Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift (9.1895)

6o MODERNE KUNST.

dem hier scharf vorspringenden Gesims erhebt sich je ein Eckpavillon, als offene Wunderbar sind die wesentlich malerischen Mittel, durch welche Wallot in
Säulenhalle mit dazwischenliegenden Bögen und sculpturengeschmückter Balu- der Decoration der Innenräume eine künstlerische Steigerung hervorgebracht
strade charakterisirt. Die Flächenbchandlung der sich zwischen dem Hauptportal hat. Der Kuppelraum und die Wandelhalle bauen sich in grandiosen, farblosen
und den Eckthürmen nach rechts und links dehnenden Facade wirkt durch ihre Steinmassen auf, die sich erst beleben und auf die malerischen Reize der
grandiose Einfachheit. Zwischen je zwei Säulen öffnen sich die Fenster, in der intimeren Räume überleiten werden, wenn sie mit dem projectirten Fresken-
ersten Etage bogenförmig, in der zweiten giebelförmig abschliessend. Besonderes schmuck versehen sind. Ueberraschend neue Wege schlägt Wallot in der Ver-
Gewicht ist auf die reiche Ornamentirung der horizontalen Bauglieder verwendet. wendung der Holztäfelung ein; sie beherrscht mit ihren tief bräunlichen Tönen
Nach dem Muster spätrömischer Bauten kräftig profilirt, sind sie. besonders wo sie die ganze Innenarchitektur. Ohne sklavische Anlehnung an berühmte Muster
als Attika nach oben hin begrenzen, die Hauptträger des bildnerischen Schmuckes schöpfte der Künstler mit gleicher Liebe aus dem Quell Romanischer und
in Statuen und Reliefs. Gothischer Formengebung, all' die phantastischen Gebilde zwanglos in den zu-

Ueber dem Giebel der Vorhalle prangt auf dem breiten Friesbande die In- sammenschliessenden Rahmen der Renaissance spannend. Besonders die Ueber-
schrift: „Dem deutschen Volke". Zwischen den Säulenstellungen erblickt man führung der verticalen Wandtäfelung zu den horizontal auflagernden Decken
in Relief die Wappen der Fürsten und Bundesstaaten; von der Höhe der Kuppel zeugt in einzelnen Räumen von einem Formensinn, der die schwierigsten Auf-
herab strahlt die Kaiserkrone. In kraftvoller Gedrungenheit steht der ganze Bau gaben spielend bewältigt. Das auf die Profanarchitektur übertragene Chorgestühl
da. sich breit hinlagernd und doch elastisch aufstrebend mit seinen Säulen und im Vorraum des Bundesrathssaales, die von einer Athenastatuette überragte
Bekrönungen, ein Sinnbild für das feste Gefüge des Reiches, das auf dem Boden Wendeltreppe im Lesezimmer, die Karyatidenreihe, die im Sitzungssaal leicht
des einheitlichen Volks- stützend die weit gespannte Decke in
bewusstseins errichtet, amMjMaHMMMMMBMMHMj» der Schwebe hält, der der Füllung
sich in den Bundesstaaten jg,^^^^^|^^aa^|^'^M1!^&g£;-g , IIammelsprungthür aufflackernde Humor,
zu einem freien Organis- , «■ ~'4fPlfci^^ das Alles entquillt mühelos einer souve-
mus gliedert, und im wie- '»,."^''i^^^^^^^H^^^^M^SSSK^,J^\^Mm^KlmTV^^'^ff^S^^^^ ränen Einbildungskraft voll sieghafter
der errichteten Kaiser- 'lü^H Schaffensfreude. Ein künstlerisches Wag-
thum deutscher Nation /.--»^ällfllijiSlSm niss, wie die phantastische Decoration
seine weithin strahlende - v^*i!$|*5^^ des Tonnengewölbes im Restaurations-
Krönung findet. zimmer. kann nur einem genialen Meister

