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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Conrad-Ramlo, Marie: Augen: Novellette
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Hardt, Ernst: Eine Reisebeschreibung: Nachtstück
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0256

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MODERNE KUNST.

„Ist das Bild bald fertig?"
„Ich glaube. Wenigstens ist keine Sitzung mehr nöthig. Ich gehe nicht
mehr zu Sanden."

Agathe", fing er nach einer Pause ruhig an. „warum warst Du so böse,
ehe Du gingst, das bin ich nicht an Dir gewohnt. Soll ich mich daran gewöhnen?"

„Nein, nein, mein Geliebter. Es wird nie mehr geschehen. Ich war nervös,
Du weisst ja, das sind viele Frauen. Du sollst nie mehr etwas davon merken."

Sie stand auf und legte ihre Hand zärtlich auf seine Augen.

„Ach, Deine armen, lieben Augen! Du, Harald, wenn ich immer gut gegen
Dich bin — wirst Du mich nie mit Deinen offenen Augen —"

„Was?"

„Anstarren?"

„Mit meinen offenen Augen? Das that ich doch nie. Du hast geträumt."
„Ja. ich habe geträumt," flüsterte sie, und leise weinend lehnte sie sich
an ihn.

„Warum weinst Du?"

„Weil ich Dir wehe gethan habe. Verzeih' mir."
„Ach Geliebte! Und Du liebst mich?"

„Grenzenlos, ewig. Und es ist mir so lieb, dass Du nicht siehst — denn
wenn ich alt oder hässlich werde, das bemerkst Du dann nicht!"

Er lachte seelig. „Mir geht es dann desto schlimmer, vor Deinen hellen
Augen."

Die Symphonie in Weiss prangte im Wohnzimmer des Richthofen'schen
Ehepaares. Agathe wollte es so.

Das perlblasse Gesicht da oben, die mattweissen Spitzen aul weissem
Hintergrunde von Plüsch — ein menc tekel.

Und Agathens P>lick wurde ernster, so oft sie hinaufsehend vorüberschritt,
der Ausdruck des Mundes fester, und ihr Kuss heisser, wenn sie dann zu ihrem
Gatten eilte.

^.inc Äeiöebe^ehreibunq.

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Nachtstück von Ernst Hardt.

jj§ange lag ich so und konnte nicht schlafen — Mein Geist beschäftigte sich wunderbar wurde mir, mich von diesen tausend und abertausend kleinen Wesen

9 mit den Ereignissen des letzten Abends. Mit aller Anstrengung versuchte geliebt zu wissen, das war ein so himmlisches Gefühl, selig schloss ich meine

ich meine Gedanken abzulenken, aber schon nach einigen Minuten waren sie Augen und horchte — ich brauchte die Engel ja nicht zu sehen, ich hörte sie

gewissermaassen auf Umwegen zu ihrem alten Gegenstande zurückgelangt: was ja. sie sangen ja für mich, und sie sangen: „Wir haben Dich lieb!" —

ich auch immer denken mochte, nicht sprunghaft, sondern ganz logisch waren Da schwoll der Ton langsam an, immer voller wurde er. wie in heisser,

die Ereignisse des vergangenen Abends das letzte Glied meiner Gedankenkette — mächtiger Leidenschaft strömte es auf mich ein. Wir haben, wir haben Dich

Und immer wieder dachte ich etwas Anderes, und immer wieder dachte ich mich lieb —! Ich öffnete erschreckt die Augen, sechs Engel auf mächtigen Schwingen

zu dem alten Gedanken zurück — Ich bekam Angst davor, ich wollte, wollte ihn flogen zu mir hinab, ihr Flügelschlag hallte in den Gewölben wieder — sie kamen

nicht denken, ich hasste ihn, aber mit unbezwinglicher Gewissheit kam er wieder hinab und legten mich auf ihre Flügel — dann schwebten sie mit mir hinan, in

