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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Zobeltitz, Fedor von: Weihnachten bei den Pyramiden: Tagebuchblätter einer Zwanzigjährigen
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Mann, Heinrich: Irrthum: Novellette von Heinrich Mann
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0138

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MODERNE KUNST.

45

Vergangenheit des alten Egypten macht er seine Witze. William kommt
nicht. Warum kommt er nicht? Wenn er doch käme! —

Wir sind noch zum Granittempel und zum Zahlengrab gefahren, aber
mich interessirt nichts mehr. Max will noch nach dem Todtenfelde von
Sakkära, doch ich dränge nach Kairo zurück. Ich kann Maxen's Witze
nicht mehr hören; mich verlangt nach freiem Menschenthum. Mein Schleier
ist total zerrissen.

Mr. William ist nicht nachgekommen. Wir fahren nach Hause.

25. December. — Ich kann es noch immer nicht fassen. Nur Ruhe!
Jede Fiber in mir empört sich gegen den Gedanken--nur Ruhe!

Chronologisch. Wir kommen gegen 6 Uhr in das Hotel zurück. Ich
fragte gleich beim Portier nach Mr. Kneebs. Der Portier war sehr erstaunt,
dass er nicht bei uns war und erzählte, Mr. Kneebs sei vor etwa zwei
Stunden in einer Droschke vorgefahren, um den Regenmantel der gnädigen
Frau (d. h. den meinen) zu holen. Er habe sich vom Portier den Schlüssel
unseres Zimmers geben lassen und ihn etwa eine Viertelstunde später
wieder abgegeben; dabei habe er den Regenmantel über dem Arm gehabt
und in scherzendem Tone geäussert: „Das hat eine halbe Ewigkeit ge-
dauert, ehe ich das Ding fand! Nun will ich machen, dass ich zurück-
komme!" Und dem Droschkenkutscher habe er zugerufen: „Nach Gizeh!
Zwei Franken Trinkgeld, wenn Du die Pferde nicht schonst!"

Max stürzte wie ein Rasender die Treppen hinauf — ich ging ruhig
hinterher. Ich verstand das alles nicht. Mir was das alles so unklar. Plötz-
lich hörte ich oben einen lauten Schrei und den Ausruf: „So ein Schurke!" —

Es war geradezu entsetzlich. Max stand mitten im Zimmer, in dem
eine wüste Unordnung herrschte. Mein Koffer und der seine waren er-
brochen. Sein Portefeuille mit 4000 Franken fehlte, ebenso mein ganzer
Schmuck. Obenauf in meinem Koffer aber lag ein Zettel, auf dem mit
Bleistift geschrieben die Worte standen: „Guten Morgen, Vielliebchen!"
Ich fiel in Ohnmacht.

26. December. — Das ganze Hotel ist in Aufruhr. Max hat einen
furchtbaren Spektakel gemacht. Er wollte den Portier ersatzpflichtig

machen, aber der Mann sagt, er hätte Mr. Kneebs den Zimmerschlüssel
anstandslos ausgehändigt, da er so „intim" mit uns befreundet gewesen
wäre. Auch Herr Zech, unser Wirth, erklärt, schuldlos zu sein; wir hätten
ihm unser Geld und unsere Werthsachen in Verwahrung geben sollen.
Ich bin tief unglücklich. So schreckliche Weihnachten habe ich noch nie

erlebt. Mr. Kneebs ein gemeiner Gauner — der Mann, den ich--es

ist nicht auszudenken! Im Hotel schuldet er auch noch über tausend
Franken. Er war ein Hochstapler. Darum auch sein freies Wesen und
seine Spitzbubenaugen. Ich war nichts, als ein Object für dieses Subject
Wie komisch spielt oft das Geschick!

27. December. — Max wirft mir vor, ich hätte Mr. Kneebs „heran-
gezogen". Ich ziehe Niemanden heran. Ich habe den Mann von vorn-
herein durchschaut, aber Max trank mit ihm Brüderschaft und behandelte
ihn wie einen Intimus. Mir war Mr. Kneebs vom ersten Tage ab un-
sympathisch, und das habe ich Max auch erklärt.

29. December. — Max hat mein Tagebuch gefunden und durch-
gelesen. Ich erwartete einen furchtbaren Zornesausbruch. Anfangs schien
es auch so, dann lächelte er aber und sagte, ich wäre eine kleine Pute,
er hätte mich aber doch lieb. Was soll man darauf entgegnen! —

1. Januar. — Telegramm von zu Hause. Maxens Vertreter hat unser
Haus in der Lenne-Strasse mit einem Gewinn von 100000 Mark verkauft.
Das ist ein Pflaster auf Maxens Wunden. Er ist sehr vergnügt. Wir
bleiben noch vier Wochen. Es hat sich herausgestellt, dass Mr. K. (nur
nicht den Namen nennen!) noch am 25. Abends mit dem „Nelson" in die
See gestochen ist. Wir lassen ihn nicht verfolgen. Max hat mir die
Perlenkette doch noch versprochen. Er ist sehr lieb.

