MODERNE KUNST.
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Schiffsglocke — Neujahr —. Auf Augenblicke schweift sein Geist zurück
in die Jugendzeit. Um diese Stunde war es, als Vater und Mutter ihn
einst an das Herz zogen und alle Segenswünsche vom Himmel herab für
den blühenden Knaben erflehten. Alle die Lieben sind dahingegangen,
das Schiff ist seine Heimath geworden. Er ist einsam geworden. Und
doch nicht einsam! Schwere Tritte poltern die Treppe empor „Prosit
Neujahr, Herr Kamerad" tönt es herauf und eine kräftige Hand schüttelt
die seine. Der zweite Officier bezieht die Wache und bringt ihm den
ersten Gruss im neuen Jahre. Ein rascher Blick nach voraus, ob das
Fahrwasser frei ist, dann ein kurzer Pfiff und aus der Tiefe taucht die
Ordonnanz mit zwei grossen, gefüllten Groggläsern empor. Nun ange-
stossen — Auf ein glückliches Neujahr! Inmitten der tosenden Elemente,
auf schwankender Commandobrücke klingt das so lieb und traut wie einst
zur Jugendzeit im Elternhause. Gute Kameradschaft ersetzt alles.
* *
Tiefer blauer Himmel wölbt sich über das rothe Meer. Friede lagert
über der grossen Wassenvüste. Es ist Neujahrsmorgen. Eine Kreuzer-
corvette durchschneidet mit scharfem Buge die glatten Wogen. Vor der
brennenden stechenden Sonne flüchtet sich jeder, so gut er kann, an
irgend einen Schatten spendenden Platz. Matt und träge verrichten Of-
fiziere und Mannschaft ihren Dienst in diesem Sonnenbrande und gedenken
mit Wehmuth der wohlthuenden Temperatur, die jetzt in der Heimath
herrschen mag. Die Stunden der Wache schleichen dahin.
Da meldet der Ausguck: „Dampfer voraus an Steuerbordbug!" Ein
wenig Leben kommt in die Leute. Man freut sich, Gefährten in dieser
Wüste zu haben. Unterdess taucht das entgegenkommende Fahrzeug
schnell über den Horizont empor. Bald lässt die straffe, vierkant stehende
Takelung erkennen, dass es ein Kriegsschiff ist. Jetzt werden die Fern-
rohre eifrig auf den Gegensegler gerichtet, und bald ruft der Offizier von
der Commandobrücke: „Jungens, das ist ein Deutscher!"
Nun kommt erst rechte Bewegung in die Blaujacken. Schrille Pfiffe
der Bootsmannspfeifen ertönen, Commandoworte erschallen: „Klar bei der
Flaggenleine! — Signalgäste!" —Vergessen ist alle Müdigkeit. Dort sind
Landslcute und heute ist Neujahr, da muss der Gruss besonders kräftig
und innig ausfallen.
Die Fahrzeuge nähern sich schnell einander. Die Nationalflaggen
senken sich gleichzeitig von der Gaffel herab. Am Grosstop aber steigt
das aus zweimal vier Flaggen zusammengesetzte Signal: „Ein recht glück-
liches Neujahr" empor. Dann entern die Blaujacken in die Wanten auf,
und ein dreimaliges kräftiges Hurrah schnellt über den Wassern des
fernen Meeres von Bord zu Bord. Bald sind die Schiffe wieder fern von
einander, das eine eilt, um die Flagge in Afrika zu zeigen, das andere
strebt der Heimath zu. Der Gruss, den sich im Vaterlande um die Mitter-
nachtsstunde Leute, die sich nie gesehen, auf der Strasse zurufen, gewinnt
hier, auf dem Meere, das die Welttheile scheidet, besondere Bedeutung.
„Mögt Ihr drüben viel Neues erleben!" „Mögt Ihr zu Hause Alles beim
Alten finden!" So lassen sich die Neujahrswünsche von Bord zu Bord
etwa ergänzen.
* *
■»
Sind unsere Matrosen auf dem festen Lande, so sind sie in der
Neujahrsnacht keineswegs Philister. Jan Maat hat von jeher einen guten
Punsch oder Grog, wobei das Wasser wenig oder gar keine Rolle
spielt, gern gehabt. Auch ergreift ihn, sobald er die Deckplanken seines
Schiffes verlassen hat, häufig ein Hang zu übergrosser Fröhlichkeit, die
er ja an Bord der straffen Disciplin wegen entbehren muss. Die Hafen-
plätze wissen von seiner tollen Ausgelassenheit zu erzählen. Selbst wenn
er festen Boden unter den Füssen fühlt, macht er sich durch den schwan-
kenden Gang bemerkbar, der sich dann nicht mehr durch das Rollen des
Schiffes entschuldigen lässt. Wer sein Leben täglich auf's Spiel setzt,
will es auch einmal gemessen, wenn er es ausnahmsweise ungefährdet
weiss. Der Seemann ist kein Sparer, weil ihm der Gedanke an ein hohes
Alter, an den ruhigen Genuss der Sorgenfreiheit, fern liegt.
