I 22
i n c ffg> u 11 e r.
Von Hedwig Wigger.
. '" " [Nachdruck verboten.]
fiSKj,onnige Märztage hatten Wiesen und Buschflächen mit duftigem Grün geputzt. sie, in dem Kinde einen Zeugen ihrer Armuth, ihres grenzenlosen, häuslichen
jPjgo Auf dem nahrhaften Sandboden gepflegter Gärten sah man die langrührigen Elends aufzuziehen. Der Mann starb, sie betrauerte ihn nicht, er hatte das Gute
Blumen und die schmalen, linealen, in der Mitte mit gelbweissem Streif in ihr getödtet. Aber sie arbeitete alles, was ihr unter die Hände kam und
gezeichneten Blätter hervorkommen. Violetter Frühlingssafran und Crocus. Aus sparte und geizte.
Buschgehegen grüssten Schneeglöckchen und Scilla. Baumweisslinge strichen über Das reiche, gebrochene Erdreich war ihr lieber als ihr eigen Fleisch und Blut,
sie hin, die kleinen bebenden weissen Flügel lebhaft hin- und herschlagend. Die So nahmen sich fremde Leute des kleinen Mädchens an. Ihre klugen Augen,
Sonnenkugel leuchtete mit frühlingsmildem Schein über Gerechte und Ungerechte. ihr nachdenkliches Wesen gefiel überall, auch hatte sie einen klaren Verstand
Frau Dörthe Köster blickte an den Märzblumen vorüber, vorüber an dem und ein gutes Gedächtniss. Der Lehrer beschäftigte sich gern mit ihr, er lehrte
Ginster im moosigen Untergrund des Waldes, mit Nichtachtung auf die zittern- sie, was er selber wusste. Dann brachte er Dora zu Herrn Pastor Schliemann,
den Schmetterlinge, die dem Frühlingsgrün Vernichtung drohen. Für sie sind und nun begann ein Lernen voll Fröhlichkeit und Lust in dem grossen Studir-
Sonne und Regen, Wechsel der Jahreszeiten nichts anderes als eine naturgemässe zimmer, in der Lindenlaube des Gartens.
Folge des vorangegangenen, ihr Auge bleibt kalt wie ihr Herz und ihr Gemüth Wenn sie glückstrahlend über das, was sie unter Leitung des Predigers
beim Anblick dessen, was die empfindende Seele erfreut. Sie geht eilenden gelernt, in der Mutter Stube trat, erfüllt von dem Schönen, das ihr Herz und
Schrittes die ungepflasterte Dorfstrasse hinan. Kaum nimmt sie sich Zeit, dem ihren Sinn einnahm, ein freudig Wort an die arbeitsame Frau richten wollte,
Gruss der Vorübergehenden dankend zu begegnen. erlosch ihr Lächeln, erstarben ihre Gedanken bei dem harten Blick ihrer Mutter.
„Mutter, die Holsten war's, die uns grüsste," sagte das Mädchen neben ihr. „Das hat ja Ostern all' ein Ende, dann heisst's verdienen", war ihre Ant-
Die Frau sah kalt auf die Sprecherin. wort. „Ich hab' meine Augen zugemacht bis jetzt, nu is aber genug."
„Du konntest ja danken." So waren die Stunden ,des zu Hause' eine Qual für Dora, und sie vermochte
„Ich hab's gethan." der Mutter doch nicht zu trotzen.
„Na, was machst' denn erst viel Wesens davon?" Endlich war die ersehnte Zeit da, Dora war eingesegnet worden, hatte an
Das junge schlanke Mädchen blickte von der Seite an der Mutter empor, der Seite der Mutter am Gründonnerstage das Abendmahl genommen, war am
in deren Zügen sich keine Miene wandelte. stillen Freitag und heute am Ostersonntag wieder in der Kirche gewesen. Damit
„Weisst Du, Mutter, dass Pastors Käthe barmherzige Schwester wird? Dorchen war nach Frau Kösters Meinung allem Genüge gethan. Nun kam der Ernst des
von Pressentin kommt auch in die Stadt, weit weg." Lebens und forderte gebieterisch seine Rechte.
