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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Traeger, Albert: Zur Eröffnung des Parlaments-Gebäudes, [1], Beim Scheiden aus dem alten Heim
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0146

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feste Punkt in der Flucht der Abgeordnetenerscheinungen, ist dem
Gesetz der Vergänglichkeit nicht entgangen: die im Vordergrund traten
auf und ab, weiter hinten ist der Wandel weniger bemerkbar. Hart
mahlen die Stürme des Parlaments und zerreiben unerbittlich die
Körner, aus denen das Brod der Zukunft gebacken werden soll.
Unablässig klappert die Mühle weiter. Das Publikum, an das Geräusch
gewöhnt, geht meist achtlos vorüber, nur bei besonderen Anlässen
horcht es aufmerksamer und wirft auch wohl einen neugierigen Blick
hinein. Der Wechsel des Hauses wird spurlos an ihm vorübergehen,
hat es doch sattsam Zeit gehabt, an den neuen Anblick sich zu ge-
wöhnen, und schliesslich kann es ihm gleichgiltig sein, wo seine
Geschicke entschieden werden, wenn es überhaupt daran denkt, dass
der Reichstag dabei betheiligt ist. Für die Scheidenden aber ist jeder
Abschied etwas missliches, das Verlassen langgewohntcr Umgebungen
berührt auch tiefer liegende Saiten des Gemütries, als die Gewohnheit
und Bequemlichkeit Mag es schöner sein und prunkvoller, das neue
Haus, vorläufig muthet es noch fremd und kalt an und ist das alte
nicht mit seinen Erinnerungen, die alle noch einmal wieder lebendig
werden im Augenblick des Scheidens und Meidens. Grosse Ereignisse
und aufregende Scenen, die leise in den Nerven nachzittern, heitere
Bilder und behagliche Stunden, liebe Freunde und wackere Gegner, das
alles und wie viele dahin! Der Blick ist so häufig der Führer des
Gedächtnisses, nie wird er wieder in diesen Räumen mit ihren Winkeln
und Ecken sich verlieren. Noch einmal erhebt sich dort oben in der
Ecke am Bundesrathstisch die gewaltige Figur des ersten Reichskanzlers,
die so lange mit ihrem vollen Schwergewicht auf allen unter ihr gelastet,
im Druck den leidenschaftlichsten Gegendruck entfesselte und andere
mehr, als sich selbst zu beherrschen gewohnt war. Auf demselben
Platze noch erscheint die freundliche Gestalt seines Nachfolgers in
schlichter Vornehmheit, ein ritterlicher Soldat. In den neuen Reichstag
zieht auch ein neuer Reichskanzler ein, der schon im alten' auf der
höchsten Stelle sichtbar ward. Als Vicepräsident auf der Präsidenten-
bühne, wo sein etwas schüchternes und zuweilen um Worte einiger-
maassen verlegenes Wohlwollen angenehm berührte. Ein Reichskanzler
in Civil, das wird gewiss im neuen Reichstag die auffälligste Erscheinung
sein. An mancher Ecke da unten hattet, meist wehmüthig, noch der
Blick. Auch das Parlament hat seine Ecksteine, und wie viele sind schon
Leichensteine mit ausgelöschter Schrift. Die Zeit ist wirklich gedächtniss-
arm- sie rennt in so fieberhafter Hast von dannen, dass sie bei der

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Erinnerung sich nicht aufhalten kann. ,..;{«» .•

Auch die Parlamente vergessen schnell.

Kein Name war mehr genannt, als der '^^WBSg^^^y^^ if-i,

der kleine bewegliche Mann^dci-' so %■ ^d^fe} ^ ^

kenntnissreich und scharfsinnig, so ge- - t 1»

wissenhaft und unbestechlich und dabei . <_____ U l -..:-'h*

so Naiv "jr^'n '«vaHRMMMMHMiHIIH0S&HM^B^L^ JjH£ -.^t.

konnte man sie gerade nicht nennen und -jt^mk ^ v

auch mit dem Vertrauen haperte es SKnES^g**4/

etwas bei der liebenswürdigsten Ex- ) W

cellenz, die jemals das Ministerporte- ""V £9$»'' SHL^- ^^^^gäff'

feuille mit der Abgeordnetenmappe ver- . " * ^Ss.

in der Mitte, wie es seiner ausschlag- *X-— .'(£sw ! ^MB^/§BH|^^^BB^MKy

gebenden Bedeutung zukam, schien der / -Uä—• •

kleine Windt borst zu schlummern, ^^S^^^^^^^f •'"'j^^^^Mb^SSn.

wenn er nicht gerade das Treppchen / SSisl^M/if/ - ... |tl|

bedächtig emporstieg, oder schon auf < ^WlMmm^ur rf -~: -

dem - rsten Absatz die Perlen aus dem -J^JSSlB ^i^wjffMlHIfcnffiim / ' " ~ MMä ' mmmLZ''"

Munde lallen liess. Er schlief nicht f^~T^^J*!» ^ ^WSwffif wBt'

etwa, der lose Schalk, genau merkteer Jkm^-^«**- ... W '

auf alles, was drinnen und draussen Ä' 1 H' ^HBBPr |

vorging. Sein Ohr war so scharf, dass '■ f jjß

cr di" Gcdankcn in Ministcrbrus' 'HBP^* v. ^tmmmmmmmm^--- Iw

wachsen hörte, und mit -einen, kurz- f| ' ^MM'lllWlKK'' '-^m^^^Xwfk Wtißt'"

sichtigen Auge, das ihm den Führer ** M-^^^zL}^^'''' v' T^^PWPf|Pkfc>.

aufnöthigte, sah er durch die ver- ''f*™,'; JEW.Aj.'D "^fV {£ u——^

schlossensten Thüren und konnte im
Foyer genau unterscheiden, ob eine
Dame am äussersten Ende hübsch war.

Die alte Excellenz war auch ein grosser Damenliebling. auf seinen Sitz zurück, wo für unvorhergesehene Fälle der Operngucker

Hübsche Damen im Foyer begegneten aber nicht bloss Windthorst's bereit lag. Letzterer Zeit wurde über mangelhaften Damenbesuch geklagt,

Wohlgefallen, erregten vielmehr immer einen grösseren Aufstand, und vielleicht bessert sich das im neuen Reichstag, das holde Geschlecht soll

manch' neidischer Blick folgte dem Glücklichen, der, mit der Tribünenkarte ja für Neues besonders empfänglich sein. Uebrigens knüpfen sich an das

in der Hand, den Gegenstand der allgemeinen Bewunderung am Arm in Foyer die angenehmsten Erinnerungen, es war kein glänzender, aber

die höheren Regionen entführen durfte. Auch begab sich mancher wohl immerhin ein sehr beliebter und recht behaglicher Aufenthalt für alle, die
 
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