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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Meier, Wilhelm: Marzipan: Skizze
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Unsere Bilder, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0167

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7*

MODERNE KUNST.

Es wurde Abend, und Xaver ging durch die Strassen. Er kam wieder „Er ist ja auch nicht mehr da," sagte er zu sich und ging trübsinnig

an die Spreebrücke, auf der er schon vor Monaten gestanden hatte, beugte weiter, bis er dann zwei Bekannte traf mit denen er eine Flasche Wein

sich über das Geländer und sah in das dunkle Wasser. Er war Sterbens- trank und wieder lustig wurde,

müde, sein Kopf ganz leer und das Leben bodenlos fade. Er dachte Aber Xaver sass immer noch da.

darüber nach, was der Conditor ihm gesagt hatte: „in den Freistunden Es war schon ganz gut, dass Carl Heinrich nicht hinein ging. Erstens

wieder Thon und Meissel zur Hand nehmen." hätte er sich sehr erschreckt über den Anblick des einstigen Freundes

„Das ist nun zu spät," dachte er, „die Hand ist schmutzig geworden, und zweitens hätte er ihm nun doch nicht mehr helfen können. Denn

eine Zuckerhand, eine schleckerige Hand, eine Marzipanhand. Und selbst dieses zweite Jahr hatte Xaver so ziemlich den Rest gegeben,

wenn das gleichgültig wäre, man könnte ja doch nichts mehr schaffen. Zunächst kam er in dieser Zeit auf einige ganz bizarre Ideen. Er

Man kann nicht mehr nachdenken, es ist aus. Man ist ein Zwerg wollte griechische Göttinnen auf die Torten setzen und hatte die Absicht

geworden. Frau Jenny Laporte als Modell zu benutzen. Sie war ausser sich und

Er sah über das Geländer und dachte, ob es nicht gut wäre, das kam thränenüberströmt zu ihrem Gatten. Paul stellte seinem Bildhauer

Ganze zu enden. Aber plötzlich lachte er still vor sich hin: „Lächerlich I daraufhin zur Rede, aber Xaver antwortete lauter dummes Zeug und war

ein Marzipan-Conditor, der sich tödten will!" erst nach einigen Tagen zu der Ueberzeugung zu bringen, dass Frau

Er hatte zwei Thaler in der Tasche und trank die Nacht hindurch in Jenny sich zum Modell nicht eigne,

allen Kneipen herum. Als die Weltausstellung in Chicago heran kam, hatte Xaver die aller-

Einmal, ein Jahr etwa mochte vorbei sein, kam ein junges, glückliches merkwürdigste Idee. Er wollte Paul beschwatzen, eine Riesenstatue aus

Paar und bestellte sich einen ganz ausserordentlichen Hochzeitskuchen. Marzipan dort auszustellen, eine Venus Kalypygos, dreissig Meter hoch.

Xaver wurde als Sachverständiger citirt, und da rief der Herr laut auf: „Er ist halt a bissei verrückt", sagte Paul zu seiner Frau, „denn zunächst

„Xaver! Zum Kuckuk, Du?!" giebt es so viel Marzipan auf der ganzen Welt nicht, und dann — man

Xaver wurde sehr blass, aber Carl Heinrich schüttelte ihm die Hände muss sich das überhaupt vorstellen."

und war ausser sich. Allmählich ging es mit Xavers Marzipanfigürchen bergab. Seine

„Du immer noch hier!? Das ist ja unerhört! Aber das soll ein Ende Phantasie war eigetrocknet und er machte immer nur denselben kleinen

nehmen! Ich sorge für Dich! Morgen schon!" Amor: ein ledernes langweiliges Männchen. Darunter litt natürlich das

Aber zwei Tage darauf war Hochzeit, und dann ging es nach Italien Geschäftsrenommee, und die Hochzeitstorten und Figurenkuchen wurden

und von Italien nach Griechenland, und in solchem Glück hat Niemand unmodern. Paul dachte oft daran, Xaver abzuschaffen, aber er hatte ein

Zeit an Andere zu denken. gutes Herz und mochte ihn nicht auf die Strasse setzen. Schliesslich gab

Und als wieder ein Jahr später Carl Heinrich heim gekommen war es auch immer Allerlei zu thun und Xaver war ein billiger Kostgänger,

und über die Friedrichstrasse schlenderte und sich in guter Laune die In jenem Jahre kamen zu Weihnachten die Marzipan-Schweinchen auf,

Läden besah, kam er auch an Laportes Laden und da fuhr es ihm plötz- die sehr niedlich aussehen und nach Gewicht verkauft werden. Die wurden

lieh durch den Sinn: „Sackerment der Xaver! Wie konnte ich das ver- nun Xaver's Specialität, und sie sind es bis zum heutigen Tage geblieben,

gessen?! Ob er noch da ist?! Bisweilen aus langer Weile dreht er an ihnen herum und giebt ihnen

Nein es ist unmöglich, rein unmöglich." allerlei närrische Gesichter. Dann lacht die Ladenmamsell, und Xaver, der

Er wollte hinein gehen und nachfragen, aber er schämte sich. sonst nie im Leben den Mund verzog, macht ihr das nach und lächelt auch.

n^ere #ilder.