„So." ___--_-----------"-'--
„Sie sind auch gar nicht traurig —" Frau Köster ging Nachmittags durch den gelben Märzsonnenschein nach
„So. Na, die Leute haben Haus und Hof und Geld, und wir — wir haben Tarnowitzerhagen zum Schulzen und zugleich zum Müller, der ihr die kleinen
nichts, garnichts, begreifst Du das immer noch nicht?" Ersparnisse verzinste. Leichter ward ihr Schritt, froher ihr Gang. Ja, wenn
„Mutter, Herr Pastor will 'was zugeben oder sogar das ganze vorschiessen, Dörthe erst fort war, da konnte sie auch wieder froh sein, des Mädchens Augen
wir können es ihm nach Jahr und Tag abbezahlen, wenn Du mich wolltest in klagten sie immer an. Und der Müller freute sich regelmässig, wenn sie Geld
die Stadt geben —" brachte . . „Na, Fru Köstern, so flitig, so sporsam, Sei tämen sick rein nicks,
Die Frau stand still: „Fängst Du nun wieder davon an. Und ich — und soll all för de Lütt, all' för Düren, ja dei Kinner, sei maken uns veil Sorg und
ich, was soll ich beginnen? sclaven von früh bis spät, und die paar Pfennige, Mäuch, äwer ock veil Freu, wat wollen sei nicht. För Weckern Süllen wi arbeiten,
die ich erarbeite, gehören nicht einmal mir, sondern mit Zins und Zinseszins wenn nich för uns' Kinner?"
jenen da drüben, die Dich was lernen lassen, damit Du später Deine Mutter „All för Düren" . . . ihr Herz pochte. Ihre schwieligen Hände legten sich
verachtest, weil sie arm und unwissend ist." in einander. „Sie wird auch 'was davon haben, wenn sie erst Erfahrung hat,
Ein böser Blick fiel auf das Mädchen, das die Hände bittend gegen sie sieht sie's schon ein. Ich habe mein ruhiges Alter am eigenen Herd, und sie
erhob: „Sprich nicht so Mutter, das thut so weh, ich will Dir alles Gute ver- die schöne Mitgift für einen ordentlichen Mann."
gelten, alles, lass mich nur 'was lernen. Der Herr Pastor sagt, mit Kenntnissen Diesen Trost gab sie ihrer Selbstsucht.
komme man durch die ganze Welt." Schon gegen Mittag war es jenseits des Dammes von der Wiek her so blau
Die Frau stutzte und stiess hervor: „Es geht nich, ne, es geht nich, Schulden heraufgekommen, als ob ein Sturm über die See zöge. Jetzt kam es immer
machen will ich nich, ich bin auch nich mehr die Jüngste, Du musst in'n Dienst, düsterer, unheildrohender. Frau Köster hatte den Umweg über Everstorff nicht
musst Deine Mutter unterstützen, die für Dich gedarbt und gearbeitet hat bis heute." gescheut, wo sie noch Verwandte besuchte und wollte über den Damm nach
Stumm gingen sie neben einander weiter. Aus einiger Entfernung sahen Hause gehen. Da sah sie nun das drohende Unheil. Die See, die hier eine
sie den bläulichen Rauch aus dem Schornstein des Tagelöhnerhauses sich rin- breite Bucht in's Land hinein bildete, wogte mächtig heran und spülte mit ihren
geln, in dem sie ihre Stube hatten. Mit Geringschätzung blickte die Frau auf salzigen Schaumköpfen gegen den schlecht gestützten Deich,
das Haus: „Mit Rüben- und Dammarbeitern müssen wir die Wohnung theilen, Drüben im Heimathsdorfe wusste man noch nichts, man feierte Ostern mit
und Du — Du nichtsnutziges Ding willst in die Stadt, willst was lernen. Meine fröhlichem Festschmause, und hier drohte der Untergang der Saaten, der Felder,
ganze Schulzeit hat nicht halb so viel gekostet, wie Du in einem Jahre kostest der — Wohnstätten. Sie eilte, von unsichtbarer Macht gehetzt, ins Dorf, mit