Auch die Liebe spielt in seinem Leben eine grosse Rolle, und nament-
lich empfindet er den grössten Reiz in der Verschiedenheit der angebeteten
Objecte. Es heisst beim Seemanne nicht nur „Andere Städtchen, andere
Mädchen", sondern auch — „Ueber's Meer — andere Couleur", und ein
echter, rechter Kerl muss sich auch in alle Hautfarben schon einmal ver-
liebt haben.
Zu Hause in Kiel sitzt die Karlcen und weint sich die Augen aus
nach dem im Kreuzergeschwader dienenden Liebsten. In der S\'lvester-
nacht giesst sie dreimal Blei und wahrsagt aus den gewässerten Blei-
klumpen sich mehr wie einen Brautkranz heraus. Und was macht der
schöne Paul in Afrika? Am Neujahrsabend hat er sich Urlaub erbeten,
ist an Land gegangen und hat sich in der venda de vinhos eine grosse
Flasche Rum gekauft. Dann hat man ihn mit der kleinen kaffeebraunen
Orangenverkäuferin Manuela in zärtlicher Umarmung beim Mondschein
unter den Cocospalmen der Fazenda branca lustwandeln sehen.
Spät, weit über seinen Urlaub hinaus und nicht ganz seefest, ist er
erst an Bord gekommen, hat dann mehrere Male seinen Bootsmann um-
armen wollen und in einem fort vor sich hin phantasirt „desco a voce
un anho novo mi coracao". Tags darauf hat er drei Stunden Strafexerciren
deswegen bekommen. Auch der schöne Paul sollte nicht ungestraft unter
Palmen wandeln.
Mögen die vorliegenden Skizzen aus dem Leben des Seemannes dem
Leser beim Sylvesterpunsch ein freundliches Gedenken derer wachrufen,
die da draussen in fernen Meeren unsere Flagge in Ehren halten.
Wir aber heissen unter dem Schutze der Hohenzollernstandarte und
der Flagge des deutschen Völkes hoffnungsfroh das Signal 1895 und bieten
somit allen unseren Freunden ein kräftiges
Prosit Neujahr!
Acht Glas in der Sylvesternacht.
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Schiffsglocke — Neujahr —. Auf Augenblicke schweift sein Geist zurück
in die Jugendzeit. Um diese Stunde war es, als Vater und Mutter ihn
einst an das Herz zogen und alle Segenswünsche vom Himmel herab für
den blühenden Knaben erflehten. Alle die Lieben sind dahingegangen,
das Schiff ist seine Heimath geworden. Er ist einsam geworden. Und
doch nicht einsam! Schwere Tritte poltern die Treppe empor „Prosit
Neujahr, Herr Kamerad" tönt es herauf und eine kräftige Hand schüttelt
die seine. Der zweite Officier bezieht die Wache und bringt ihm den
ersten Gruss im neuen Jahre. Ein rascher Blick nach voraus, ob das
Fahrwasser frei ist, dann ein kurzer Pfiff und aus der Tiefe taucht die
Ordonnanz mit zwei grossen, gefüllten Groggläsern empor. Nun ange-
stossen — Auf ein glückliches Neujahr! Inmitten der tosenden Elemente,
auf schwankender Commandobrücke klingt das so lieb und traut wie einst
zur Jugendzeit im Elternhause. Gute Kameradschaft ersetzt alles.
* *
Tiefer blauer Himmel wölbt sich über das rothe Meer. Friede lagert
über der grossen Wassenvüste. Es ist Neujahrsmorgen. Eine Kreuzer-
corvette durchschneidet mit scharfem Buge die glatten Wogen. Vor der
brennenden stechenden Sonne flüchtet sich jeder, so gut er kann, an
irgend einen Schatten spendenden Platz. Matt und träge verrichten Of-
fiziere und Mannschaft ihren Dienst in diesem Sonnenbrande und gedenken
mit Wehmuth der wohlthuenden Temperatur, die jetzt in der Heimath
herrschen mag. Die Stunden der Wache schleichen dahin.
Da meldet der Ausguck: „Dampfer voraus an Steuerbordbug!" Ein
wenig Leben kommt in die Leute. Man freut sich, Gefährten in dieser
Wüste zu haben. Unterdess taucht das entgegenkommende Fahrzeug
schnell über den Horizont empor. Bald lässt die straffe, vierkant stehende
Takelung erkennen, dass es ein Kriegsschiff ist. Jetzt werden die Fern-
rohre eifrig auf den Gegensegler gerichtet, und bald ruft der Offizier von
der Commandobrücke: „Jungens, das ist ein Deutscher!"