Während durch die ' J ' * 7*% t^^^SsSBtSi^l ''■^Km^SBB^Kr I I gelingen. Lustig verschlungenes grünes
ganze Facadengliederung '•'■^Mfjlvfrrfr ^^OrrlltrfiiirW^P' Ip9hH^B(H. . '\ * 'wBr'^mKk I 1 Krautwerk, zu dem das stachlige Distel-
ein strenger, ernster, / jH blatt das Vorbild geliefert, überspannt die
künstlerischer Zug geht, ' !':'"^W^^^9^i^^^/^^^^'^^S(m^K'i)^^ { ^WT^ s Wölbung mit einem Gewirr von Ranken,
treibt in der Decoration '^\^&^^W^^^//^M^^"^^^S^^^^''''- ^LP ' auS denen uberau kraus verschnörkelte
der Innenräume der freie • . ». '^X^e^-^m^W/MßBmpM^^. *'j07nKafö/Y V-«*'I Verzierungen in grellen Farben auftauchen,
malerische Sinn sein ' . ' ' , Reichsschwert und Scepter kreuzen sich
phantastisches Spiel. in der Mitte, und die Wappen der deut-
Schon in den Hallen, Cor- ' ? sehen Fürsten springen an den Langseiten
ridoren und Treppenauf- ' überall in leuchtenden Farben aus dem
gängen ist für überra- • '• Blättergrün heraus. Von gediegener Pracht
sehende Durchblicke, für seitlich einfallen- £$f » i ' > -
des, durch bunte Glasfenster gedämpftes ^^^HHHH^EflH^^^H erfüllt. Hier vereinigt sich der helle Ton
Licht gesorgt, und wenn sich die bisher f „■> " ; der Eichentäfelung mit dem Gold der
farblosen Wände erst mit dun in Aus- , " •; <-<«4HZH9 Decke und dein stumpfen Blau der Tep-
sicht genommenen Schildereien bedeckt piche und Gobelins zu einheitlicher Wir-
haben, wird sich das Ganze als ein fein '<yH^^H>MHHBfeflEBHH kung. Auf der flöhe der Aufgabe zeigt
empfundenes und einheitlich gestaltetes fifflaBs {{■'•! * Wmkß*i TffjrT'^''"* 'JWoll sich Wallots Künstlerschaft vielleicht
Kunstwerk darstellen. Welche Fülle A- 'ij&SBß <^'• -/-', J' nirgends in gleichem Maasse. als in der
schöpferischer Phantasie hier thätig ge- Raumgestaltung des Sitzungssaales. Es lag
wesen. bewegt die Decoration des Sitz- die Versuchung nahe, hierher in den Kern-
ung>>aalos, de< I lundorathszinuuers mit V^^' ^Wm^^^^^^^^' "-fc^^iMffV^T \~ft fll*BErr*H punkt des Ganzen, das Schwergewicht der
seinem Vorsaal, der Bibliothek, des Foyers %f architektonischen Anlage zu verlegen und
und der Kaiserzimmer. Ueberall bedecken i>P> *- InffP*fecrjK, '-4 «Pmhp Wta decorativ zu betonen. Darauf hat der
fein ornamentirte Holzpanele die Wände, \, „ / s Meister aus ästhetischen und praktischen
Karyatiden tragen die tief cassetirten ' Gründen verzichtet. Die gewaltige Stein-
Decken, und geschmackvoll vertheilte Ver- i ' ' architektur der Hallen und Vorräume
goldung und Bronzirung leuchtet aus dem ^HC «BH durfte sich hier nicht wiederholen. Ks han-
tief bräunlichen Grundton der Täfelungen IriHt I delte sich um die Gestaltung eines wohn-
hervor. Auch hier ist Alles stilgerecht 1 • WsmS 1 -Sml '% f \>$My*iBsä fP fB1 mm liehen, weder zu grossen, noch zu kleinen
und doch von einer selbstständig schaffen- ■ •. ■, A. Kl iäßmSBth m I ffis Raumes, der allen akustischen Anforde-
den Künstlerphantasie den besonderen . -1 W/'' ff j 3^, j& f ijö rungen genügte. Die bräunliche Farbe
Zwecken angepasst und eigenartig com- der Holztäfelung giebt den Grundton an,
ponirt und umgestaltet. aus dessen Tiefe hier und da der Metall-
Das Ganze wirkt wie eine Sympho- f^^Lj^mVä. '-' • l** | fy.'U glänz der Bronzirung aufleuchtet, während
nie künstlerischer Motive, die in wohl vUf ''fm^* d v. • i--> 11 Leiber der Karyatiden von
durchdachter Steigerung hervortreten. den die Logen theilenden Pteilern flanki-
Der Grundriss des Hauptgeschosses ist Bi'-~-~25aB rend aufstreben. Wer die Decorations-
ein wahres Muster klarer symmetrischer kunst des Meisters des Parlamentsgebäu-
Raumanordnung. Den Kern des Baus \, "■ ■ des in ihren Einzelheiten studiert, wird
bildet der gewaltige, sich vor den Sitzungs- Hfc"*Hr WSi nirgends auf willkürliche Bepinselung
saal legende Kuppelraum, an den sich I iSfli stossen. Die Decoration verhüllt nicht den
rechts und links bis an die Seitenflügel her- Aufbau, sie folgt seiner Gliederung mit
anreichende Wandelhallen anschliessen. MjgTC I mf< discret vertheiltem Schmuckwerk. Viele
Den Sitzungssaal flankiren zwei mächtige » haben mitgewirkt am Bau des Reichs-
Höfe, zu denen an der Nord- und Süd- j hauses, aber sie alle standen unter dem
seite Vorhallen hinaufführen. Um diesen j Einflüsse eines Gedankens. Ueber Ein-
Kern herum lagern sich die intimeren Ge- zelnheiten des Monumentalbaues lässt sich
schäftsräume. In der Westfront Erfrisch- WSiwArffWH N ' ■ H streiten, in seiner Gesammtheit ist er ein
ungs- und Lesesaal für die Abgeordneten, < einheitliches Kunstwerk, bis in seine fein-

in der Ostfront Präsidium und Bundesrath; _ _ sten Gliederungen von dem Geiste des

„ , ■ t-,-, ,. , , , 1 , • Karyatiden im Sitzungssaal. ' "; ' , , , ,

Sprechzimmer. Bibliothek und kleinere , . , ° . , leitenden Meisters durchströmt und von

Originalzeichnung von E. I hiel. t; |MnR „, '

Amtszimmer hegen in der Nord-und Süd- . ' künstlerischem Leben erfüllt und bewegt

front. i^raFPr • a