und bist undankbar." stumpfen Mienen bis zum Gutshofe. Ihrem entsetzten Blick wich alles. „Der
Dora hielt mühsam die aufsteigenden Thränen zurück. Ihr Hals war wie Sturm kommt, der Everstorffer Deich :hält nich aus, die Saaten werden weg-
zugeschnürt, geschwemmt —" so keuchte sie und lief, von Hunderten gefolgt, auf dem Damm
„Mutter, ich will arbeiten, damit es Dir wieder gut gehe." der Bucht zu. Wie aus der Erde gestampft standen sie da, Unzählige, Männer,
— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — Frauen und Kinder. Die Arbeiter rammten Pflöcke, Geröll gegen den alten Deich
Die Frau war im Grunde ihres Herzens nicht böse. Als sie den alten und stellten sich selbst auf, eine lebende Mauer. „Es zieht vorüber" — meinte
stämmigen Käthner Köster heirathete, brachte sie zwar keine jungen Jahre, einer, — „so fix kümmt dat nich, das süht sick man so an" ein anderer. Dörthe
wohl aber jungen Sinn und guten Willen in die Ehe. Der Mann hatte ziemlich Köster stand auf der äussersten Spitze des Dammes. Sie schaute hinunter aul
abgewirthschaftet, als er sich zum Heirathen entschloss und schaute nicht mit die Wogen, die mit dem dumpfen, donnerähnlichen Brausen langsam heran sich
Unwillen auf Dörthe's Sparkassenbuch, die grossen Säcke voll Daunen und die wälzten, um zu verderben ... sie wandte den Blick auf die Felder. Wenn
eigengesponnenen Linnen. Dörtchen stach das hübsche kleine Haus in die hier, hier auf diesem Fleck, bespült von der salzigen Fluth, ihr Haus stände,
Augen mit dem Gärtchen voll Blumen und der Wiese voll Gras. ihr Land läge, und wenn eine einzige Stunde alles vernichtete, was sie seit
Nichts weiter begehrte sie vom Leben, als das Stückchen Boden, wo Väter einem halben Menschenalter sich erdarbt hatte, was dann? Ein Schrei entwand
und Urväter gelebt, gearbeitet, gesorgt. sich ihr, der gellend und unheimlich durch die richtende Gewalt der Elemente
Und dann kam alles anders. Schon nach wenigen Monaten durchschaute verklang,
sie die ganze Geschichte. Das Gras, das sie da schnitt, gehörte nicht mehr ihr, Sie trat behutsam zurück, wollte heim. Was konnte sie hier helfen? die
das holte Bauer Vogt, dem es verpfändet war, das Obst holte der hinkende Männer standen Schulter an Schulter auf ihren Posten. Sterbegedanken zogen
Schneider, der hinter den halbblinden Scheiben sass und Röcke und Westen durch die Seele der Frau. Da sah sie den gelbweissschimmernden Seevogel auf-
ausbesserte und dabei redete wie ein Advokat . . und das Häuschen war ver- fliegen. Es war die Lachmöve, die pfeilschnell aus ihrem Genist im Steinbruch des
schuldet bis unter das Dach. alten Deiches aufschoss. Da — eine zweite, fast noch schneller als die erste.
Dann trat etwas ganz Unerwartetes, Unfassbares an sie heran. Sie sollte noch Sie kreisten neben-, über einander, schössen in das Wasser hinab, tauchten
für ein Drittes sorgen, für ein Kind, das sie sich gar nicht in ihr Leben hinein- unter, um nach einiger Zeit an einer ferneren Stelle wieder an die Oberfläche
denken konnte. Sie hasste dieses Kind lange vor seiner Geburt, es demüthigte zu kommen. So schnell war ihr Flug, dass man nur einen Punkt erkennen
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Von Hedwig Wigger.
