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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 9.1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [4]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.19627#0154

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MODERNE KUNST.

63

1

Weile herrschte Stille im Zimmer. Dann kam es dumpf grollend aus den Stuhl neben der Thür und bedeckte ihr blasses, zartes Gesichtchen
der dunklen Ecke. mit beiden Händen, um die Thränen zu verbergen, die ihr über die

„Du klagst mich an und fragst nicht einmal, warum ich so handelte, Wangen rannen,
warum ich so handeln musste! Woher sollte ich das Geld nehmen, ohne „Oh Papa", schluchzte sie krampfhaft, „ich ... es ist so hässlich von

zu stehlen? Du weisst es selbst, wie sauer es uns wird, uns durch das mir . . und so demüthigend . . denn ich habe Dich betrogen und Euch
einfache, nackte Leben zu schlagen. Gewiss, es ist mir gelungen, die drei Alle! Ich bin nicht Erich's Frau geworden, weil ich mich für Dich opfern
Güter wieder in meiner Hand zu vereinigen, die den Rocholl's von alters- wollte und . . und deshalb war's auch nicht eine heroische That von mir,
her gehört haben. Und sie blühen nun und gedeihen! Aber darum — dass ich nachher bei ihm blieb . . und auch kein übertriebenes Ehrgefühl!
wir haben trotzdem nur das Nothdürftigste! Da ist kein Fleckchen Erde, Es war

das nicht mit Hypotheken belastet wäre. So gehört das alles eigentlich Sie brachte es nicht heraus, das furchtbare Wort. Sie fürchtete sich

nicht uns, wir arbeiten für die Zinsen, wir sind nichts als Frohnbauern vor ihm und schämte sich so sehr. Und sie blinzelte zwischen ihren
des fremden Capitals. So steht's mit uns! Begreifst Du nun, warum ich Fingern hindurch zu ihm hinüber, der, wie zu Stein erstarrt, hoch auf-
wollte, dass Ihr Mädels gute Partien macht? Damit Ihr es 'mal besser gereckt und mit unnatürlich weit aufgerissenen Augen am Büchergestell
hättet, als wir Alten, damit Ihr glücklich wäret, glücklicher, als wir! Denn, stand, den verrosteten Sporn nervös zwischen den Händen drehend.
Otti, glaub' es mir, mir, Deinem alten Vater: die Sorge um das tägliche „Was war's?" schrie er endlich.

Brot ist die schwerste und verbitterndste; sie frisst Dir das Herz ab und Sie bog sich ängstlich in sich zusammen.

das Bischen Glücksgefühl mit, das Du Dir da drinnen aufgespeichert hast! „Bitte, bitte, Papa, sei nicht böse!" flehte sie. „Es war gewiss nicht

Seine Stimme, die eben noch gerollt hatte, wie Donner, war nun recht von mir, dass ich . . Du hattest es mir oft genug gesagt, dass . .
durchzittert von weicher, schmerzlicher Wehmuth, und seine Augen, vor- dass solch' eine Heirath eine Dummheit wäre . . . dass man sie hinterher
hin zornige Blitze sprühend, hatten sich verschleiert in trüber Melancholie. immer bereute . . und dass nichts so vergänglich wäre, wie . . wie . ."
Und nie zuvor hatte er in diesem Tone zu seinen Kindern geredet. „Nun? Wie . . .?"

Otti war gerührt; ihr Herz schwoll von Mitleid mit dem alten Manne, Es wollte ihr noch immer nicht über die Lippen. Sie stand auf und machte

dessen Leben bis dahin eitel Sorge und Mühsal gewesen war. ein paar zaghafte Schritte zu ihm und dann kehrte sie schnell wieder auf

„Oh Papa", schluchzte sie, „lieber, guter Papa, ich erkenne es ja an, ihren Stuhl zurück. Und zuletzt drehte sie ihr gluthüberströmtes Gesicht
was Du für mich gethan hast. Und ich bin Dir auch immer dankbar nach der Wand und weinte, wie ein kleines Kind. [Fortsetmng folgt.]

gewesen. Habe ich mich nicht in alles gefügt,
was Du wolltest? Du sagtest, ich solle Erich's
Bewerbungen um mich gut aufnehmen, und ich
bin immer liebenswürdig zu ihm gewesen. Und
dann, als er um meine Hand anhielt, sagtest Du,
ich solle „Ja" sagen. Und ich sagte „Ja". Und
so bin ich seine Frau geworden und ..."

„Und wurdest es doch so ungern!" fiel er
kopfnickend ein, und seine Stimme klang noch
weicher und schmerzdurchbebter als zuvor.
„Denn nicht wahr, Otti, mir, Deinem Vater, kannst
Du es eingestehen: Du hattest eigentlich einen
Anderen gern?"

Sie sah erstaunt zu ihm hinüber, aber sie
vermochte sein Antlitz nicht zu sehen. Es hatte
sich tief über den verrosteten Sporn und die An-
leitung zur Verbesserung der Schafzucht herab-
gebeugt.

„Aber, Papa!" stammelte sie verwirrt. „Ich . . ."

„Sage nichts dagegen!" unterbrach er sie
heiser. „Ich weiss es; ich habe es wohl gemerkt,
wie lieb Dir der Phildoctor immer war. Und
darum hab' ich Dich immer so hoch gehalten, weil
Du nicht zögertest, der besseren Einsicht Deines
Vaters zu folgen. Und als dann der Bankerott
des Commerzienraths kam, da wollte ich die
Gelegenheit benutzen, um Dich von der ver-
hassten Fessel frei zu machen. Denn, Otti, es
hat mir die ganze Zeit schwer auf der Seele
gelegen, ob es recht von mir war, Dich zu einer
Heirath zu zwingen, die Du verabscheutest. Aber
Du machtest es mir unmöglich, Du stelltest
Dich auf Martius' Seite. Es war eine heroische
That von Dir, Kind, so gegen Dein Herz zu
handeln; aber dennoch — es war auch ein über-
triebenes Ehrgefühl, eine zu grosse Rücksicht-
nahme auf das Gerede der Welt, das Dich trieb ..."

Er hielt plötzlich inne und fuhr zu ihr her-
um, um sie staunend anzusehen. Denn es war im Vorzimmer <lcs Bundesratiis.
sehr seltsam, wie Otti sich benahm. Eben noch, Originalzeichnung von E Henseler
bei der Erwähnung des Phildoctors, hatte sie jäh
aufgelacht und nun sank sie mit einem Male auf
 
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