Nun kommt erst rechte Bewegung in die Blaujacken. Schrille Pfiffe
der Bootsmannspfeifen ertönen, Commandoworte erschallen: „Klar bei der
Flaggenleine! — Signalgäste!" —Vergessen ist alle Müdigkeit. Dort sind
Landslcute und heute ist Neujahr, da muss der Gruss besonders kräftig
und innig ausfallen.
Die Fahrzeuge nähern sich schnell einander. Die Nationalflaggen
senken sich gleichzeitig von der Gaffel herab. Am Grosstop aber steigt
das aus zweimal vier Flaggen zusammengesetzte Signal: „Ein recht glück-
liches Neujahr" empor. Dann entern die Blaujacken in die Wanten auf,
und ein dreimaliges kräftiges Hurrah schnellt über den Wassern des
fernen Meeres von Bord zu Bord. Bald sind die Schiffe wieder fern von
einander, das eine eilt, um die Flagge in Afrika zu zeigen, das andere
strebt der Heimath zu. Der Gruss, den sich im Vaterlande um die Mitter-
nachtsstunde Leute, die sich nie gesehen, auf der Strasse zurufen, gewinnt
hier, auf dem Meere, das die Welttheile scheidet, besondere Bedeutung.
„Mögt Ihr drüben viel Neues erleben!" „Mögt Ihr zu Hause Alles beim
Alten finden!" So lassen sich die Neujahrswünsche von Bord zu Bord
etwa ergänzen.
* *
■»
Sind unsere Matrosen auf dem festen Lande, so sind sie in der
Neujahrsnacht keineswegs Philister. Jan Maat hat von jeher einen guten
Punsch oder Grog, wobei das Wasser wenig oder gar keine Rolle
spielt, gern gehabt. Auch ergreift ihn, sobald er die Deckplanken seines
Schiffes verlassen hat, häufig ein Hang zu übergrosser Fröhlichkeit, die
er ja an Bord der straffen Disciplin wegen entbehren muss. Die Hafen-
plätze wissen von seiner tollen Ausgelassenheit zu erzählen. Selbst wenn
er festen Boden unter den Füssen fühlt, macht er sich durch den schwan-
kenden Gang bemerkbar, der sich dann nicht mehr durch das Rollen des
Schiffes entschuldigen lässt. Wer sein Leben täglich auf's Spiel setzt,
will es auch einmal gemessen, wenn er es ausnahmsweise ungefährdet
weiss. Der Seemann ist kein Sparer, weil ihm der Gedanke an ein hohes
Alter, an den ruhigen Genuss der Sorgenfreiheit, fern liegt.
Auch die Liebe spielt in seinem Leben eine grosse Rolle, und nament-
lich empfindet er den grössten Reiz in der Verschiedenheit der angebeteten
Objecte. Es heisst beim Seemanne nicht nur „Andere Städtchen, andere
Mädchen", sondern auch — „Ueber's Meer — andere Couleur", und ein
echter, rechter Kerl muss sich auch in alle Hautfarben schon einmal ver-
liebt haben.
Zu Hause in Kiel sitzt die Karlcen und weint sich die Augen aus
nach dem im Kreuzergeschwader dienenden Liebsten. In der S\'lvester-
nacht giesst sie dreimal Blei und wahrsagt aus den gewässerten Blei-
klumpen sich mehr wie einen Brautkranz heraus. Und was macht der
schöne Paul in Afrika? Am Neujahrsabend hat er sich Urlaub erbeten,
ist an Land gegangen und hat sich in der venda de vinhos eine grosse
Flasche Rum gekauft. Dann hat man ihn mit der kleinen kaffeebraunen
Orangenverkäuferin Manuela in zärtlicher Umarmung beim Mondschein
unter den Cocospalmen der Fazenda branca lustwandeln sehen.
Spät, weit über seinen Urlaub hinaus und nicht ganz seefest, ist er
erst an Bord gekommen, hat dann mehrere Male seinen Bootsmann um-
armen wollen und in einem fort vor sich hin phantasirt „desco a voce
un anho novo mi coracao". Tags darauf hat er drei Stunden Strafexerciren
deswegen bekommen. Auch der schöne Paul sollte nicht ungestraft unter
Palmen wandeln.
Mögen die vorliegenden Skizzen aus dem Leben des Seemannes dem
Leser beim Sylvesterpunsch ein freundliches Gedenken derer wachrufen,
die da draussen in fernen Meeren unsere Flagge in Ehren halten.
Wir aber heissen unter dem Schutze der Hohenzollernstandarte und
der Flagge des deutschen Völkes hoffnungsfroh das Signal 1895 und bieten
somit allen unseren Freunden ein kräftiges
Prosit Neujahr!
Acht Glas in der Sylvesternacht.