und marterte mich, es gab kein Entrinnen, er war immer wieder da, da — das das. Gewölbe hinauf, jetzt waren wir unter der Decke, ich kauerte mich zusammen,

machte mich fast wahnsinnig — mein ganzer Körper zitterte — Und plötzlich, Würden sie mich zerschellen? Es war ein entsetzlicher angsterfüllter Augenblick,

rasend sprang ich aus dem Bette, nun iiiig ich auch noch an deutlich die Bilder da barst das Gewölbe über uns auseinander, tief blauer, Sonnenlicht durch-

vor mir zu sehen, ich hätte aufschreien können vor Seelenschmerz, ich presste strömter Himmel prallte mir entgegen und es ging hinauf, hinauf—zum Himmel.

meine Hände auf die Augen und ging im Zimmer auf und nieder!----End- — Und höher ging es, immer höher, ich sah auf Berge und Thäler hinab und

lieh, endlich wurde ich etwas ruhiger - ich trank einige Gläser Wasser, ging da — wirklich, da in der Ferne blinkte das Meer auf — — — Ein tiefes Lust-

noch eine Weile auf und ab und legte mich dann wieder zu Bett — — — Von gefühl durchströmte mich, ich richtete mich empor und streckte meine beiden

Schlaf oder Müdigkeit empfand ich keine Spur — Ich fühlte nur. dass hinten im Arme in heissem Verlangen zu jener tief blauen Gluth! — Und schneller flogen

Dunkeln, im Hintergründe, jene alten Gedanken mit gefletschten Zähnen lauerten, meine Engel, mächtiger wurden die Bogen — Wir sausten dem Meere entgegen

kauerten. — und ein unbewachter, unbeherrschter Augenblick. — sie waren — Es ruhte sich so weich auf den Engelsflügeln, die Luft streifte so kühl meine

wieder da. sie besiegten mich, und die Qual begann von Neuem — Wenn nur brennenden Wangen, oh, ich hätte jubeln können vor Lust —! Und nun kamen

der Schlaf käme, ehe meine Kraft nachliess — aber ich war garnicht müde — wir über das Meer! — Die Engel senkten sich hinab, dicht über den Wogen

Aus Angst entschloss ich mich, ein Schlafpulver zu nehmen. - — Es schmeckte flogen sie dahin — Ich hing meinen Arm hinunter, die Wellen spülten über

genau wie Zucker — war also gar nicht so absonderlich, so mysteriös, wie ich meine Hand, der weisse Schaum war so warm und weich — wenn wir einmal

gedacht hatte! — Dann legte ich mich auf den Kücken, löschte das Licht und einer Welle zu nahe kamen, so spritzte wohl das Wasser an einem Engelsfusse

wartete — — — — — — — — — — — — — — — .__ — _ _ — — auf und fiel dann in kleinen, blanken Tropfen auf meinen Körper zurück — —

Ich wurde nicht müde, aber allmählich überkam mich eine so merkwürdige üh, es war eine solche Wonne zu schweben, zu fliegen, dicht über dem Meere

Empfindung des Schwerseins, ich fühlte, wie ich in die Kissen niedergedrückt — - In der Ferne lagen mächtige, lang hingestreckte Berge, aber sie schienen

wurde —; meine Vorstellungen hatten keine Macht mehr über mich, Gedanken, zu schlafen, sie waren so ernst! — Meine Engel flogen nun langsamer, sie

die mich vorher stark beunruhigt hätten, dachte ich jetzt ohne die geringste breiteten ihre Schwingen weit aus und die Luft trug uns in sanften, langen

Erregung — — Ich lag ganz still auf dem Rücken — — — Plötzlich fühlte Bewegungen dahin —

ich meinen Körper mit dem Bett sinken, hinabsinken, immer schneller — mit Die Berge lagen wohl einmal, wie Berge eben liegen, nebeneinander, durch

einem Ruck hielt es an, dann sank es weiter, hinab in bodenlose Tiefen, einander, — und um einen tiefen, dunklen See! — Und einmal kam aus diesem

