MODERN!': KUNST.
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St. George Hare. Ein Liebestraum.
und Schwester diese Briefe erhielten, sie Xaver einige freundliche war es her, dass man ihn gelobt hatte! Und nun wurde er gelobt. Frei-
Thränen nachweinen möchten und ihn in gutem Gedächtniss behalten lieh von einem schäbigen Publikum.
sollten. Als der Hochzeitskuchen fertig war und Beifall und Geld eingebracht
Xaver war über den Besuch erstaunt, und als der Conditor ihm sein hatte, sagte Paul zu seiner Frau: „Wir wollen diesen Xaver dauernd
Anliegen vortrug, hörte er schweigend zu. Es ging ihm dann allerlei im engagiren. Erstens thun wir ein gutes Werk und zweitens hat die Sache
Kopfe umher: sein letzter schwacher Künstlerstolz und die Ueberlegung, einen praktischen Hintergrund." Den hatte sie auch wirklich. Die Torten
dass die zwanzig Mark den Kohl auch nicht fett machen und seine trübe und Kuchen von Laporte wurden in der feinen Welt Mode, und die
Angelegenheit nur wenig verzögern würden. Aber das triviale Gefühl Marzipanfiguren waren stets so entzückend, dass sie nie gegessen, sondern
eines unangenehmen Hungers brachte ihn über solche Bedenken hinweg von den jungen Damen aufbewahrt wurden,
und er ging mit. So ging das Wochen und Monate.
— — — — — — — — — — — — — — — — — — —---— Xaver ass seine belegten Butterbrode und Cotelettes, wurde bei dem
Zwischen Paul's elegantem Laden und dem Corridor, der zur Back- ruhigen Leben rund und gesund und knetete Tag aus Tag ein seine
stube führte, lag ein kleines Durchgangszimmer, wo der Conditor Bücher Figürchen. Er war wie immer in sich gekehrt, sprach fast nie und starrte
führte und Rechnungen schrieb. Hier erhielt Xaver seinen Platz. Er in dem ewig dunklen und trüben Zimmer auf seine Arbeit. Wenn die
bekam ein Hammelcotelette mit Rothkohl, ein Glas Bier und zum Nach- Mamsell rief: „Hundert Windbeutel" oder „die Torte für den Commerzien-
tisch ein paar Kuchen von gestern. Dann brachte Paul einen Klumpen rath", so that sie das mit gedämpfter Stimme, denn Paul hatte Ordre
Marzipan und sagte: „So lieber Freund, nun 'mal recht fleissig. Oben gegeben, dass Niemand seinen Bildhauer stören solle.
Gott Amor und rings herum zwölf kleine Liebesgötter." Eines Tages sagte er zu Xaver: „Wir wollen zusammen ein Glas
Xaver sass allein. Bisweilen kam die Mamsell in's Zimmer und rief Bier trinken."
in den Corridor hinein: „Hundert Windbeutel" — „die Torte für den Sie gingen in's Pschorrbräu, zündeten sich eine Cigarre an und sassen
Commerzienrath" — „frische Schlagsahne" u. dgl. mehr. Xaver grub einander einsilbig gegenüber.
seine Finger in die weiche Masse und einen Moment rieselte ein leiser „A propos," fing Paul an, „das wollte ich Ihnen schon immer sagen,
Schauder über ihn — Marzipan. lieber Xaver: Sie haben jetzt ein nettes Einkommen und sind aller Sorgen
Dann begann er zu arbeiten und am Abend war Gott Amor fertig. ledig. Wenn Sie da vielleicht mal Lust haben, in der Freizeit wieder
„Brillant!" sagte Paul. Frau Jenny Laporte wurde gerufen und das ganze richtig Bildhauer zu sein, ich meine, richtig mit Stein oder Marmor, bitte,
Geschäft wurde gerufen. Die Ladenmamsells und die Gesellen, die Lehr- lieber Xaver, geniren Sie sich nicht. Ich erlaube Ihnen das gern. Im
jungen und die beiden Dienstmädchen. Alle sagten „Brillant", alle waren Gegentheil: es nützt uns vielleicht Beiden. Sie kommen wieder in die
entzückt. Xaver sass auf seinem Stuhl vor dem Tisch, hatte die Beine Uebung und lernen womöglich noch was dazu."
ausgestreckt, hielt die Hände in den Hosentaschen und sah mit etwas Xaver antwortete nicht und rauchte. Nach einiger Zeit wurde das
starren und verglasten Augen auf den Marzipan-Amor. Die Andern dem Conditor langweilig und er ging. Zu dem Kellner sagte er: „Was
standen um ihn herum und fanden immer neue Lobsprüche. Wie lange der Herr verzehrt, bezahle ich."