. '" " [Nachdruck verboten.]
fiSKj,onnige Märztage hatten Wiesen und Buschflächen mit duftigem Grün geputzt. sie, in dem Kinde einen Zeugen ihrer Armuth, ihres grenzenlosen, häuslichen
jPjgo Auf dem nahrhaften Sandboden gepflegter Gärten sah man die langrührigen Elends aufzuziehen. Der Mann starb, sie betrauerte ihn nicht, er hatte das Gute
Blumen und die schmalen, linealen, in der Mitte mit gelbweissem Streif in ihr getödtet. Aber sie arbeitete alles, was ihr unter die Hände kam und
gezeichneten Blätter hervorkommen. Violetter Frühlingssafran und Crocus. Aus sparte und geizte.
Buschgehegen grüssten Schneeglöckchen und Scilla. Baumweisslinge strichen über Das reiche, gebrochene Erdreich war ihr lieber als ihr eigen Fleisch und Blut,
sie hin, die kleinen bebenden weissen Flügel lebhaft hin- und herschlagend. Die So nahmen sich fremde Leute des kleinen Mädchens an. Ihre klugen Augen,
Sonnenkugel leuchtete mit frühlingsmildem Schein über Gerechte und Ungerechte. ihr nachdenkliches Wesen gefiel überall, auch hatte sie einen klaren Verstand
Frau Dörthe Köster blickte an den Märzblumen vorüber, vorüber an dem und ein gutes Gedächtniss. Der Lehrer beschäftigte sich gern mit ihr, er lehrte
Ginster im moosigen Untergrund des Waldes, mit Nichtachtung auf die zittern- sie, was er selber wusste. Dann brachte er Dora zu Herrn Pastor Schliemann,
den Schmetterlinge, die dem Frühlingsgrün Vernichtung drohen. Für sie sind und nun begann ein Lernen voll Fröhlichkeit und Lust in dem grossen Studir-
Sonne und Regen, Wechsel der Jahreszeiten nichts anderes als eine naturgemässe zimmer, in der Lindenlaube des Gartens.
Folge des vorangegangenen, ihr Auge bleibt kalt wie ihr Herz und ihr Gemüth Wenn sie glückstrahlend über das, was sie unter Leitung des Predigers
beim Anblick dessen, was die empfindende Seele erfreut. Sie geht eilenden gelernt, in der Mutter Stube trat, erfüllt von dem Schönen, das ihr Herz und
Schrittes die ungepflasterte Dorfstrasse hinan. Kaum nimmt sie sich Zeit, dem ihren Sinn einnahm, ein freudig Wort an die arbeitsame Frau richten wollte,
Gruss der Vorübergehenden dankend zu begegnen. erlosch ihr Lächeln, erstarben ihre Gedanken bei dem harten Blick ihrer Mutter.
„Mutter, die Holsten war's, die uns grüsste," sagte das Mädchen neben ihr. „Das hat ja Ostern all' ein Ende, dann heisst's verdienen", war ihre Ant-
Die Frau sah kalt auf die Sprecherin. wort. „Ich hab' meine Augen zugemacht bis jetzt, nu is aber genug."
„Du konntest ja danken." So waren die Stunden ,des zu Hause' eine Qual für Dora, und sie vermochte
„Ich hab's gethan." der Mutter doch nicht zu trotzen.
„Na, was machst' denn erst viel Wesens davon?" Endlich war die ersehnte Zeit da, Dora war eingesegnet worden, hatte an
Das junge schlanke Mädchen blickte von der Seite an der Mutter empor, der Seite der Mutter am Gründonnerstage das Abendmahl genommen, war am
in deren Zügen sich keine Miene wandelte. stillen Freitag und heute am Ostersonntag wieder in der Kirche gewesen. Damit
„Weisst Du, Mutter, dass Pastors Käthe barmherzige Schwester wird? Dorchen war nach Frau Kösters Meinung allem Genüge gethan. Nun kam der Ernst des
von Pressentin kommt auch in die Stadt, weit weg." Lebens und forderte gebieterisch seine Rechte.
