitsegler überholte, bricht nach kurzer Zeit zusammen, Wogenschwall zu treiben. Auf der Commandobrücke klammert sich der
während schwerfällige, plumpe, dumme Kasten in günstige Strömung ge- wachthabende Offizier an die Reifing. Sein scharfes Auge sucht die
rathen und mit achterlicher Briese gemächlich in den Hafen einlaufen, Finsterniss vor ihm zu durchdringen. Da erklingen die acht Schläge der
r ir\ der iparir\e.