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St. George Hare. Ein Liebestraum.
und Schwester diese Briefe erhielten, sie Xaver einige freundliche war es her, dass man ihn gelobt hatte! Und nun wurde er gelobt. Frei-
Thränen nachweinen möchten und ihn in gutem Gedächtniss behalten lieh von einem schäbigen Publikum.
sollten. Als der Hochzeitskuchen fertig war und Beifall und Geld eingebracht
Xaver war über den Besuch erstaunt, und als der Conditor ihm sein hatte, sagte Paul zu seiner Frau: „Wir wollen diesen Xaver dauernd
Anliegen vortrug, hörte er schweigend zu. Es ging ihm dann allerlei im engagiren. Erstens thun wir ein gutes Werk und zweitens hat die Sache
Kopfe umher: sein letzter schwacher Künstlerstolz und die Ueberlegung, einen praktischen Hintergrund." Den hatte sie auch wirklich. Die Torten
dass die zwanzig Mark den Kohl auch nicht fett machen und seine trübe und Kuchen von Laporte wurden in der feinen Welt Mode, und die
Angelegenheit nur wenig verzögern würden. Aber das triviale Gefühl Marzipanfiguren waren stets so entzückend, dass sie nie gegessen, sondern
eines unangenehmen Hungers brachte ihn über solche Bedenken hinweg von den jungen Damen aufbewahrt wurden,
und er ging mit. So ging das Wochen und Monate.
— — — — — — — — — — — — — — — — — — —---— Xaver ass seine belegten Butterbrode und Cotelettes, wurde bei dem
Zwischen Paul's elegantem Laden und dem Corridor, der zur Back- ruhigen Leben rund und gesund und knetete Tag aus Tag ein seine
stube führte, lag ein kleines Durchgangszimmer, wo der Conditor Bücher Figürchen. Er war wie immer in sich gekehrt, sprach fast nie und starrte
führte und Rechnungen schrieb. Hier erhielt Xaver seinen Platz. Er in dem ewig dunklen und trüben Zimmer auf seine Arbeit. Wenn die
bekam ein Hammelcotelette mit Rothkohl, ein Glas Bier und zum Nach- Mamsell rief: „Hundert Windbeutel" oder „die Torte für den Commerzien-
tisch ein paar Kuchen von gestern. Dann brachte Paul einen Klumpen rath", so that sie das mit gedämpfter Stimme, denn Paul hatte Ordre
Marzipan und sagte: „So lieber Freund, nun 'mal recht fleissig. Oben gegeben, dass Niemand seinen Bildhauer stören solle.
Gott Amor und rings herum zwölf kleine Liebesgötter." Eines Tages sagte er zu Xaver: „Wir wollen zusammen ein Glas
Xaver sass allein. Bisweilen kam die Mamsell in's Zimmer und rief Bier trinken."
in den Corridor hinein: „Hundert Windbeutel" — „die Torte für den Sie gingen in's Pschorrbräu, zündeten sich eine Cigarre an und sassen
Commerzienrath" — „frische Schlagsahne" u. dgl. mehr. Xaver grub einander einsilbig gegenüber.
seine Finger in die weiche Masse und einen Moment rieselte ein leiser „A propos," fing Paul an, „das wollte ich Ihnen schon immer sagen,
Schauder über ihn — Marzipan. lieber Xaver: Sie haben jetzt ein nettes Einkommen und sind aller Sorgen
Dann begann er zu arbeiten und am Abend war Gott Amor fertig. ledig. Wenn Sie da vielleicht mal Lust haben, in der Freizeit wieder
„Brillant!" sagte Paul. Frau Jenny Laporte wurde gerufen und das ganze richtig Bildhauer zu sein, ich meine, richtig mit Stein oder Marmor, bitte,
Geschäft wurde gerufen. Die Ladenmamsells und die Gesellen, die Lehr- lieber Xaver, geniren Sie sich nicht. Ich erlaube Ihnen das gern. Im
jungen und die beiden Dienstmädchen. Alle sagten „Brillant", alle waren Gegentheil: es nützt uns vielleicht Beiden. Sie kommen wieder in die
entzückt. Xaver sass auf seinem Stuhl vor dem Tisch, hatte die Beine Uebung und lernen womöglich noch was dazu."
ausgestreckt, hielt die Hände in den Hosentaschen und sah mit etwas Xaver antwortete nicht und rauchte. Nach einiger Zeit wurde das
starren und verglasten Augen auf den Marzipan-Amor. Die Andern dem Conditor langweilig und er ging. Zu dem Kellner sagte er: „Was
standen um ihn herum und fanden immer neue Lobsprüche. Wie lange der Herr verzehrt, bezahle ich."