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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Liman, Paul: Carnevals-Stimmungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0179

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MODERNE KUNST

und graziösen Damen, denen nicht die kurze Frist nach dem Dreikönigs- zeit ist schön. In die Ecken des Ballsaals drückt sich blöde der Jüngling,

tage erst die Faschingslust brachte, die vielmehr das ganze Leben als einen die Naht an den Handschuhen ist längst geplatzt, docli die Tanzkarte blieb noch

Carneval nahmen, als eine Kette von fetes galantes, bis die grosse Revolution leer. Endlich ermannt er sich und diplomatisch holt er die Aelteste zum Rund-

den tagenden Aschermittwoch kündete und Guillotin die Fastenpredigt hielt. tanz, von deren Dankbarkeit er erwartet, dass sie schonend über seine

Die süsse Lieblichkeit der Schäferspiele, Küsse und Champagner — man kannte Tanzkünste zur Tagesordnung übergehe. Aber ach, aus dem blöden Jüngling

noch die Kunst des Geniessens; Jabot, Kniehose und Schnallenschuhe und der wird gar bald der Blasirte, dem das Tanzen zu echauffirend ist und

Dreispitz, zierlich unter dem Arme getragen, dass der Puder nicht stäube, der dennoch, wenn die Musik verklungen ist, noch andere Stätten aufsucht,

wollten nicht taugen zu ernsten Gedanken, trunken wollte man sein von Lebens- an denen Terpsichore herrscht. O, du schöner Fasching! Giebt es etwas

lust und Liebe, und wenn der Carneval zu Ende ging, dann wollte man mit Rührenderes, als wenn sorgsame Mütter mit Inbrunst hinüberschauen, ob die

Grazie sterben. Der nervösen Verfeinerung des Geniessens konnte die Faschings- Tochter auch nicht die Mauern zu zieren verurtheilt ist und wenn ein erleich-

zeit, wie sie Kirche und bürgerliche Gewohnheit begrenzten, kaum noch eine ternder Seufzer verräth, dass das Schreckliche vermieden? Faschingsfreude!

Steigerung bieten, vielleicht, dass Seidenmaske und Domino noch eifriger sich an Auch der Vater empfindet sie, wenn er die kalte Küche verzehrt hat, die ihm in

die Fenster verschwiegener Sänften beugten und zu galantem Abenteuer Anrechnung künftiger Genüsse zu Hause servirt wird, und wenn er dann, mühsam

schlüpften oder dass noch häufiger im Dunkel des Parkes leuchtende Amoretten den heissen Drang nach Ruhe besiegend, auf den Schwingen einer Droschke zu

hei ablauschten auf das Geflüster der Liebe oder zorniges Kreuzen der Degen. Balle fährt, um spät am Morgen heimzukehren. Aber wenn ihm wirklich die

Es war nicht einmal Carnevalszeit als Soubise bei Rossbach den siegreichen Freuden des Carnevals nicht behagen, so bleibt ihm doch ein Mittel zur Rache:

Reitern des grossen Friedrich seine Schminktöpfe liess und die seidenen Ge- die Tischrede. Den biblischen Fluch hat unser Jahrhundert durch die Tischrede

wänder galanter Damen, dass sie die in's Unermessliche verschärft. Man rauss

bärtigen Gesichter schmücken und zu
tollem Fastnachts - Mummenschanz sich
kleiden konnten. Es war auch nicht
Carnevalszeit, als Cardinal Rohan, das
Opfer der Lamothe, sich mit dem Hals-
bande in den Park von Versailles schlich,
um eine Königin zu gewinnen.

Wir feiern auch Carneval, wir gehen
zu vortrefflichen Soupers und zu elegan-
ten Bällen, und manchmal holen wir gar
die zierlichen Gewänder jener galanten
Zeit hervor, in der Ninon de l'Enclos
die Menschheit bezauberte und die
Pompadour eine Welt regierte. Aber
sie kleiden uns nicht recht, diese Ge-
wänder, die Zeugen eines vergangenen
Jahrhunderts, denn wir haben in dem
harten Zeitalter der Maschinen und der
sozialen Kämpfe verlernt, unbefangen

ihn sehen, den Normalgreis, wie er
sich würdevoll erhebt, stolz lächelnd
um sich blickt und nun in langsamem
Tempo alles das vorträgt, was selbstver-
ständlich ist und Menschen rasend
machen kann, — um den Geist moderner
Geselligkeit voll zu begreifen und ihre
Grazie zu bewundern! Immerhin, wenn
solch ein unseliger Dauerredner sich
erhebt und mit Messer und vollem
Weinglas das Zeichen beabsichtigten An-
griffs giebt, wenn dann das Gespräch
verstummt und das mühsame Lächeln
der Höflichkeit die Angst vor dem
Kommenden verdirbt, wenn dann die
Pausen kommen, die fürchterlichen, in
denen die Rede zum Stammeln und
der Blick so leer, so furchtbar leer wird,
wenn dann der Schweiss reichlich aus-
bricht, bis endlich das rettende Manu-
skript der „improvisirten" Rede forthilft,

und ohne aa das Morgen zu denken. .^^HP."J_'-'. "Vv"'.' • ••'•!^^H^^BBH^^1^^^^. *>- dann mögen bei solchem Thun für den

graciös zu tändeln und unbefangen zu
geniessen. Wir ziehen den Frack an,
knöpfen die weisse Binde, und nur der
Claquehut bildet noch eine Reminiscenz
an die Tage, da man den Dreispitz
unter dem Arme trug, dass der Puder
nicht stäube. Und wie unsere Kleidung
gleichförmig und unmalerisch wurde, so

wieder Menuet ä la reine und gehen,
wenn die Musik verstummt, in die Neben-
zimmer, Bier zu trinken.