2. Januar. — Morgen zweiter Ausflug nach den Pyramiden. Ich will
oben auf dem Cheops einen Namen auslöschen. Wenn ich an die letzten
Tage zurückdenke, kommt mir alles recht komisch vor. Es ist besser, ich
verbrenne mein Tagebuch. So Etwas hat seine Schattenseiten, selbst im
sonnigen Orient. Schwamm drüber, Strich d'runter und

Ende.

2£yS®---

Novellette von Heinrich Mann.

[Nachdruck verboten.]

ur wenig Licht gelangt von den weit herabgebrannten Dann hat der Leser den grünen Schirm vor die Lampenkuppel gezogen,

Kerzen des Tannenbaumes, der zwischen den dicht ver- und in dem Halbdunkel, das ihren alten Augen und Seelen so wohl thut,

hangenen Fenstern vom Boden zur Decke ragt, in die sitzen sie nun, und mit ihren langsamen vorsichtigen Greisengedanken

Ecke des grossen altmodischen Gemaches, die das Canapee denken sie an den Inhalt des Briefes und an das Schicksal ihres Lebens,

einnimmt. Sein geblümtes, geripptes Damastpolster lehnt das er berührt und wieder aufgeregt,

sich würdig gegen die dunkle Holztäfelung der Wand, wie es seit drei ....
Menschenaltern gethan, und die beiden Alten sitzen darauf, er und sie

„ ,r,-^v,r nphpnsmn,^»^ i a • t-i j ii ii Ai- C i n c i n ii a t i, U. S. A., am 11. December 188..

aufrecht nebeneinander, jedes in seiner Ecke, weder allzu nah dem Andern, ' '

noch auffällig von ihm zurückgezogen — gerade so wie sie die vielen, vielen Meine liebwerthe Freundin!

Jahre neben einander gelebt. Nichts ist zu vernehmen, als der metallene Befürchten Sie nichts von den Worten, welche folgen sollen, denn es

Puls der goldenen Stutzuhr, an die sich die Porzellanschäferinnen mit wird nichts von dem heissen Athem der Leidenschaft, mit dem ich einst

ihren verblassten Farben lehnen, drüben auf der Console des weitgeschweiften Ihre Seele zu entfachen-mich vermessen, in Ihnen sein. Sie werden still

Eckschrankes; lange Zeit nichts, bis plötzlich der alte Mann den schräg sein und ich wünsche nur, dass Sie nicht schon ein wenig hohl klingen

aufgestützten Arm ganz auf die Lehne des Canapees zurücksinken lässt; möchten in dem Schatten, der vom Grabe her allgemach über uns wächst,

da knittert und raschelt das Papier in seiner Hand, dass es wie ein Zu- Doch widerstehe ich nicht dem Bedürfnisse, Ihnen noch einmal von jenen

sammenschrecken klingt. Zeiten zu reden, die zugleich meine Seligkeit und meine Verdammniss

Doch zeigt die Haltung der beiden Menschen nicht mehr Unruhe als enthalten. Warum ich es so plötzlich thun muss nach einer so langen

die Bewegung, mit der die alte Frau den Brief, der noch spät an diesem Entfernung von Ihnen, nachdem ich nichts mehr zu kennen schien, als

Weihnachtsabend für sie angekommen, ihrem Manne zugereicht. Das ist meine Familie und meine Geschäfte? Vielleicht weil das Weihnachtsfest

geschehen, als sie sich müde von der Bescheerung und nachdem das Kind, wieder einmal nahe ist, das fünfzigste seit jenem bedeutsamen, da wir uns

ihre Enkelin, sich entfernt, in ihren Ruhewinkel zurückgezogen. Da hat zuletzt gegenüberstanden, nachdem vorher der Andere so schrecklich

der Alte seine Brille hervorgeholt und unter dem Licht der steifen weissen zwischen uns getreten. Vielleicht auch, weil ich im letzten Jahre durch

Lampe, die auf dem Seitentischchen steht, bedächtig die verschnörkelten das Hinscheiden meiner treuen Frau, durch den Wegzug meiner Kinder

Schriftzüge entziffert, die von einem Manne kommen, der seit fünfzig Jahren wieder einsam geworden bin und keine Gesellschaft mehr die Schleier

der Anwendung deutscher Zeichen nur wenig gewohnt gewesen und seine zerreissen mag, in die mich die Erinnerung immer dichter einspinnt. Genug,

altmodische Schreibweise nicht verlernt hat. ich habe mir heute Abend an das Kaminfeuer, daran ich meine Füsse

IX. W.-No. III. M.
 
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