— die Bewegung war mir entsetzlich, ich wollte mich festhalten, griff mit See eine Stimme und verkündete, dass eine Vollendung aufsteigen würde —

den Händen in die Luft hinein, aber es sank und sank mit zunehmender Ge- Da wichen die Berge auseinander, in tiefer Ehrfurcht wichen sie weit, weit zurück,

schwindigkeit, ich kauerte mich in meinem Bett zusammen und drückte die bis an die Grenzen des Himmels, darüber hinaus — — Und das Wasser aus den

Augen fest zu — — Da — mit einem Ruck hielt es an — ich lauschte auf — Tiefen floss ihnen nach und alles wich zurück: die Berge legten sich am Horizonte

noch eine schwingende Bewegung — wirklich es stand. — Vorsichtig öffnete ich nieder und warteten auf die Vollendung, still und stumm! — Endlich wurden

die Augen — — ich konnte nichts deutlich sehen, es war halbdunkcl rundumher, sie müde — sie streckten sich lang aus, lang, weit legten sie sich auf die Ebene

nur dicht neben meinem Bett brannte eine Fackel! Ich richtete meinen Kopf ein nieder und warteten — Aber die Vollendung kam und kam nicht und sie fingen

wenig in die Höhe und schaute um mich — Es war ein mächtiges Gewölbe — an zu träumen und die Augen zu schliessen, und ganz allmählich schliefen sie

Bogengänge führten in's Dunkle hinein — die Luft war feucht und kellerartig — ein und das Licht auf ihnen schlief mit ein — und alles wurde müde und ernst

Ich legte mich wieder zurück und schloss die Augen — Meinetwegen auch hier, und legte sich von oben herab auf die Berge! — — — — — — — — — — —

dachte ich — dann und wann war es mir, als schwankte mein Bett wieder — Da liegen sie nun, diese mächtigen Riesen im verwitterten Licht — ernst
aber es war alles ganz ruhig. — und grau, abgeklärt durch Jahrtausende, — eingeschlafen, und eingeschlafen kurz
Plötzlich fühlte ich's von oben auf mich herabsinken, wie mächtige Dunkel- vor dem Eintreten eines wunderbaren, grossen Ereignisses — oder — waren sie
heiten •— ich öffnete die Augen, es wurde hell in dem Gewölbe und von oben es jetzt gar selbst — waren sie selbst jene Vollendung, auf die sie so lange ge-
senkten sich unzählige kleine Gegenstände herab, in unabsehbarer Menge schwebten wartet hatten? — — — — — — — — — — — — — — — — — — —

sie und neigten sich zu mir — Es waren Tausende von kleinen Händchen, wie Und zwischen ihnen schien es mir als blinkte eine Stadt auf — — — — —

ich sie so gerne hatte, kleine, weiche Hände, die an unsichtbaren Armen in Auf die Knice sinke nieder,

sanften Bewegungen auf und nieder wogten — Ich schaute in die Hände hinauf Trügt Dein Glück Dich einmal hin,

und freute mich an ihnen — Da hörte ich plötzlich verschiedene kleine, feine Hebe leise Deine Augen,
Tönchen, die Hände hatten sich auf einmal in kleine, ganz winzige Engel ver-

Eincn Blick wie im Gebet.

j i_ ■ 1^1.. i i j Mtrhfq bist Du an dieser Stelle1 _

wandelt. Sie schwebten auf weissen Mügeln umher und stimmten einen Gesang micais

an. — Es klang so rührend, so weich, so unendlich süss — jetzt verstand ich Meine Engel flogen weiter — hin über das Meer — dunkellaubige Wälder

auch die Worte — all die kleinen Engel sangen: „Wir haben Dich lieb!" — Wie blickten zum Himmel auf, hohe Cypresscn ragten, und wir schwebten von Wipfel
 
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