„So." ___--_-----------"-'--
„Sie sind auch gar nicht traurig —" Frau Köster ging Nachmittags durch den gelben Märzsonnenschein nach
„So. Na, die Leute haben Haus und Hof und Geld, und wir — wir haben Tarnowitzerhagen zum Schulzen und zugleich zum Müller, der ihr die kleinen
nichts, garnichts, begreifst Du das immer noch nicht?" Ersparnisse verzinste. Leichter ward ihr Schritt, froher ihr Gang. Ja, wenn
„Mutter, Herr Pastor will 'was zugeben oder sogar das ganze vorschiessen, Dörthe erst fort war, da konnte sie auch wieder froh sein, des Mädchens Augen
wir können es ihm nach Jahr und Tag abbezahlen, wenn Du mich wolltest in klagten sie immer an. Und der Müller freute sich regelmässig, wenn sie Geld
die Stadt geben —" brachte . . „Na, Fru Köstern, so flitig, so sporsam, Sei tämen sick rein nicks,
Die Frau stand still: „Fängst Du nun wieder davon an. Und ich — und soll all för de Lütt, all' för Düren, ja dei Kinner, sei maken uns veil Sorg und
ich, was soll ich beginnen? sclaven von früh bis spät, und die paar Pfennige, Mäuch, äwer ock veil Freu, wat wollen sei nicht. För Weckern Süllen wi arbeiten,
die ich erarbeite, gehören nicht einmal mir, sondern mit Zins und Zinseszins wenn nich för uns' Kinner?"
jenen da drüben, die Dich was lernen lassen, damit Du später Deine Mutter „All för Düren" . . . ihr Herz pochte. Ihre schwieligen Hände legten sich
verachtest, weil sie arm und unwissend ist." in einander. „Sie wird auch 'was davon haben, wenn sie erst Erfahrung hat,
Ein böser Blick fiel auf das Mädchen, das die Hände bittend gegen sie sieht sie's schon ein. Ich habe mein ruhiges Alter am eigenen Herd, und sie
erhob: „Sprich nicht so Mutter, das thut so weh, ich will Dir alles Gute ver- die schöne Mitgift für einen ordentlichen Mann."
gelten, alles, lass mich nur 'was lernen. Der Herr Pastor sagt, mit Kenntnissen Diesen Trost gab sie ihrer Selbstsucht.
komme man durch die ganze Welt." Schon gegen Mittag war es jenseits des Dammes von der Wiek her so blau
Die Frau stutzte und stiess hervor: „Es geht nich, ne, es geht nich, Schulden heraufgekommen, als ob ein Sturm über die See zöge. Jetzt kam es immer
machen will ich nich, ich bin auch nich mehr die Jüngste, Du musst in'n Dienst, düsterer, unheildrohender. Frau Köster hatte den Umweg über Everstorff nicht
musst Deine Mutter unterstützen, die für Dich gedarbt und gearbeitet hat bis heute." gescheut, wo sie noch Verwandte besuchte und wollte über den Damm nach
Stumm gingen sie neben einander weiter. Aus einiger Entfernung sahen Hause gehen. Da sah sie nun das drohende Unheil. Die See, die hier eine
sie den bläulichen Rauch aus dem Schornstein des Tagelöhnerhauses sich rin- breite Bucht in's Land hinein bildete, wogte mächtig heran und spülte mit ihren
geln, in dem sie ihre Stube hatten. Mit Geringschätzung blickte die Frau auf salzigen Schaumköpfen gegen den schlecht gestützten Deich,
das Haus: „Mit Rüben- und Dammarbeitern müssen wir die Wohnung theilen, Drüben im Heimathsdorfe wusste man noch nichts, man feierte Ostern mit
und Du — Du nichtsnutziges Ding willst in die Stadt, willst was lernen. Meine fröhlichem Festschmause, und hier drohte der Untergang der Saaten, der Felder,
