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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Mann, Heinrich: Irrthum: Novellette von Heinrich Mann
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0139

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MODERNE KUNST.

wärme, ein Tischchen gerückt, an dem ich niederschreiben will, wovon Es war an einem Gesellschaftsabende. Ihr Heim war voll duftiger

auch das Herz noch einmal warm werden mag. Frauentoiletten, jeder Herr bemühte sich, nach unserer guten Sitte von

Und zuerst das Gcständniss, das zwischen uns unnöthig und das mir damals, galant um seine Schöne. Ich sehe Sie in ihrem weissen mädchen-
doch von der Seele will: dass ich allein an Allem Schuld, was Sie und haften Kleide, das sich so unvergleichlich um Ihren zarten Hals schloss,
ich selbst erlitten; dass ich Ihre Güte verkannt und mit Undank gelohnt in dem Kreise, der sich um den Theetisch gebildet hatte Schweigsam
und den edeln Schmerz, den Ihnen mein Zustand bereitete, auch noch und sinnend schienen Sie auf die Worte Ihres Nachbarn kaum zu achten:
durch meine Handlungen ungerecht vermehrt habe. Denn Sie waren gütig vielleicht eine Laune, vielleicht Langeweile? Ich aber suchte Ihren Blick
und mitleidig und das Mitleid herrschte in Ihnen in einem Maasse vor, und war nicht einmal überrascht, ihn zu treffen, voller und tiefer denn
wie ich es in keinem anderen Geschöpfe je wiedererkannt. Sie fürchteten je zuvor, wie mich däuchte. Wie sehr ich da gewünscht hätte, jubelnd
sich nichf vor meinen brennenden Augen, als ich mich Ihnen das erste emporzuspringen, so überkam mich doch alsogleich wieder das Gefühl des
Mal näherte, ich, der ich schon bei Ihrer Hochzeit von fern meine Flüche gemeinsamen Elends, dem ich Ihre schmerzliche Haltung zuschrieb,
in den Segen hineingeschleudert hatte, der in der Kirche ausgesprochen Empfindsam Ihrem Gram gegenüber, versank ich nur noch trüber in
ward. Freundlich plauderten Sie mit mir und schonten, mit der Sorgfalt mich selbst.

einer Mutter, meine Empfindsamkeit, die in der Luft jener Zeit gedieh. Nach dem Thee ward ein Pfänderspiel gemacht, das mein Schicksal

Ich fühlte mich als Dulder Ihnen nah, glaubte unter dem gleichen Joch zu entschied. Bei der Auslösung eines Ihrer Pfänder ward Ihnen aufgegeben,
leiden wie Sie, deren Herr und Gebieter auch mein Vorgesetzter und Herr unter einer Anzahl Herren einen mit einem Kusse in Ehren zu beschenken,
war. Seine Strenge gegen den Niederen und Armen und die Nichtachtung, Sie standen lächelnd da, Ihr Blick suchte, da traten Sie auf mich zu.
die er dem gleichwohl nur wenig Jüngeren bewies, vergüteten Sie. So ward Warum erzähle ich alle diese Einzelheiten, die Sie selbst nie beachtet

seine Ueberhebung zur Gefahr für mich, denn er sandte mich häufig genug an und lange, lange vergessen haben?

Abenden, wenn er Sie allein liess, aus dem Contor zu Ihnen hinauf, um Ihnen Ach, Elisabeth, Sie haben mit all' Ihrer Seelenfreiheit nie geahnt, was

aufzuwarten. Wenn Sie dann dem Verwaisten von seiner einst angesehenen für den Jüngling dieser Kuss war, dessen noch der Greis nicht gedenkt
Familie sprachen, so träumte ich mich unter Ihrem trauten Lächeln als Page, ohne den Hauch Ihres Mundes, den Duft Ihres Gesichtes — und ein heisses
der das Garn, das er Ihren schlanken Fingern hielt, auch wohl noch um sie Brennen in den eigenen Augen zu spüren. Sie haben ihn unachtsam in
Beide, um ihn und die Prinzessin, zu winden hoffte, fest und unauftrennbar. der Eingebung Ihres Mitleids ertheilt, und für mich ist er das Einzige, das
Wohl hielten Sie mich stets in meinen Schranken zurück, die mehr ich nie habe vergessen können. Sie gaben ihn wie ein Almosen, und ich
mein Gefühl als meine Worte oder Bewegungen zu überschreiten drohten. habe nie grösseren Reichthum kennen gelernt. Glauben Sie nicht, dass
Sie ahnten meinen Zustand, allein, wie hätte Ihr übermächtiges Mitleid ihn ich Sie anklage! Ich höre, so lange ich kann, nicht auf, Ihnen über Zeit
so behandeln sollen, wie es kühle Klugheit gethan hätte? Zuweilen empfing und Raum meinen Dank hinüberzurufen für die kostbaren Einbildungen,
ich eine Gunsterweisung von Ihnen, die mich taumelnd von Glückshoffnungen die wundervollen Gefühle, mit denen ich in Ihrer Nähe leben durfte und
herumgehen liess, bis jedesmal der Umschlag zur tiefsten Verzweiflung die nicht zu theuer erkauft sind mit allen Leiden welche nachfolgten,
erfolgte, wenn ich Sie beim nächsten Wiedersehen ruhig und gütig wie Jener Kuss hatte mich wie mit dem Hauche des Wahnsinns berührt,

immer fand. Einmal aber gönnten Sie mir einen Trost, der mich des so dass ich nur von jedem Tage das Ungeheuerliche, Unmögliche er-
Restes von Kopf beraubte und uns Beiden verhängnissvoll ward. wartete. Es war mir, als müssten Sie endlich einmal meine Hand nehmen

und so, Hand in Hand, müssten wir geradeaus schreiten, wie in eine
rosige Luft hinein bis an die Schwelle eines Märchenlandes, das uns ge-
hören müsste — und hinüber. Täglich mehr ward ich von einer nagenden,
rastlosen Ungeduld verzehrt, Ihnen das alles zu sagen,
i" Sie zu fragen warum Sie zögerten? Aber jener Kuss

schien mir zugleich auch jede Kraft aus der Seele
gesogen zu haben, dass ich nicht mehr das Wort an
Sie zu richten, Ihnen kaum in's Angesicht zu blicken
vermochte.

Die Qual dieser innern Widersprüche stieg am
höchsten, als Ihr Gatte, kurz vor Weihnacht durch eine
Geschäftsreise einige Tage entfernt gehalten, mich als
Ihre alleinige Gesellschaft zurückliess.

Der Entschluss, vor Sie
hinzutreten und das ent-
scheidende Wort zu spre-
chen, rang in mir ohne doch
durchdringen zu können. Ich
verlor was mir von Schlaf
noch geblieben war. Wenn
ich Ihnen mit fieberglänzen-
den Augen gegenübersass,
so fragten Sie wohl mit
Ihrer lieben theilnehmenden
Stimme, ob ich mich krank
fühle. „Nur ein wenig müde"
antwortete ich. Sie schlugen
, -. mir vor, Sie auf Ihren Weih-

- ■ • nachtsgängen zu begleiten.

V -i Alles in mir lechzte danach,

JPfcjj^. an Ihrer Seite durch die er-

frischende Winterluft dahin-
zugehen, doch lehnte ich
. . Ihre Aufforderung ab. Und
 
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