Und doch ist auch jetzt noch die

der historischen Sinn hat, wohl Anklänge
an vergangene Zeiten lebendig werden,
an frühere Carnevalsbräuche, die auch
das Herbe mit dem Süssen vereinten,
an die Tage sogar, da die Menschheit
noch aus ungläubigen Heiden bestand
und dennnoch schon den keimenden
Frühling mit Carnevalsfreuden begrüsste

haben wir auch den feinen Farbensinn fe.^llr'-. \ - *4m$K ^ • ^gjv'- und da die „Luperci" harmlose Wanderer

der Geselligkeit verlernt; wir tanzen ¥&gSto£f'Z±> * ^8^^." IMk ' ; und auch zarte Frauen ungestraft mit

Geissein schlugen. Selbst das Mittelalter
kannte das Fastnachtslaufen, den direkten
Ahnen der Tischreden, die in Deutsch-
land so üppig blühen, vielleicht gerade

Faschingszeit schön! Giebt es ein lieb- L---L_l_3:3::^3^': '■ SWS ' . ,-. U deshalb, weil wir mit unserer pedan-

licheres Bild, als wenn der Glanz der „ ■ . tischen Gründlichkeit uns am Wenigsten

r . i , • oii i j a j Der Festredner. Onginalzeiclinung von Johannes Martini. 6

Lichter im Ballsaal aus den Augen des dazu eignen. Ueberhaupt fehlt uns wohl

schüchternen Mädchens widerstrahlt, das zum ersten Male den Traum seines die rechte Leichtigkeit im geselligen Leben, die Fähigkeit, ausgelassen zu

jungfräulichen Herzens erfüllt sieht? Wieviel Tage freudiger Erregung, heisser jubeln und gar über die Grenzen, die Stand sorgsam von Stand, Classe von

Erwartung gingen voran! Wie eingehend wurde die wichtige Frage der Ball- Classe trennen, sei es auch nur zur Fastnachtszeit, hinwegzuspringen. Auch

inne, ftrörtert, wie wurden alle Einwendungen des Vaters siegreich zurück- die Mannigfaltigkeit der modernen Carnevalsvergnügungen zeugt darum wenig

robe v-~;ingelrcfi .rjochte das junge Herz, als endlich der verheissungsvolle von dem Humor und der Erfindungs»tfg 'H'^cVT^ Geschlechtes: JS.-yp-c?sv

geschlagen, w w, ' -»-■■^ qu-h ^ aügeil.aui.^italten verschwimmen Hausbälle, Hausbälle, Soupers. ~°"> da rfebi es so^ar Costümfeste bei

Abend erschien! Nun ist man eingetreten, die einzelnen uc. Ä ■ -.i, r. v<jm , ... p„. rlier und da giebt es soBar v^ostumreste,

fast vor den Augen, und schon drängen sich eifrige Tänzer herbei, ihren ^...^ J£* deF Äizug gestattet ist, so dass die Wenigen, die muth-

in die Karte einzutragen. Und auch Er kommt, nach dem das Auge schon voll in ihren Tiroler Lederhosen kommen, genirt in den Nebenräumen einher-

züchtiglich spähte, und, o Jubel! - er hat sich den Cotillon ausgebeten! Er hat schleichen. Der Maskenball ist aus den vornehmen Kreisen des Ostens so

- ja wahrhaftig, auch hinter dem zweiten Walzer steht sein Name. Nur eins gut wie ganz verschwunden und selbst der vorurteilslose Gastgeber, der

macht noch Sorge: Wird sie, die Ungeübte, es verstehen, gewandt ein Ballgespräch sich über die unmotivirte Abneigung gegen die Maskenfreude hinwegsetzt,

mit Unbekannten, Fremden durchzuführen? Da, die erste Pause ist vorüber - weiss es klüglich einzurichten, dass Niemand über die Vermummten im

es war ja garnicht schwer, noch einige Bälle, und aus dem schüchternen Kinde, Zweifel ist.

das kaum sich umzublicken wagte, ist die gewandte Balldame geworden, die von Unsere Zeit der Maschinen und socialen Kämpfe ist nüchterner, ungraziöser,

Tänzern umschwärmt wird und mit grosser Geschicklichkeit vom Wetter, von ernster geworden als die der Anderen, deren Häupter aus den Bildern an

gemeinsamen Bekannten und vom letzten Concert zu plaudern versteht. Und unseren Wänden auf uns herabblicken mit Schönheitspflästerchen, Jabot und

dann kommt die Zeit, wo sich zwei Menschen gefunden, wo vor der Phantasie Puder, und doch brauchen wir um Eines nicht zu sorgen: Lebenslust und Liebe

glückselige Zukunftsbilder umherwirbeln und wo nur ein Jubel und ein Klingen werden nicht aussterben, und die Poesie und Freude des Carnevals wird es

hn Herzen ertönt. Das ist die Carnevalszeit des Lebens, die Zeit der frohen geben, so lange es Jugend und heisses Blut, so lange es Wein, Weib und

Lust, die dem Aschermittwoch der späteren Sorgen vorangeht. Ja, die Faschings- Gesang giebt.
 
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