üstere Anachoretcngestalten, von dem ganzen phantastischen Höllenspuk Abstammung angehörte, verkehrte direkt mit Jehova. Wenn der strenggläubige

umwirbelt, waren stets ein dankbarer Vorwurf für die Maler aller Zeiten, Jude mit den Gebetriemen seinen linken Arm und seine Stirn umwunden, dann

^9 besonders für die Niederländer. Als Meister Siemiradzki die Ver- fühlt er sich als den berufensten Vertreter des Gesetzes. Das „Dem Herrn sei

suchung des Heil. Hieronymus malte, hat ihn sicher zunächst der Reigen der Ehre!" klingt aus seinem Munde wie ein Machtwort, an dem ihm selbst sein

schönen bacchantischen Weiber gereizt. Aber den berühmten Kirchenvater und wohl gemessen Theil gebührt. Sein Glaube ist ein bindender Vertrag zwischen

Einsiedler verfolgen noch andere Wahngebilde, so vor Allem die Sucht nach Schöpfer und Geschöpf. Fest stützen sich seine Hände beim Gebet auf das

Philosophen- und Rhetoren-Ruhm, und da taucht denn im Hintergrunde das Buch des Gesetzes. In der Gestalt des betenden Juden, wie sie St. Gro scholski

Bild der Rednerbühne auf dem Forum Romanum mit den Schiffschnäbeln auf, geschaffen, verkörpert sich der ganze Stolz des „auserwählten Volkes", das sich

und die Gestalten berühmter Staatsmänner und Weltweiser scheinen ihm lockend seines Jehova sicher fühlt, und ihn, wenn es sein muss, wie der Aeltervater Jacob,

zu winken. Er aber ringt, am Felsen niedergesunken, die Hände im Gebet und durch sein Gebet zu sich niederzwingt.

wendet mit geschlossenen Augen das Haupt ab, um nicht zu erliegen der Und doch ruht des Menschen Schicksal zumeist in der eigenen Brust, un-
sündigen Versuchung. abhängig von göttlichen oder dämonischen Gewalten. Wenn der Wille, der starke

Wohl ist des Lebens Wonne gemenget mit Bitterkeit, aber der harmlosen zielbewusste Wille zur rechten Zeit einsetzt, dann entscheidet sich's. Zögernd

Freuden gab es von jeher die Fülle. Wenn man die Feste feiert, wie sie fallen, hält der junge Student auf O. Zewy's Bilde „Der Abschied" die Geige in der

hat selbst ein Kaffeeklatsch im Freien seine Vorzüge — seit unserer Grossmütter Hand, ehe er sie in die Tiefen des Koffers zu den Büchern versenkt, von denen

Zeiten. Auch „Anno dazumal" fand man sich zusammen in Mieder und Brust- sie ihn oft fortgelockt. Ob ihre sehnsüchtigen Töne dann wohl dem jungen

tuch, mit flatternden Bandschleifen und zierlich gebundenen Schuhen und sprach Mädchen galten, das mit Thränen kämpfend am Fenster steht? Durch die offene

von dem lieben Nächsten — natürlich nur Gutes. Und kleine Leckermäulchen, Thür des Nebenzimmers sieht man die strickende Mutter, die eine Katastrophe

denen der süsse Kuchen mehr galt, als der liebe Klatsch, fehlten auch damals da drinnen weniger überraschen dürfte, als die Betheiligten glauben. Aber der Wille

nicht, eben so wenig wie die Schoosshündchen, an die man seinen Ueberschuss muss einsetzen, der starke Wille zum Glück. Ehe der Koffer sich schliesst, fällt die

von Zärtlichkeit verschwendete. Wurden sie lästig, so schickte man sie eben Entscheidung über die Zukunft zweier nach einander verlangender Menschenkinder,

fort, um sich weiter zu ergehen in der wohlwollenden Kritik — der Anderen. Aussichtslos ist nur der Kampf gegen die Naturgesetze, endlos der gegen die

Ein wenig anspruchsvoller ist man im Uebrigen doch wohl mit der Zeit Elemente. „Schiffbrüchig" haben sie sich in des Finnischen Bildhauers Stigell

geworden in der Wahl der Genussmittel. Die Nerven bedürfen, um angenehm zu Marmorgruppe auf ein Riff gerettet, Vater, Mutter und Kinder. In hülfloser

vibriren, starker Reizmittel. Es ist eine gar gemischte Gesellschaft, die O. Walter Noth sind die Frau und der älteste Knabe am Felsen niedergesunken, während

in seinem Circus unterbringt. Offiziere und Cavaliere, die an Pferden und hoch- der Vater, sein Jüngstes im Arm, sich hoch aufreckt, in gewaltigem Aufschrei

geschürzter Frauenschönheit gleichviel Gefallen haben. Auch die liebe Jugend Hülfe heischend von den vorübersegelnden Schiffen.

fehlt nicht in hoffnungsvollen Exemplaren beiderlei Geschlechtes. Man kann die In düsterer Moorlandschaft spielt sich auf R. Friese's Bilde: „Auf der Wahl-
heranreifenden Kleinen nicht früh genug bekannt machen mit den Spässen der statt" die letzte Scene eines Dramas ab. Ein mächtiger Elchhirsch hat im Kampfe
Clowns. Für die Jugend ist bekanntlich das Beste gut, und das Lachen kann um das Weib soeben seinen Gegner erlegt. Gebrochene Aeste und zertretenes
man niemals zu früh lernen. Gras und Schilf zeugen von der Heftigkeit des Streites, der da in der fahlen
Die jüdische Religion hat der sichtbaren Mittler nie bedurft, wer ihr durch Abenddämmerung ausgefochten worden.
 
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