ganze Schulzeit hat nicht halb so viel gekostet, wie Du in einem Jahre kostest der — Wohnstätten. Sie eilte, von unsichtbarer Macht gehetzt, ins Dorf, mit
und bist undankbar." stumpfen Mienen bis zum Gutshofe. Ihrem entsetzten Blick wich alles. „Der
Dora hielt mühsam die aufsteigenden Thränen zurück. Ihr Hals war wie Sturm kommt, der Everstorffer Deich :hält nich aus, die Saaten werden weg-
zugeschnürt, geschwemmt —" so keuchte sie und lief, von Hunderten gefolgt, auf dem Damm
„Mutter, ich will arbeiten, damit es Dir wieder gut gehe." der Bucht zu. Wie aus der Erde gestampft standen sie da, Unzählige, Männer,
— — — — — — — — — — — — — — — — — — — — Frauen und Kinder. Die Arbeiter rammten Pflöcke, Geröll gegen den alten Deich
Die Frau war im Grunde ihres Herzens nicht böse. Als sie den alten und stellten sich selbst auf, eine lebende Mauer. „Es zieht vorüber" — meinte
stämmigen Käthner Köster heirathete, brachte sie zwar keine jungen Jahre, einer, — „so fix kümmt dat nich, das süht sick man so an" ein anderer. Dörthe
wohl aber jungen Sinn und guten Willen in die Ehe. Der Mann hatte ziemlich Köster stand auf der äussersten Spitze des Dammes. Sie schaute hinunter aul
abgewirthschaftet, als er sich zum Heirathen entschloss und schaute nicht mit die Wogen, die mit dem dumpfen, donnerähnlichen Brausen langsam heran sich
Unwillen auf Dörthe's Sparkassenbuch, die grossen Säcke voll Daunen und die wälzten, um zu verderben ... sie wandte den Blick auf die Felder. Wenn
eigengesponnenen Linnen. Dörtchen stach das hübsche kleine Haus in die hier, hier auf diesem Fleck, bespült von der salzigen Fluth, ihr Haus stände,
Augen mit dem Gärtchen voll Blumen und der Wiese voll Gras. ihr Land läge, und wenn eine einzige Stunde alles vernichtete, was sie seit
Nichts weiter begehrte sie vom Leben, als das Stückchen Boden, wo Väter einem halben Menschenalter sich erdarbt hatte, was dann? Ein Schrei entwand
und Urväter gelebt, gearbeitet, gesorgt. sich ihr, der gellend und unheimlich durch die richtende Gewalt der Elemente
Und dann kam alles anders. Schon nach wenigen Monaten durchschaute verklang,
sie die ganze Geschichte. Das Gras, das sie da schnitt, gehörte nicht mehr ihr, Sie trat behutsam zurück, wollte heim. Was konnte sie hier helfen? die
das holte Bauer Vogt, dem es verpfändet war, das Obst holte der hinkende Männer standen Schulter an Schulter auf ihren Posten. Sterbegedanken zogen
Schneider, der hinter den halbblinden Scheiben sass und Röcke und Westen durch die Seele der Frau. Da sah sie den gelbweissschimmernden Seevogel auf-
ausbesserte und dabei redete wie ein Advokat . . und das Häuschen war ver- fliegen. Es war die Lachmöve, die pfeilschnell aus ihrem Genist im Steinbruch des
schuldet bis unter das Dach. alten Deiches aufschoss. Da — eine zweite, fast noch schneller als die erste.
Dann trat etwas ganz Unerwartetes, Unfassbares an sie heran. Sie sollte noch Sie kreisten neben-, über einander, schössen in das Wasser hinab, tauchten
für ein Drittes sorgen, für ein Kind, das sie sich gar nicht in ihr Leben hinein- unter, um nach einiger Zeit an einer ferneren Stelle wieder an die Oberfläche
denken konnte. Sie hasste dieses Kind lange vor seiner Geburt, es demüthigte zu kommen. So schnell war ihr Flug, dass man nur einen Punkt erkennen